Der Einsatz von Uranwaffen in den jüngsten Kriegen des Westens
Seite 3: Wer war Siegwart-Horst Günther?
- Der Einsatz von Uranwaffen in den jüngsten Kriegen des Westens
- Uranwaffen – seit 2001 ein Tabu-Thema in Deutschland
- Wer war Siegwart-Horst Günther?
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Siegwart-Horst Günther war ein deutscher Arzt, der Zusammenhänge zwischen der im Irakkrieg verwendeten Uranmunition von Seiten der USA und ihrer Alliierten und dem gehäuften Auftreten von Leukämien, Krebserkrankungen und Missbildungen bei Säuglingen und Kleinkindern schon 1991 vermutet und als Erster bewiesen hat, dass die zurückgeblieben Geschosshülsen auf den Schlachtfeldern, mit denen die Kinder spielten, aus abgereichertem Uran bestanden und radioaktiv strahlten.
Prof. Günther verstarb nach langer und schwerer Krankheit im Januar 2015 in einem Alten- und Pflegeheim in meiner Heimatstadt Husum an der Nordsee mit fast 90 Jahren. In der regionalen Zeitung erschien von einem Freundeskreis eine Traueranzeige. Ansonsten wurde sein Tod von den Hauptmedien nicht zur Kenntnis genommen. Es ist eine Schande, dass der Tod dieses außergewöhnlichen und bedeutenden Menschen den regionalen und überregionalen Medien damals keine Redaktionszeile wert gewesen ist.
Er hat uns aber zum Glück ein Buch hinterlassen, das spannend und lesenswert ist und autobiographische Skizzen von der Zeit seiner Kindheit und Jugend bis in die Zeit nach dem zweiten Irakkrieg Anfang der 2000er Jahre enthält.16
Und es gibt die zwei oben erwähnten erschütternden Dokumentarfilme von Frieder Wagner, die auf YouTube leicht aufgerufen werden können, so dass man jederzeit auf dem Monitor oder der Leinwand Prof. Günther erleben kann.17
Siegwart-Horst Günther wurde 1925 in einem Dorf in der Nähe von Halle an der Saale geboren. Die Mutter war aus Polen gebürtig und stammte aus einer polnisch- jüdischen Familie. Wegen ihrer jüdischen Herkunft gab es familiäre Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, die auch das weitere Leben des Jungen geprägt haben. Der Vater, Lehrer an einer einklassigen Dorfschule, war streng konservativ und nationalistisch eingestellt. Seit 1931 waren beide Eltern in der NSDAP, ab 1935 begann eine Parteikarriere des Vaters, der stellvertretender Gauleiter von Halle wurde.
1931 erfolgte die Einschulung und 1935 der Wechsel an die Oberrealschule in Halle. Wegen Schulproblemen wechselte er dann 1939 an die Dr. Karl-Peters-Schule, die "Reichskolonialschule", nach Berlin-Pankow, wo er bei seiner Tante lebte. Er hatte dort eine glückliche Zeit bis zu seinem Abitur 1941. Hier wurde auch sein Interesse für fremde Länder geweckt.
1942 absolvierte er den Reichsarbeitsdienst, meldete sich anschließend als Kriegsfreiwilliger und wurde als junger Offizier an der Ostfront eingesetzt, wo er mehrfach schwer verwundet wurde. Nach seiner Wiederherstellung kam er als Kurier zwischen dem Bendlerblock in Berlin und dem deutschen Militärkommando in Paris zum Einsatz. Im Bendlerblock war damals der Sitz der militärischen Widerstandsgruppe, die das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 durchgeführt hatte.
Nach dem fehlgeschlagenen Attentat wurde Günther verhaftet, mehrere Wochen im Gestapo-Gefängnis inhaftiert und danach in das KZ Buchenwald eingewiesen, wo er wegen seines schlechten Gesundheitszustands die Befreiung im April 1945 vom Krankenrevier aus erlebte.
Unmittelbar nach der Entlassung aus dem KZ als "Muselmane" (54 kg bei 1,86 m Körpergröße) begann er in der Hungerzeit nach 1945 sein Medizinstudium in Jena und legte dort 1949/50 das Staatsexamen ab.
1951 arbeitete er nachmittags als Assistenzarzt in der Universitäts-Frauenklinik in Jena und vormittags als Lehrbeauftragter im dortigen Physiologischen Institut und zusätzlich an einer tierexperimentellen Arbeit zum Thema Sterilität. 1953 erfolgte die Promotion. 1954 wechselte er an das Physiologische Institut der Humbold-Universität in Berlin als Dozent und Vertreter des Institutsleiters, der in den Westen gegangen war. Im selben Jahr erfolgte die Habilitation. 1957 wurde er im Fach Physiologie zum jüngsten Medizinprofessor der DDR ernannt.
Im selben Jahr erhielt er einen Ruf an das Physiologische Institut der Universität Kairo und begann dort eine dreijährige umfangreiche Lehr- und Forschungstätigkeit über weibliche Sterilität und die weit verbreitete tropische Infektionskrankheit Bilharziose. 1960 bis 1963 war er als ordentlicher Professor für Pathophysiologie und Tropenmedizin an der Universität Damaskus tätig.
1963 bis 1965 hat er in Lambarene/Gabun bei Albert Schweizer gearbeitet und Forschungsarbeiten über Lepra, Malaria und Elephantiasis durchgeführt. In seinem Buch findet sich eine aufschlussreiche Schilderung der damaligen Verhältnisse im Urwaldkrankenhaus in Lambarene, wo er eine sehr intensive und beglückende Zeit verbracht hat.
1966 bis Anfang der 1970er Jahre hat er Studien- und Forschungsaufenthalte in London im Institut für Tropenmedizin und in Glasgow in der Klinik für Dermatologie absolviert.
Seine damaligen Arbeiten auf dermatologischem Gebiet über die Heilwirkung der Vitamin-A-Säure bei Psoriasis und Lichen ruber planus, einer relativ häufigen Hauterkrankung, wurden für so innovativ eingeschätzt, dass sie für den Nobelpreis eingereicht wurden. Diesen erhielt Prof. Günther aber seiner Meinung nach deshalb nicht, weil er Ostdeutscher war.
Anfang der 1970er Jahre erfolgte eine erneute Tätigkeit in Kairo im Institut für Tropenmedizin, wo er weiter über die Bilharziose forschte und über dieses auch im Nahen und Mittleren Osten sehr weit verbreitete Krankheitsbild ein einschlägiges Buch schrieb.
Ende der 1970er und Anfang der 80er Jahre war er als Chefarzt einer Dermatologischen Klinik in St. Peter-Ording in Schleswig-Holstein tätig. 1982 wurde er mit der ärztlichen Leitung eines Behandlungszentrums für Psoriasis am Toten Meer in Israel betraut. 1984 wurde ihm dort jedoch gekündigt, weil er aus einer Nazi-Familie stamme.
Zu dieser Zeit musste seine Frau in St. Peter-Ording, die dort als niedergelassene Ärztin tätig war, von Rechtsradikalen Beschimpfungen und Angriffe erleiden. So wurde sie zum Beispiel als "Judenhure" beschimpft und es wurde ein Davidstern auf ihr Praxisschild gemalt, so dass die Patienten ausblieben.
Die tragische Konsequenz war: Seine Frau war dem Druck nicht gewachsen, trennte sich schließlich von ihm und zog mit ihren beiden gemeinsamen Kindern nach Süddeutschland. Nach diesen und einer Reihe weiteren Schicksalsschlägen kehrte Prof. Günther Ende der 1980er Jahre in die DDR zurück.
Im Oktober 1990 wurde Prof. Günther zu einer neuerlichen ärztlichen und Vortragstätigkeit in den Irak eingeladen. Besonders nach dem ersten Irakkrieg 1991/92 machte er dort viele Reisen in Städte wie Bagdad, Basra und Falludscha. Dabei stellte er fest, dass in den Krankenhäusern, die er besuchte, bei Kindern vermehrt akute Leukämien und Krebserkrankungen auftraten, aber auch Missbildungen, die er vorher noch nicht gesehen hatte und die ihn an Tschernobyl erinnerten.18
Er brachte diese Erkrankungen und Gesundheitschäden mit Geschossen und Geschosshülsen in Verbindung, die auf den Schlachtfeldern verstreut herumlagen und mit denen die Kinder oft spielten und sie zum Beispiel als Puppen anmalten.
Um diese Fragen zu klären, schmuggelte er mehrere dieser Geschosse im Diplomatengepäck nach Deutschland und ließ sie in verschiedenen Instituten in Berlin analysieren. Dabei stellte sich heraus, dass die Geschosse aus strahlendem Uran bestanden.
Das bekam er schriftlich und hatte damit einen Beweis, dass es sich bei den von ihm beobachteten gehäuften schweren Erkrankungen und Missbildungen bei den Kindern im Irak um strahlungsbedingte Schäden handeln könnte. Aber anstatt, dass ihm für diese Entdeckung vom deutschen Staat gedankt wurde, musste er sich wegen der illegalen Einführung von gefährlichen Stoffen vor Gericht verantworten und wurde zu einer Geldstrafe von 3.000 DM verurteilt.
In den Jahren darauf folgte eine rege Vortragstätigkeit mit Radio- und Fernseh- Interviews weltweit, auch in der Uno, um dieses Kriegsverbrechen bekannt zu machen. Außerdem organisierte er verschiedene Hilfsprojekte für die Menschen im Irak. Er erhielt weltweite Anerkennung für dieses Engagement und wurde mit vielen Preisen und Ehrentiteln ausgezeichnet. So erhielt er 2007 in Salzburg bei der 10. Preisverleihung des "Nuclear Free Future Awards" diesen Preis in der Kategorie "Aufklärung". In seiner Dankesrede sagte er19:
Als ich 1991, nach dem 1.Golfkrieg entdeckte, dass die Alliierten in diesem für mich völkerrechtswidrigen Krieg Urangeschosse eingesetzt hatten, mit allen ihnen schon damals bekannten schrecklichen Konsequenzen, war ich wegen dieser Ungeheuerlichkeit zutiefst empört.
Krieg ist sowieso eine furchtbare Sache und sollte heute obsolet sein, aber der Einsatz dieser Munition und Bomben aus abgereichertem Uran, ist eine Menschen und Umwelt verachtende Ungeheuerlichkeit.
Sie wissen vielleicht, dass meine Zeit mit Albert Schweitzer mich tief geprägt hat. Sein Credo: "Ehrfurcht vor dem Leben" wurde auch mein Leitmotiv als Mediziner und Mensch.
Und ich muss Ihnen sagen: Ich war nie ein sonderlich politischer Mensch, mich interessierten Menschen immer mehr als politisches Pokern. Die Ehrfurcht vor dem Leben ist bei mir erheblich größer, als vor Ämtern oder Institutionen. Ich komme daher mit dem Vorwurf gut zurecht, in meiner Naivität und Unbedarftheit, wäre ich für die eine Seite ein nützlicher Idiot und für die andere Seite ein störrischer Quälgeist. Ich bin Arzt, meine Damen und Herren, mehr nicht!
2003 erfolgte ein weiterer Besuch des Irak, aber auch von Serbien und dem Kosovo, zusammen mit dem Dokumentarfilmer Frieder Wagner. Daraus sind die beiden oben schon vorgestellten Filme entstanden.20
Fazit und Schlussfolgerungen
Erst durch einen Zufall habe ich einige Monate nach seinem Tode von Prof. Günther gehört und ihn deshalb nicht mehr persönlich kennen lernen können. Ich führe diesen Umstand auf das Tabu zurück, das in den Medien über das Thema Uranwaffen im Allgemeinen und das Wirken von Prof. Günther im Besonderen bis heute besteht.
Den vorliegenden Informationen, wozu vor allem sein Buch21 und die oben genannten Filme von Frieder Wagner beitragen, ist für mich jedoch zu entnehmen, dass Prof. Günther ein selbstloser, mitfühlender und mutiger Mensch und ein vorbildlicher Arzt und Wissenschaftler war, der sich um die Gesundheit der Menschen verdient gemacht hat.
Als langjähriges Mitglied der IPPNW bin ich für die Herausgabe des von Kolleginnen, Kollegen und Wissenschaftlern meiner Organisation erarbeiteten und herausgegebenen Reports über die gesundheitlichen Folgen der Uranmunition, aus dem ich in diesem Artikel ausführlich zitiert habe, sehr dankbar.
Es handelt sich um eine beachtenswerte wissenschaftliche Leistung, die eine wichtige aufklärende Funktion erfüllt hat und für die es bis heute keinen Ersatz gibt.
Ich würde mir aber wünschen, dass die IPPNW nicht weiter zu den Verdiensten von Siegwart-Horst Günther schweigt und ihm posthum die Ehre erweist, die er verdient hat, damit er auch bei allen Menschen in Deutschland, die sich für die Bewahrung des Friedens einsetzen, in würdiger Erinnerung bleibt.
Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de