Der Feind in meiner Diskussion

Seite 2: Friedenspolitische Debattenkultur und die AfD

Der Streit darüber, inwieweit von Friedensbewegten eine Abgrenzung nach rechts erfolgen muss, konzentriert sich mittlerweile verstärkt um den Umgang mit der AfD. Einerseits gibt es zwischen dieser Partei mit ihrer offen militaristischen und rassistischen Programmatik keinerlei Schnittmengen zur Friedensbewegung.

Andererseits führt die zunehmende Äquidistanz gegenüber Russland durch die Partei Die Linke dazu, dass sich die AfD zunehmend als Opposition gegen eine antirussische Außenpolitik profilieren kann.

Kritik im Bundestag findet sich dabei zwar auch noch stark vertreten in der SPD, auf Fraktionsebene mittlerweile nur noch bei den Linken und der AfD, letztere aber lediglich als Sprachrohr bestimmter Kapitalinteressen.

Bei der entscheidenden Frage nach dem aggressiven Charakter der Nato dürfte es künftig sogar überhaupt keine Fraktion im Bundestag mehr geben, die man als Rückgrat der Friedensbewegung ansehen könnte.

Covid-19-Impfgegner und demokratische Grundrechte

Die Ablehnung von Covid-19-Impfungen vereint ein breites Spektrum: Angefangen von klassischen Gegnern der Schulmedizin und Anhängern der Anthroposophie über berechtigtes Misstrauen gegenüber der Pharmaindustrie bis hin zum legitimen Beharren auf Eigenverantwortlichkeit.

Wer dieses pauschal als neoliberal individualistisch und gesellschaftlich unsolidarisch abqualifiziert, befürwortet in der Konsequenz letztlich auch Berufsverbote für Pflegekräfte, bei denen die Ablehnung von Covid-19-Impfungen stark ausgeprägt ist. Wohlgemerkt geht es hierbei nicht darum, wie man die deutsche Covid-19-Politik als solche im internationalen Vergleich bewertet, denn dieses ist auch im Umfeld der Friedensbewegung sehr umstritten.

Differenzierte Sichtweise statt Cancel Culture!

Wenngleich durch die Abwesenheit von linken Kräften vor allem im Osten Deutschlands die AfD bei den Corona-Protesten mittlerweile eine starke Rolle spielt, muss man einen Blick auf dort vorgebrachte Forderungen richten. Beispielsweise finden sich bei der Bewegung "München steht auf" folgende auf deren Homepage dokumentierte Ziele:

Wie sehen wir die Zukunft

• Die Menschen überwinden friedlich ihre Differenzen und finden zu einer funktionierenden transparent kooperativen Gesellschaft zusammen.

• Die Menschen gehen achtsam miteinander um.

• Medien und Politik gehen respektvoll sowohl miteinander als auch mit der Bevölkerung um.

• Die Moralkompetenz der Menschen ist wiederhergestellt.

• Es besteht ein vielfältiger öffentlicher Diskurs, der unsere Gesellschaft widerspiegelt.

• Angestellte und Arbeiter in den sozialen Berufen werden als wichtige Bausteine unseres Zusammenlebens gewürdigt.

Neue soziale Bewegungen auch in anderen Ländern

Auch in anderen Ländern haben sich in den letzten Jahren neue soziale Bewegungen herausgebildet, wie etwa die Ende 2018 in Frankreich entstandene und sofort als rechtslastig verschriene Gelbwestenbewegung. Überhaupt nicht thematisiert wurde hierzulande hingegen, dass diese Bewegung massiver Polizeigewalt und damit einer massiven Beschneidung demokratischer Grundrechte ausgesetzt war.

Die Kritik an der staatlichen Pandemiepolitik hat bereits 2020 zu Massenbewegungen in mehreren Ländern geführt. Aus Italien gibt es dazu eine interessante Analyse, die in einem Gespräch mit dem Autorenkollektiv Wu Ming (Jungle World vom 11.11.2021) dokumentiert ist. Darin heißt es:

In ihrem Bestreben, sich von diesen Demonstrationen zu distanzieren, hat eine gewisse Social-Network-Linke ihre Verachtung für persönliche Freiheiten, die als "bürgerliche" Freiheiten gelten, zur Schau gestellt.

Man muss vorsichtig sein, welche Begriffe man in abwertender Weise verwendet. Individualismus und Egoismus sind eine Sache; die Sphäre der Autonomie, die jeder Mensch genießen muss, ist eine andere.

Ohne diese Unterscheidung kommt es zu einer schrecklichen Verwirrung und wir enden damit, dass wir den Autoritarismus befürworten, noch dazu in einem kapitalistischen Kontext, ohne auch nur den Vorwand der Diktatur des Proletariats!

Wichtig ist vor allem, dass diese Art der Pandemiebewältigung die kollektive und soziale Dimension angreift, die Beziehungen zwischen den Menschen. "Freiheit" bedeutet in diesem Zusammenhang auch die Freiheit, gemeinsam zu leben, zu streiten, zu demonstrieren.

Sich darauf zu beschränken, dies alles als "faschistisch" zu bezeichnen, ist zumindest ein Zeichen von ideologischer Verblendung.

Fazit: ohne Dialogfähigkeit keine Friedensbewegung!

Die "alte" Friedensbewegung hat nur eine Chance, wenn der notwendige Generationswechsel sich in einer offenen Debattenkultur vollzieht. Ansatzweise ist dieses bisher nur in der Kampagne "Stopp Air Base Ramstein" der Fall. Das jährliche Friedenscamp im Rahmen der sommerlichen Aktionswoche vor Ort, war im letzten Jahr auch Debattenraum rund um Corona, was in diesem Jahr gleichfalls zu erwarten ist.

Aufklärung über Faschismus und dessen Zusammenhang mit Krieg und Kriegsvorbereitung erreicht man jedoch nicht, indem man die Protestierenden gegen die offizielle Corona-Politik pauschal als Nazis und Antisemiten verteufelt.

Ein aufklärerischer und emanzipatorischer Anspruch muss zuallererst gegen den dramatischen Niedergang der Debattenkultur durchgesetzt werden. Nur damit lässt sich auch für größere, politisch sensibilisierte Bevölkerungskreise vermitteln, welche dramatische, globale Kriegsgefahr derzeit besteht.