Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund
- Der Feind meines Feindes ist nicht mein Freund
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Am Samstag wollen islamische Fundamentalisten in Hamburg für die Freilassung ihres in der Türkei inhaftierten religiösen Oberhaupts demonstrieren
Die Furkan-Gemeinschaft ruft für Samstag unter dem Motto "Freiheit für Alparslan Kuytul" zu einem Aufzug durch die Hamburger Innenstadt auf. Die Veranstalter erwarten laut Innenbehörde etwa 80 Teilnehmer, das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) rechnet indes mit mehr Personen.
Alparslan Kuytul wurde im Januar in der Türkei verhaftet, was zwar gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan spricht, aber auch gegen den Inhaftierten. Der ist Oberhaupt einer der größten fundamental-islamischen Organisationen der Türkei und geriet ins Visier von Erdogan, weil er sich öffentlich kritisch zur Militäroffensive im syrischen Afrīn äußerte.
Vielleicht wurde die Organisation dem Präsidenten auch zu mächtig. Kuytuls Anhänger sind nun aufgefordert, auch in Hamburg für die Freilassung zu demonstrieren. Die Route führt nicht zufällig durch Straßenzüge, die von Moscheen, islamischen Vereinen und Hijab-Stores dominiert sind.
Seit 2016 wird die Gemeinschaft "Furkan Egitim ve Hizmet Vakfı" (Stiftung für Bildung und Dienstleistungen) vom LfV Hamburg überwacht. Die Organisation ist türkischen Ursprungs, wurde 1994 von Alparslan Kuytul gegründet und zählt in der Türkei zu den größten fundamental-islamischen Bewegungen. Mittlerweile besteht die Vereinigung aus 35 Niederlassungen im In- und Ausland und richtet jährlich ca. 100 Konferenzen aus, mit denen sie etwa 200.000 Menschen erreicht.
Sie verfügt über einen eigenen TV-Sender und eine eigene Zeitschrift, "Furkan Nesli". Seit 2011 ist die Gemeinschaft in NRW aktiv, 2015 wurde sie offiziell als Stiftung mit Sitz in Dortmund gegründet und 2015 erfolgte die Gründung des "Furkan Bildungs- und Kulturvereins" in Hamburg. Bereits 2016 registrierte das LfV Veranstaltungen mit bis zu 400 Besuchern. Außerdem gibt es Ableger in Berlin und München.
Derzeit hat die Bewegung nach zitierten Angaben des LfV "in Hamburg gut 150 Anhänger (Ende Dezember 2017 rund 100, 2016 etwa 80), darunter auch Jugendliche. Die steigenden Zahlen sind durch den Zulauf zu der Bewegung sowie durch die intensive nachrichtendienstliche Beobachtung zu erklären. Furkan-Anhänger engagieren sich unter anderem in einer Sportgruppe und kommen auch zu Unterrichtseinheiten zusammen, die vorwiegend in Privatwohnungen abgehalten werden".
Laut der Aussage des Pressesprechers des LfV, Marco Haase, ist es relativ neu, dass die Gruppierung die Öffentlichkeit sucht. Insofern ist es für die Behörden schwierig, an Erkenntnisse z. B. über die sportlichen Aktivitäten zu gelangen.
Welche Ziele verfolgt Furkan?
Alparslan Kuytul studierte in Adana Bauingenieurswesen. Danach zog es ihn nach Kairo, wo er an der berühmten islamischen al-Azhar-Universität das islamische Staatswesen, die Scharia, studierte. Dabei handelt es sich um ein Normen-, Werte- und Rechtssystem, in dem Allah als Souverän und sein Wort als verbindlich und unveränderbar gilt. Die Menschen haben sich dem unterzuwerfen.
Kern dessen ist das Familienrecht, mit dem einerseits die klandestinen Strukturen und die Beziehungen untereinander geregelt und andererseits die Frauen komplett unterworfen werden. Durch die Blutrache wird das Recht privatisiert, jeder Mann wird quasi zum potentiellen Richter über jede Frau, Abtrünnige, Homosexuelle, Widerständige, aber auch Männer, die sich Verbrechen zu Schuleden kommen lassen haben. Dadurch werden die "rechtgeleiteten" Männer auf Gedeih und Verderb in das System eingebunden, nicht selten buchstäblich mit einer Leiche im Keller.
Das von ihm angestrebte System nennt Kuytul "Islamische Zivilisation", die er als der westlichen überlegen betrachtet. Diese "islamische Zivilisation" sähe er gern in einem - möglichst weltweiten - religiösen Staat, dem Kalifat, verwirklicht. Diese Rückbesinnung auf einen Islam, wie ihn Mohammed gelebt haben soll, gekoppelt mit der Bereitschaft, mehr oder weniger alles für dessen Realisierung in der Gegenwart zu tun, nennt sich Salafismus.
Anhänger dieser Strömung, Salafisten, treten häufig durch Gewalt in Erscheinung, sowohl durch Beteiligung am Dschihad im IS-Kalifat oder auch durch Anschläge in Europa.
Allerdings gehört Gewalt nicht zum grundsätzlichen Repertoire, die Idee, junge Menschen für die Ausreise in den Heiligen Krieg in entsprechende Kampfgebiete zu animieren, indes schon. Dem LfV zufolge hält der Hamburger Vereinsvorstand enge Verbindungen zur Organisationsspitze in Adana.
In Hamburg agiere die Furkan-Gemeinschaft bisher vorwiegend im Privaten und versuche, über das Werben im persönlichen Umfeld sowie gelegentlichen Veranstaltungen neue Anhänger zu gewinnen. Das Mitwirken in der Gruppierung sei einem strengen Reglement unterworfen: Es werde strikter Gehorsam gefordert und kein Widerspruch geduldet.
Nach der Verhaftung Kuytuls sowie während der Debatte um ein mögliches Kopftuch-Verbot seien verstärkte Aktivitäten der Furkan-Gemeinschaft im Internet beobachtet worden, auch der Hamburger Anhänger. Anfang September 2018 habe die Organisation im Internet über eine erste öffentlichkeitswirksame Aktion an der Binnenalster berichtet.
Der angestrebten "Islamischen Zivilisation" solle es nach der Furkan-Ideologie auch gestattet sein, Kriege zur Durchsetzung ihrer Ziele zu führen. Allerdings gibt es bislang offenbar keine Erkenntnisse über Anwendung von Gewalt in Deutschland.