Der Film aus La Mancha

Seite 2: Adaptions-Geschichte

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Das gelingt ihm auf mehrere Weisen vorzüglich: Zunächst dadurch, dass er die Medien Roman und Film beidesamt als Quellen in seinen Filmplot integriert: Darin geht es nämlich um einen Werbefilm-Regisseur (Adam Driver), der den Quijote-Stoff im Rahmen eines Clips am Originalschauplatz umsetzen möchte. In der Nähe befindet sich ein Dorf, das der Regisseur bereits vor zehn Jahren "heimgesucht" hatte, um dort seinen Abschlussfilm für die Filmschule zu drehen - ebenfalls einen Don-Quijote-Film. Als er diesen auf einer DVD wiederentdeckt, bereist er das Dorf und stellt fest, dass es nach seinem Film nahezu "untergegangen" ist. Am Dorfrand lebt noch sein damaliger Ritter-Schauspieler (Jonathan Pryce), der sich allerdings seit damals für den wirklichen Don Quijote hält und im Regisseur seinen Knappen Sancho Pansa zu erkennen glaubt.

Bild: © Concorde Filmverleih / Diego Lopez Calvin

Beide zusammen geraten in einen Strudel aus kriminellen Verwicklungen, Begegnungen mit alten und neuen Liebschaften und deren eifersüchtigen Liebhabern. Mehr und mehr transponiert der Filmplot von der (in der Jetztzeit angesiedelten) Rahmenhandlung in (in einer alternativen Gegenwart angesiedelte) Binnen-Rittergeschichten. Gilliam schickt seine Helden dabei zu wichtigen Stationen der beiden Romane und lässt sie diese "aktualisiert" erneut erleben. Der dabei mehr und mehr zum Sancho "mutierte" Clipregisseur erkennt immer häufiger Analogien und Personen seines alten Films wieder und nimmt die ihm vom verwirrten Don-Quijote-Darsteller angedichtete Rolle des Sancho schließlich an.

Leben und Werk des Autors

Dass wir es bei "The Man who killed Don Quijote" mit einem Roman-und-Film-im-Film zu tun haben, deutet bereits an, dass das Problem filmischer Autorschaft hier ebenfalls und dazu auf mehreren Ebenen verhandelt werden soll. Zunächst einmal reflektiert der Film natürlich auch Gilliams Position innerhalb des Werkszusammenhangs. Man fühlt sich beinahe genötigt das ständige Hin-und-her-Kippen zwischen realer Rahmenhandlung und fantastischen/imaginierten Binnenhandlungen auf die Produktionssituation zu übertragen. Kämpfe gegen Windmühlen haben beide Regisseure ebenso durchzustehen wie moralisch fragwürdige Verhandlungen mit Geldgebern. Gilliams Film liefert etliche Analogien, die ihn als "zeitgenössischen Kommentar" auf seinen Schaffen wie auf die Filmbranche überhaupt lesbar machen - und gleicht darin einmal mehr Cervantes' Text. Der Dokumentarfilm "Lost in La Mancha" diskutiert zentral diese Lesart.

Aber auch die postmodernistische Ästhetik der nach und nach im Medium verschwindenden Wirklichkeitsreferenzen werden thematisiert. Wer ist wer, was ist noch wahr, was bloß Hirngespinst? Der Zuschauer von Gilliams Film weiß dies am Ende ebensowenig wie der Regisseur innerhalb des Films. Die humoreske Inszenierung, mit der der Roman-Ritter von einem Adeligen-Paar im zweiten Roman gefoppt wird, wird hier ebenso inszeniert und für den senilen Ritter schließlich zur Tragödie. Stirbt Don Quijote bei Cervantes nach der Rückkehr von seinem zweiten Abenteuer an einem Fieber in seinem Bett, so lässt Gilliam ihn kurzerhand umbringen (so viel verrät ja bereits der Titel).

Die Abenteuer des Sancho Pansa

"The Man who killed Don Quixote" steht damit im selben Verhältnis zum zweiten Roman, wie der zweite Roman zum ersten: Er ist eine Revision der Ereignisse der bisherigen Erzählung. Nur, dass Gilliam das "vision" darin wörtlich meint und den Zuschauern zeigt, was sich vorgeblich "wirklich" zugetragen hat. Indem er die Geschichte aber eben nicht mit dem Tod des Ritters enden lässt, sondern weiter erzählt, stellt sich der Film als dritter Teil in die erzählerische Reihe. Dass hierfür das Medium gewechselt wird, erscheint angesichts der erzählerischen und ästhetischen Eskalation nur sinnvoll - und 403 Jahre nach dem zweiten Roman auch angebracht.

Schon in den Romanen war die Erzählung mehr auf Sancho Pansa fokalisiert als auf Don Quijote. Die "Rezensenten" im zweiten Roman heben die Sancho-Figur auch regelmäßig vor der des Ritters hervor. In diese Meinung stimmt Gilliam ein und ihr zu: Die Hauptfigur seiner Rahmenhandlung ist die Sancho-Figur seiner Binnenerzählungen und sie führt die Geschichte nach dem Tod Don Quijotes deshalb auch weiter. Es fällt wie geschrieben wahrscheinlich schwer "The Man who killed Don Quixote" ohne Kenntnis des Romans vollumfänglich zu würdigen; aber ebenso schwer fällt es ihn in Kenntnis des Romans "bloß als Film" zu sehen. Insofern sollte sich (m)eine Kritik zum Film ebenso auf der Grenze zwischen Film- und Literaturkritik bewegen dürfen. Das war in der Postmoderne ja ohnehin üblich.

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