Der Geheimagent für besondere Aufgaben

Seite 3: Tunesien

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Noch vor der offiziellen Staatsgründung der vormaligen Kolonie Tunesien von 1956 wurde Christmann von tunesischen Freunden aus der Pariser Zeit als Wirtschaftsberater gewonnen. Dort baute der umtriebige Geschäftsmann die deutsch-tunesische Handelskammer auf und repräsentierte etliche deutsche Firmen. Gleichzeitig fungierte er als Resident des BND, der mit den Gegenspielern des französischen Geheimdienstes vertraut war, pflegte beste Kontakte zur Regierung und leitete diskrete Wünsche Tunesiens etwa nach Waffenlieferung oder Ausbildung nach Westdeutschland weiter.

Der BND, der im selben Jahr aus der CIA-kontrollierten Organisation Gehlen hervorgegangen war, hatte bislang nicht in den ehemaligen Kolonien operieren dürfen und verfolgte mit großen Interesse die unter den Code-Namen "Markus" und "Salah" eingehenden Berichte aus der arabischen Welt. Der bestens vernetzte Geheimagent gönnte sich in Tunis einen standesgemäßen Lebensstil mit Sportwagen und Dienstvilla, die er mit seiner aktuellen Frau bewohnte. Er rekrutierte etliche tunesische Regierungsmitglieder als Agenten, nicht jedoch schätzte er Staatschef Bourguiba, der mit Nasser um die Führungsrolle in er arabischen Welt konkurrierte. Unter größter Geheimhaltung traf Christmann sich 1957 mit Bourguibas Rivalen Ben Youssef, sicherheitshalber in Deutschland, was jedoch durch ein Leck im BND Frankreich zu Ohren kam.

Wie gefährlich dieses Doppelspiel war, belegt die Liquidierung Ben Youssefs durch Bourguiba, die 1961 in Frankfurt erfolgte. Auch der BND spielte doppelt und sandte heimlich einen zweiten BND-Mann aus einer SS-Seilschaft nach Tunis, was der Geheimdienstprofi Christmann schnell durchschaute. Sein Konkurrent knüpfte Kontakt zur antifranzösischen Nationalen Befreiungsfront FLN und baute dort eine paramilitärische Jugendorganisation im HJ-Stil auf, was Christmann mit Argwohn betrachtete. Christmann ließ sich durch Spitzel über die Aktivitäten der CIA in Tunis berichten und bekam außerdem Wind davon, dass der Staatschef den USA die Stationierung von Raketenabschussbasen anbot, wenn diese wiederum ein Übergreifen des Algerienkriegs verhinderten.

Algerienkrieg

In den 50ern mündete in Algerien der schwelende Konflikt mit der Kolonialmacht Frankreich in einen Bürgerkrieg, dem Frankreich mit äußerster Härte begegnete, bis zu 800.000 Soldaten aufbot und Rebellen brutal folterte. Schlüsselfiguren der antifranzösischen Nationalen Befreiungsbewegung (AFN und FLN), welche die algerische Exilregierung formierten, wichen nach Tunesien aus, wo sie mit Christmann Freundschaft schlossen. Selbst zu den in Paris inhaftierten Führungspersonen hielt der BND-Mann über deren Anwälte Kontakt. Christmann organisierte für die 400.000 in Lagern lebenden Flüchtlinge Medikamente, logistische Unterstützung und Sachspenden, was ihm wieder die Aufmerksamkeit der französischen Konkurrenz einbrachte.

Um den Kämpfern einen völkerrechtlich anerkannten Kombattantenstatus zu verschaffen, der nur uniformierten Streitkräften zusteht, entwarf Christmann Rangabzeichen inklusive Wappen mit geballter Faust und lodernder Flamme, die er in Deutschland fertigen ließ. Seine Unterstützung der Befreiungsbewegung erlaubte Einblicke in deren Struktur und Flügelkämpfe, auch aus anderen afrikanischen Ländern flossen über diesen Kanal entsprechende Informationen. Christmann organisierte u.a. mit gefälschten Pässen die Ausschleusung desertierter algerischstämmiger Offiziere. Der ehemalige Fremdenlegionär unterstützte mit Propagandamaterial wie Freddy Quinn-Schallplatten mehrere Hundert deutschstämmige Fremdenlegionäre, die zur ALN desertierten und unter arabischen Decknamen kämpften.

Christmann sah in dem inhaftierten ALN-Führers Ben Bella einen Garant gegen das Abgleiten der Befreiungsbewegung in den Kommunismus. Ein Jahr nach der "Schlacht um Algier" war das Bundeskanzleramt durch Christmann über die streng geheimen Verhandlungen zwischen FLN und Frankreich informiert. Nachdem Ben Bella freigelassen wurde, half der erfahrene Agent beim Aufbau des algerischen Geheimdienstes, den Pullach damit von Anfang an kannte.

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