Der Geheimagent für besondere Aufgaben

Seite 4: Geheimdienstkrieg in Westeuropa

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Durch Christmann war der BND sogar vorab von Bombenanschlägen informiert, darunter auch solche in Frankreich etwa auf Raffinerien, warnte jedoch seinen französischen Partnerdienst nicht. Einer der Anschläge galt dem Staudamm beim südfranzösischen Fréjus, dessen Bruch 412 Menschen das Leben kostete, jedoch bis heute als "Unglück" vertuscht wird. Der französische Geheimdienst ließ sich die Präsenz von ALN-Führern in Deutschland nicht mehr bieten und liquidierte diese serienweise auf offener Straße, was seine psychologische Wirkung bei den Algeriern nicht verfehlte. Auch deutsche Waffenhändler tötete der französische Geheimdienst durch Bomben.

Die Bundesregierung tolerierte die algerischen Aktivitäten auf deutschem Boden, weil sie mit Recht befürchtete, dass sich die Algerier andernfalls bei der DDR umsahen. Auf Druck Frankreichs ging die Bundesregierung bzgl. der Beobachtungen des in Bonn ansässigen FLN-Verbindungsbüros dennoch gewisse Kompromisse ein, die von der nachrichtendienstlich stets informierten DDR propagandistisch als Verrat an den Algeriern bezeichnet wurde. Tatsächlich fuhr der listenreiche Adenauer mehrgleisig. In dem damaligen Klima der Verschwörung geriet auch Christmann mehrfach in Verdacht, wieder ein Doppelagent zu sein, diesmal für Frankreich, weshalb ihn der Tunesier Krim Belgacem liquidieren wollte.

Ein ähnliches Problem hatte der französische Staatschef Charles de Gaulle, dessen ultrarechte Algeriengeneräle heimlich die Untergrundarmee Organisation Armée Secrèt (OAS) aufstellten, auf den eigenen Staatschefs ein Attentat verübten und in Paris putschten. Den Verschwörern fehlte jedoch der Rückhalt in der Bevölkerung. Der Drahtzieher des Komplotts, Bidault, floh nach offizieller Darstellung nach London, tatsächlich aber verweilte er mit Wissen Adenauers lange in Oberbayern. Nachdem sich de Gaulle seine Macht wieder gesichert hatte, ließ Adenauer Bidault fallen.

Der BND-Zentrale in Pullach, die der Agent nie aufgesucht hatte, wurde Christmann wegen seiner Nähe zum Beobachtungsobjekt zunehmend suspekt. Christmann lehnte es ab, in Algerien den neuen Geheimdienst auszuspionieren, weil er dies als Verrat an seinen Freunden betrachtete. Christmann missbilligte entschieden den politischen Kurs des Westens, in Afrika zugunsten der ehemaligen Kolonialmächte oder den USA Subversion zu betreiben, kritisierte offen die Foltermethoden des Belgischen Geheimdienstes sowie die Ermordung von Lumumba.

Schließlich geriet er auch noch in das Visier des deutschen Botschafters in Tunis, über dessen ausschweifendes Privatleben er an den BND berichtet hatte, was dem erbosten Diplomaten zu Ohren gekommen war. Das Verhältnis zwischen dem gesundheitlich angeschlagenen Meisterspion und dem BND kühlte sich ab, so dass man 1961 getrennter Wege ging. Christmann, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, bemühte sich vergeblich um Rentenansprüche und führte einen bescheidenen Lebensabend. Seinen letzten Auftrag erledigte der Veteran 1982 im 77. Lebensjahr für Ben Bella, der die aktuelle tunesische Regierung mit Deckung von Iran und Lybien destabilisieren wollte. Christmann starb am 06.11.1989 in Frankfurt am Main eines natürlichen Todes.

Matthias Ritzi / Erich Schmidt-Eenboom
Im Schatten des Drittens Reiches
Der BND und sein Agent Richard Christmann
248 Seiten, € 19,90

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