Der Griff nach dem Internet

Neo-Monopolist Worldcom auf Expansionskurs

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"Wem gehört das Internet?" Bis vor wenigen Tagen schien die Frage fast unbeantwortbar. Die romantische Antwortvariante: Das Internet ist für alle da und gehört seinen Netizens. Die Verbindungen werden von den Providern bei den großen Telekommunikationsriesen angemietet und irgendwie gehört allen etwas, so die bodenständige Variante. Seit einigen Tagen wissen wir es besser: Das Internet gehört Worldcom - bald.

Worldcom gab am 1. Oktober die Pläne für eine Übernahme der zweitgrößten US-Telefongesellschaft MCI bekannt: MCI-Aktionäre können ihre MCI-Aktien zum Kurs von 41,50 US-Dollar gegen WordCom-Stammaktien eintauschen. Das Angebot liegt 41 Prozent über dem September-Schlußkurs des MCI-Wertpapiers. Für Geschäftsführer Bernard Ebbers, ein ehemaliger Basketball-Trainer und Hotelbesitzer der krönende Abschluß einer spektakulären Serie von 40 Übernahmen innerhalb der letzten fünf Jahre. Laut Reuters erzählte Ebbers Journalisten, daß es neben MCI auch eine andere Möglichkeit gegeben habe: AT&T. Auf die Frage, ob er das ernst oder als Witze meine, antwortete er: "Beides".

Falls der Coup klappt, übt Worldcom die Kontrolle über mehr als die Hälfte des gesamten Internet-Netzwerkes aus. Worldcom und MCI können zudem Orts- und Ferngespräche sowie internationale Dienste anbieten.

Mit mehr als 30 Milliarden US-Dollar Umsatz können sie in die Runde der Global Players aufsteigen. Mit dem Deal würde der viertgrößte Telekommunikationskonzern der USA an die zweite Stelle hinter Branchenführer AT&T aufsteigen. Damit mischt Worldcom das sorgfältig austarierte Machtsystem zwischen den Mitgliedern des alten "Club-Systems" auf.

Bislang beherrschen drei Allianzen den weltweiten Kommunikationsmarkt: MCI und British Telecom beteiligten sich gemeinsam an Concert. Der amerikanischen Marktführer AT&T steckt mit dem japanischen KDD und dem Internet-Dienstleister Unisource in World Partners unter einer Decke. Die Deutsche Telekom kooperiert mit der France Telecom über die gemeinsame Tochterfirma Sprint unter dem Decknamen Global One. Die milliardenschweren Konzerne streben ein Rundumangebot im Telefon-, Fernseh- und Internetgeschäft an. Als Carrier, Connection Service als auch Content Provider steht den Global Players der gesamte Telekommunikationsmarkt offen.

Die Strategie der privaten Aufsteiger ist immer dieselbe. Vor allem mit lukrativen Fernverbindungen können die Konkurrenten einen ersten Fuß in die Tür stellen. Je mehr sie dabei über leistungsfähige Auslandsverbindungen verfügen, desto unabhängiger können sie ihre Tarife gestalten. Der Aufstieg von Worldcom verlief musterhaft. 1983 wurde der Vorläufer Long Distance Discount Services (LDDS) gegründet. Nach der Deregulierung des US-Fernsprechmarktes versuchten viele neue Firmen über den Weiterverkauf von AT&T-Fernsprechverbindungen in das Geschäft einzusteigen. Doch AT&T diktierte als Großbesitzer über Kabel und Satelliten die Grundpreise. "Friß oder stirb" könnte das Motto von LDDS-Gründer Bernard Ebbers lauten. Allianzen gibt er keine Chance, für ihn ist der Kauf die beste Strategie.

Sein Einstieg in das Telekommunikationsgeschäft: Lokale Carrier erwerben, die Ferngespräche an Geschäftskunden verkaufen, und über entstehende Synergieeffekte Einsparungen vornehmen. Er kaufte den börsennotierten Konkurrenten Advantage Co und ging 1989 an die Börse. Alle weiteren Übernahmen verliefen nun nach demselben Muster: Aktientausch. 1993 kaufte Worldcom für 1,2 Mrd. US-Dollar die Konkurrenten Resurgens Communications Group und Metromedia Communications Corp, um das Ferngesprächgeschäft weiter auszubauen. 1995 folgte mit 2,5 Mrd. US-Dollar WilTel Network Services, das ein 11.000 Meilen langes Glasfaser einbrachte. Mit dem Kauf von MFS Communications und seiner Tochterfirma UUNET Technologies machte Bernard Ebbers erstmals in Europa auf sich aufmerksam. Der 12,5 Mrd. US-Dollar Aktientausch brachte den weltgrößten Internet Service Provider zu Worldcom.

Die für den schnellen Expansionskurs nötigen Aktien wurden neu emittiert. Die Börse zeigte sich durch das aggressive Vorgehen des Newcomers nicht irritiert. Im Gegenteil: Die Kurse stiegen seit dem Börseintritt 1989 kontinuierlich. Wer damals 100 US-Dollar in Worldcom investierte, verfügt heute über 3000 US-Dollar. Der 1,8 Prozentanteil von Ebbers ist heute 600 Millionen US-Dollar wert. Letzte Woche zeigte sich die Börse nach der Ankündigung des Deals nicht beunruhigt. Obwohl Ebbers die 30 Milliarden über Neuemissionen aufbringen will, stieg die Worldcom-Aktie sogar geringfügig.

Worldcom zeigt sich bei seinen Übernahmen nur an Unternehmen interessiert, die eigene Netzinfrastrukturen aufgebaut haben. Das eigentlich Spektakuläre am Compuserve-Deal war nicht die Tatsache, daß der kleine Newcomer AOL den ältesten Online-Dienst der Welt geschluckt hatte. Denn AOL erhielt nur die Eingeweide und mußte das Skelett an Worldcom abgeben: Worldcom hatte Compuserve durch einen Aktientausch erworben, jedoch nur die technische Infrastruktur (Compuserve Network Services - CNS) behalten und den Rest an AOL weitergegeben. Doch auch dies nicht ohne Bedingungen. AOL mußte seine Netzwerke (Advanced Networks and Services - ANS) für nur 175 Mio. US-Dollar an Worldcom abgeben. Damit kontrolliert Worldcom weltweit die komplette Netzinfrastruktur von Compuserve und AOL. Noch steht der Deal zur Genehmigung bei den US-Behörden aus, im ersten Quartal 1998 soll es der Kauf abgeschlossen sein. Auch Brooks Fiber Properties wurden in diesem Jahr von Worldcom übernommen. Die Fusion mit einem Wert von 2,4 Mrd. US-Dollar bringt 34 US-Citynetze mit sich.

Die aggressive Akquisitionspolitik brachte Worldcom auch in Deutschland binnen kürzester Zeit an die Spitze der privaten Internet-Provider. Im November 1996 hatte der US-amerikanische Provider UUnet, das Internet-Unternehmen von Worldcom, 100 Prozent an Eunet erworben. 1992 war Eunet aus einem Drittmittelprojekt an der Universität Dortmund hervorgegangen und konnte sich neben dem Mitbewerber Xlink als führender Anbieter von Internetdiensten in Deutschland schnell an die Spitze setzen.

Mit dem Erwerb von MCI würde Worldcom auch in Deutschland größere Einflußmöglichkeiten besitzen. Schon jetzt verfügt der Telekommunikatonsriese über mehr als 1000 Einwahlknoten (POPs) in der ganzen Welt, über 20.000 Meilen Leitungen in den USA, über 80 Satelliten- Sende/Empfangsstationen, Kapazitäten in fast jedem Unterwasserkabel und lokalen Netzwerken in 41 Städten. Monate vor seinen Konkurrenten schloß Worldcom Interconnection-Vereinbarungen mit der Deutschen Telekom, der France Telekom und anderen europäischen Noch-Monopolisten ab.

MCI hingegen zeigt sich wenig von dem Angebot begeistert. Schließlich ist der US-Konzern viermal größer als Worldcom, das Angebot daher fast schon demütigend. Uli Schulze, Sales Manager von MCI in Deutschland, räumt ein, daß die "Aktienschiene für Aktionäre ganz interessant sein könnte", doch eigentlich sei allen "etwas unwohl bei der Sache". Ob die MCI-Kunden sich für den Deal begeistern, wagt er zu bezweifeln. Er befürchtet sogar einen "gefährlichen Imageverlust" für den Konzern. Doch nicht die Kunden, sondern die Aktionäre werden bei einer Sonderversammlung im November über das Angebot entscheiden. MCI wird den Aktionären ein Bonbon anbieten, um doch für die seit drei Jahren geplante Fusion mit der British Telecom (BT) zu stimmen. Immerhin arbeiten beide seit 1984 erfolgreich in dem gemeinsamen Unternehmen Concert zusammen. Eine Bedingung der Fusion ist die Aufteilung des Weltmarkts. BT ist für Großbritannien zuständig, MCI in den USA und Concert bedient den Rest der Welt.

Das letzte Angebot der Briten betrug rund 18 Milliarden Dollar. Ebbers plazierte sein Angebot in einer für beide Verhandlungspartner schwierige Phase. Seit August stocken die Verhandlungen zwischen BT und MCI, da MCI in diesem Jahr größere Verluste als erwartet eingefahren hat. Auch die Aktie sackte von 49 auf 29 Dollar ab, erholte sich jedoch nach der Bekanntgabe der Worldcom-Pläne auf 36 US-Dollar. Da MCI nun wieder etwas mehr wert ist, fällt der Gewinn der Aktionäre im Falle eines Aktientauschs mit Worldcom nicht mehr so lukrativ aus. Die Briten werden ihr Übernahmeangebot etwas aufstocken müssen, konnten sich bis jetzt jedoch noch zu keinem Statement entschließen. Selbst wenn Worldcom leer ausgehen sollte, so hat sie den Konkurrenten allein durch das Angebot bereits angeschlagen. Während die BT noch über ihr Gegenangebot nachdenken, streut Ebbers Salz in die Wunden: "Für die MCI-Aktionäre ist unser Angebot interessanter als ein Zusammenschluß mit der BT". Schließlich biete nur Worldcom die notwendigen lokalen Netzinfrastrukturen.

Die Vorbereitungen für den BT/MCI-Merger waren in diesem Jahr schon weit gediehen. Im Mai hatte die europäische Wettbewerbsbehörde der geplanten Fusion von MCI und British Telecom zugestimmt. Falls die Aktionäre zustimmen, muß die Europäische Kommission den neuen Deal mit Worldcom wahrscheinlich erneut prüfen müssen. Auch in den USA muß der in der US-Geschichte bislang größte Firmenkauf von den Behörden erst noch genehmigt werden. Doch selbst wenn der Coup aus welchen Gründen auch immer nicht klappen sollte, bleibt Worldcom ein ernstzunehmender Gegner für die alteingesessenen Telekom-Clubs.

Die Deregulierung des Telekommarktes läutet weltweit eine allmähliche Umstrukturierung ein, doch rechnete bis jetzt niemand mit Neo-Monopolisten. Mit dem MCI-Schnäppchen könnte Worldcom die Kontrolle über circa 60 Prozent aller US-amerikanischen Internetverbindungen erlangen, so die Schätzung von Business TIME. Für kritische Beobachter eine gefährliche Situation, da der Merger aus Worldcom und MCI nun die ökonomische Entwicklung des Internets maßgeblich beeinflussen kann. Manche sehen in Bernard Ebbing sogar bereits den Bill Gates der Netzwerke.

Sofort nach Bekanntgabe des Angebots traten die kanadische Netzaktivisten von TAO Communications auf den Plan, um ein Gegenangebot für MCI anzubieten. "Wir dachten uns, wir könnten mal MCI mitnehmen, aber weil wir gerade dabei sind, könnten wir genauso gut auch Worldcom schnappen", so Geschäftsführer Indivia Dual in Anspielung auf Bernard Ebbers AT&T Witz. Die Aktien der neuen Firma aus TAO und MCI sollen dann an jeden verteilt werden, der in der Nähe der Netzwerkinfrastruktur von MCI oder Worldcom lebt.

Auf einer Pressekonferenz in Toronto erklärte Indiva Dual: "Jemand muß im öffentlichen Interesse reagieren und den großen Batzen Macht, der von einer Handvoll von Firmen ausgeübt wird in Frage stellen." TAO Communications sind nicht die einzigen, die sich Sorgen machen. Rop Gonggrijp, Geschäftsführer des niederländischen Providers XS4ALL sieht bereits "die Zukunft des Internet in Gefahr". Frißt der Kommerz seine Kinder?