Der Irak, biologische Waffen und der neue Krieg
Die Angst vor Terroranschlägen mit biologischen Massenvernichtungsmitteln steigt.
Wie die Geschichte es so will, fällt die angeblich Sex-Affäre Bill Clintons gerade in die Zeit, in der sich auch der Konflikt mit dem Irak zuspitzt. Die Behinderung der Arbeit der UNSCOM (United Nations Special Commission), die die Vernichtung der Massenvernichtungsmittel überwachen soll, verstärkt den Verdacht, daß der Irak weiterhin die Aufrüstung mit biologischen Waffen betreibt. Der Irak gab zu, daß er vor dem Golfkrieg große Mengen an Anthrax (Milzbrand), Botulinustoxin und Afloxitin aus Schimmelpilzen hergestellt und diese Gifte in Scud-Raketen und andere Geschoße gefüllt habe. Mindestens hundert Raketen waren mit dem Botulinustoxin, 50 mit Anthrax und 16 mit Aflatoxin gefüllt. Zudem wurden bemannte und fernsteuerbare Fluggeräte als Tanks umgebaut, mit denen sich bis zu 2000 Liter Anthrax versprühen lassen konnten.
Weil auch noch passend gerade der Film "Wag the Dog" in den Kinos läuft, in dem ein amerikanischer Präsident, um im Wahlkampf die Beziehung zu einer jungen Frau zu vertuschen, von seiner Beratern dazu gebracht wird, einen Krieg gegen ein anderes Land vorzutäuschen, gibt es jetzt jedenfalls einen guten Grund, die Amerikaner nicht zu unterstützen, den Irak notfalls auch militärisch dazu zu zwingen, seine biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen zu zerstören. Hat eventuell der Herrscher im "Reich des Bösen" die Verschwörung gegen Clinton zusammengebastelt, um eine UN-Aktion abzuwehren und die USA zu lähmen? Natürlich stellt der Irak vielleicht nur einen Sündenbock für ein Problem dar, das in Zukunft größer werden und vor allem die Menschen in den Ballungsgebieten gefährden könnte. Man verdächtigt auch andere Staaten, daß sie über biologische Waffen verfügen und Programme zur Herstellung solcher Waffen betreiben, z.B. Syrien, Iran, Libyen, Ägypten, Israel, Nord-Korea, Vietnam, Indien, Pakistan, China und möglicherweise immer noch Rußland und andere ehemalige Staaten der früheren Sowjetunion, vielleicht auch die USA..
Schwierig ist bei solchen Vermutungen freilich, die Anlagen zur Herstellung biologischer Waffen zu identifizieren, denn sie unterscheiden sich durch nichts von gewöhnlichen biotechnologischen Laboratorien. Auch in Krankenhäusern oder gar in Privatwohnungen könnte man pathogene Kulturen züchten, da die Herstellung heute leichter zu kontrollieren ist. Schwierig ist auch, zwischen militärischer und ziviler Nutzung von Bakterien zu unterscheiden. Ebenso wie man gentechnisch bessere Impfstoffe entwickeln kann, lassen sich auch pathogene Keime verändern, widerstandsfähiger machen oder vielleicht gar durch genetische Marker auf bestimmte Bevölkerungsgruppen zuschneiden. Das läßt den Nachweis von Produktionsstätten für biologischen Waffen gegenüber solchen für chemische oder nukleare Waffen sehr viel schwerer werden. Innerhalb kürzester Zeit kann vor einer Kontrolle alles beiseite geschafft werden, was darauf hinweist.
Auch wenn mittlerweile über 140 Staaten das Übereinkommen zum Schutz vor biologischen Waffen (1972) unterschrieben haben, so bleibt die Biological Weapons Convention (BWC) jedoch solange wirkungslos, als nicht effektive Kontrollen in den Labors durchgeführt werden können. Seit 1995 wird an einer Verschärfung zur besseren Überprüfung gearbeitet, doch bislang ohne große Fortschritte (siehe die berichte über BWC des Henry Stimson Center oder Jonathan Trucker: Putting Teeth in the Biological Weapons Ban. Überall, auch in der BRD, wird an Nachweismethoden für biologische Waffen und Impfstoffen gearbeitet. Die USA bauen diese Programme in letzter Zeit schnell aus, um ihre Soldaten vor allem besser vor Anthrax oder Botulinustoxin zu schützen. Auch hier ist es schwierig zwischen militärischer Forschung über biologische Waffen und einer Forschung zu unterscheiden, die auf den Schutz vor biologischen Waffen orientiert ist. Die Forschung zum Schutz vor biologischen Waffen ist nach der BWC erlaubt, nicht aber die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von solchen. Weil aber die Biotechnologie ein heiß umkämpfter Zukunftsmarkt ist, sperren sich insbesondere Firmen aus Japan und den USA gegenüber internationalen Kontrollen, weil sie Industriespionage fürchten oder möglicherweise fälschlich unter Verdacht geraten könnten.
Möglicherweise hat der Irak, in der Tradition Nazideutschlands und Japans während des II. Weltkriegs, auch Experimente an Menschen durchgeführt, wie MSNBC. 1995 hatten UN-Inspekteure in der Nähe von Salman Pak, einem der biologischen Forschungszentren, das während des Golfkrieges auch bombadiert wurde, lange zugeschüttete Graben gefunden. Es stellte sich heraus, daß es sich um Massengräber mit vielen Hundert Leichen handelte. Überdies entdeckte man zufällig Zellen und Inhalationskammern, die so groß waren, daß nicht nur Tiere, sondern auch Menschen hineinpassen würden. Die Iraker stritten alles ab und sagten, so ein UN-Inspektor, daß hier Dissidenten und Saboteure gefangengehalten und nach dem Krieg getötet wurden. Möglicherweise handelte es sich aber auch um iranische Kriegsgefangene oder um Menschen aus Kuweit, die nach der Invasion mitgeschleppt und niemals mehr aufgefunden wurden. Die Inspektoren durften schließlich einige Leichen ausgraben, wobei sie nichts Auffälliges fanden. Kurz danach aber holten die Iraker die Leichen aus den Gräbern und brachten sie an einen unbekannten Ort. Ein indirektes Indiz für tödliche Experimente an Menschen ließe sich daraus ableiten, daß die Iraker eine Zeitlang keine Primaten mehr aus Afrika erhalten hatten und daher möglicherweise auf Menschen zurückgegriffen haben könnten. Man vermutet, daß der Irak möglicherweise aus Angst, daß man auf Spuren solcher Experimente stoßen könnte, die Arbeit der UNSCOM verhindert.
Auch wenn der Irak behauptet, er habe die biologischen Waffen nach dem Krieg zerstört, so vermuten die UN-Inspektoren, daß noch immer zumindest ein Teil dieser Waffen vorhanden ist und daß die Produktion und Entwicklung der biologischen Waffen in geheimen Anlagen weitergeführt wurde. Verantwortlich für die Herstellung biologischer Waffen ist eine Frau, die in England studiert hatte. Rashida Taha al-Awazi ist der Kopf hinter den Waffen des kleinen Mannes, wie die biologischen Waffen gelegentlich genannt werden, weil sie relativ leicht hergestellt werden können und zudem kleine Mengen reichen, um große Menschenmassen zu vernichten. Einen Quadratkilometer mit konventionellen Waffen "abzudecken", würde 2000 Dollar kosten, mit nuklearen Waffen 800, mit chemischen Waffen 600 und einen Dollar mit biologischen Waffen. Ein Millionstel Gramm Botulinustoxin genügt, um einen Menschen zu töten. Und 100 Kilogramm Anthrax, das von einem Flugzeug in einer windstillen Nacht über einem dichtbesiedelten Gebiet versprüht wird, könnte bis zu 3 Millionen Menschen töten. Zur Herstellung benötigt man nur wenige Tage. Biologische Waffen sind also durchaus in ihrem Wirkungsgrad mit einer Wasserstoffbombe zu vergleichen. Viren könnten natürlich auch mit einem Auto versprüht oder mit dem Trinkwasser, mit Lebensmitteln oder Klimaanlagen verbreitet werden. Taha al-Awazi hatte gegenüber der UNSCOM auch eingeräumt, daß man gegenüber Antibiotika resistente Bakterien mit der Hilfe von Gentechnik erzeugen wollte. Manche befürchten, der Irak habe mittlerweile so viele biologische Waffen angesammelt, daß sich damit theoretisch die gesamte Bevölkerung der Erde töten ließe. So gibt es nach UN-Schätzungen etwa 200 Tonnen des tödlichen Nervengases VX - eine Menge, die für alle Menschen genügen würde. Richard Butler, der Leiter der UN-Abrüstungskommission in Irak, sagte unlängst, daß der Irak zumindest genügend Waffen habe, um die gesamte Bevölkerung von Tel Aviv mit einem Raketenangriff auszulöschen.
The forntlines are no longer overseas
Us-Verteidigungsminister William Cohen 1997
Obwohl der Irak während des Golfkriegs weder chemische noch biologische Waffen eingesetzt hat, ist die Bereitschaft vorhanden, was der Einsatz von chemischen Waffen während des Krieges mit Iran und die wahllose Tötung von Kurden mittels eines chemischen Nervengases gezeigt hat. Wirklich erschrocken ist man in den USA eigentlich erst, nachdem man 1995 Einblick in das irakische Arsenal von biologischen und chemischen Waffen erhalten hat. Und nachdem überdies der Terrorismus, wenn auch erst mit ganz "traditionellen" Bomben, ins Innere der USA eingezogen ist, fürchtet man nicht nur militärische Anschläge, sondern auch solche von Terroristen. Während einer neuen kriegerischen Auseinandersetzung befürchtet man denn auch, daß Anschläge mit chemischen und biologischen Waffen durch Terroristen, die den Irak unterstützen wollen, geschehen könnten. Das verwundbare Amerika lautete denn kürzlich ein Titel vom Times Magazine. Das FBI glaubt nicht nur an eine größere Bedrohung von außen, sondern daß auch religiöse Fanatiker, rechte Militias, Abtreibungsgegner oder radikale ethnische Gruppen ein wachsendes Interesse an biologischen Waffen zeigen würden. Massenvernichtungsmittel können so in die Hände von einzelnen kommen und genauso bedrohlich sein wie eine konventionelle, zu allem entschlossene Streitmacht. Doch biologische Waffen können im Gegensatz zu Truppen, Schiffen, Fahrzeugen, Raketen oder Flugzeugen relativ leicht und unerkannt über die Grenzen ins Land gebracht werden. 1996 hat der Kongreß den Defence Against Weapons of Mass Destruction Act verabschiedet, um Terroranschläge in den USA besser zu verhindern und lokale Behörden darin zu unterrichten, wie sie sich auf einen Ernstfall vorbereiten könnten. In den nächsten fünf Jahren wollen die USA 500 Millionen Dollar mehr als die zunächst geplanten in Forschungsprogramme zum Schutz vor chemischen und biologischen Waffen stecken. Mehr als 6 Milliarden Dollar werden insgesamt in Programme hineingesteckt, die mit Maßnahmen gegen Terrorismus verbunden sind.
Milliarden gebe die amerikanische Regierung mit über 40 Programmen zum Schutz der Bürger gegen die neuen Gefahren aus. Das Counter Terrorisme Center wurde aufgestockt. Man will bessere Detektoren, Masken, Filtersysteme und Gegenmittel entwickeln. Biotechnologische Labors werden eingerichtet und spezielle Fahrzeuge gebaut, mit denen man in kontaminiertes Gelände fahren kann. Wichtige Gebäude sollen durch mehr Wachen, bessere Zäune und Metalldetektoren geschützt und naheliegende Parkplätze aufgelöst werden. Sondereinheiten werden ausgebildet, um mit biologischen und chemischen Waffen zurechtzukommen. Die Nationalgarde soll dem Schutz vor Terrorangriffen dienen und Abwehrmaßnahmen koordinieren. Medikamente sollen an alle Bürger im Falle eines biochemischen Angriffs verteilt werden. Neu ist auch die Chemical and Biological Quick Response Force als Teil eines Pentagonprogrammes. In insgesamt 120 Städte soll ein Schulungsprogramm durchgeführt werden. In New York City wurde im November 1996 bereits der Ernstfall durchgespielt: auf einen Anschlag mit dem Nervengas VX, das der Irak tonnenweise vorrätig haben soll. Und man will für 200 Millionen Dollar eine Stadt irgendwo in den USA bauen, ausgestattet mit U-Bahn, Bürogebäuden, Wohnhäusern und einem Elektrizitätswerk, um die Menschen im Umgang mit Angriffen durch biologische und chemische Waffen zu auszubilden.
Aufgewacht sind die USA durch den Anschlag auf das World Trade Center im Jahre 1993, bei dem 6 Menschen den Tod und weitere 1000 verletzt wurden. Wenn der Attentäter Ramzi Yousef es geschafft hätte, das Gebäude zum Einsturz zu bringen, so hätten vielleicht an die 250000 Menschen sterben können. Timothy McVeigh schließlich hat 1995 den Bombenanschlag auf das Bundesgebäude in Oclahoma City verübt, das 168 Todesopfer forderte. Beide Attentate wurden ohne Bekennerschreiben oder einen Versuch der Legitimation ausgeführt. Der Trend, so das US-Department of State in seiner Studie über die Muster des globalen Terrorismus 1996, zu brutaleren Anschlägen auf zivile Menschenmassen und zu stärkeren Bomben nehme zu, auch wenn die Anzahl der Anschläge abgenommen habe. Angeführt wird der Bombenanschlag in Dharan, bei dem 19 Soldaten getötet und weitere 240 verletzt wurde, mehrere Selbstmordanschläge in Israel (beispielsweise auf einen Bus in Jerusalem mit 26 Toten und 80 Verletzten), die Besetzung der japanischen Botschaft in Lima, Terroranschläge in Ägypten, Algerien oder Sri Lanka. Ein mit Sprengstoff beladener Lastwagen wurde im Zentrum von Colombo gestellt und verursachte den Tod von 90 Menschen. Über 1400 wurden verletzt. Die jüngsten Terroranschläge in Ägypten oder in Indien zeigen jedenfalls ebenso wie das ununterbrochene Blutvergießen in Algerien, daß die Bereitschaft wächst, viele Menschen abzuschlachten.
Das mittlerweile ausgerufene neue Zeitalter des Terrorismus hat aber vielleicht seinen ersten Vorschein in den Aktivitäten der japanischen Sekte AUM gefunden. Am 20. März 1995 hatte die Sekte einen Giftgasanschlag mit Sarin auf die überfüllte U-Bahn in Tokyo ausgeübt, durch den 12 Menschen starben und 5000 verletzt wurden. Zuvor war bereits auf einem Gelände der AUM-Sekte selbst Sarin ausgetreten und hatte zum Tod von 7 Menschen geführt. Angeblich sollen auch Anschläge in den USA geplant gewesen sein, und die Bevölkerung einer großen japanischen Stadt sollte mit einem Hubschrauber ausgelöscht werden, den sie von den Russen gekauft hatten und mit dem sie das Gebiet besprühen wollten. Später entdeckte man, daß die Sekte auch große Mengen Anthrax und Botulinustoxin gelagert hatten. Vor wenigen Tagen sagte übrigens ein tschetschenischer Widerstandskämpfer im Fernsehen, daß ein Giftgasanschlag gegen Rußland geplant sei.
Das Problem am "neuen Zeitalter des Terrorismus" ist, daß auch Abkommen wie die Biological Weapons Convention noch auf einen Zustand der Welt ausgerichtet sind, der langsam am Verschwinden ist. Die Staaten verlieren im Globalisierungsprozeß immer mehr an Macht. Kriege finden innerhalb der Staaten und zwischen einzelnen Gruppen statt. Die großen Armeen der Staaten mit ihren komplizierten Technologien und ihrer aufwendigen Logistik sind vielleicht bald nicht mehr die geeigneten Schutzschilde gegen Angriffe mit Biowaffen oder gegen den Cyberwar. Andererseits könnte die große Angst, die vor dieser neuen Gefahr geschürt wird, darauf zielen, die Macht des Staates wieder zu stärken und die Überwachung zu forcieren. Wie fast immer sind die ablaufenden Prozesse ambivalent.
Siehe auch: Die Cybergrenzen in Gefahr