Der Irrweg der "Safe Spaces"
"Safe Spaces" sollen helfen, sind jedoch in vielerlei Hinsicht schädlich. Sie folgen einem egoistischen Wunschtraum, nicht der Realität. Teil 1: Keine Trigger
Bitte keine Oliven ...
Gerade an Feiertagen stehen viele Menschen, die andere zu einem gemeinsamen Essen einladen, vor dem Problem, entscheiden zu müssen, was serviert wird. Die diversen Vorlieben, Abneigungen, Allergien usw. der Gäste sind zu berücksichtigen, weshalb viele ab einer gewissen Anzahl von Gästen auch auf ein Buffet zurückgreifen. Ein Buffet, also eine Vielzahl von Gerichten, soll möglichst vielen Gästen insofern die Möglichkeit geben, wenigstens einige Gerichte zu finden, die ihnen zusagen. Kurze Informationen über die Zutaten sollen helfen.
In den letzten Jahren sind die Ansprüche an diese Informationen allerdings gestiegen - und je mehr Gäste, die nicht zu den "engen Vertrauten" gehören, geladen sind, desto mehr ist hier anzugeben. "Spanische Hühnerleber in Rotweinsauce mit Zwiebeln und Oliven, verfeinert mit Sahne und Cashewnuss" ist ein Beispiel dafür, wie aktuelle Deklarationen auch im Privatbereich aussehen können.
Hier sollen nicht nur Allergiker und Anti-Alkoholiker, sondern auch Vegetarier, Veganer und jene, die z.B. Oliven nicht mögen, bereits darüber informiert werden, dass sie diese Speise meiden sollten. Ist dies bereits etwas umständlich, so wird dies noch umständlicher, wenn diejenigen, die den Oliven nicht zugetan sind, diese nicht nur meiden, sondern auch darauf bestehen, dass diese in ihrer Gegenwart nicht angeboten werden.
Während dies bei den Oliven noch verhältnismäßig einfach ist, so wäre dies beispielsweise bei zwei Veganern schon schwieriger, die darauf beharren, dass keinerlei Fleisch, Fisch sowie Tierprodukte angeboten werden, von anderen diversen Aversionen gegen Tofu oder verschiedenste Gemüsearten abgesehen. Einfach gesagt: Wie soll ein chinesisches Buffet ohne Reis aussehen? Wie kann ein griechischer Abend ohne Oliven, Feta, Tomaten kulinarisch umgesetzt werden?
Das Buffetbeispiel soll dazu dienen, die Idee der "Safe Spaces" auf eine andere Seite des Lebens, nämlich die kulinarische, zu übertragen. "Safe Spaces" sind Orte, in denen bestimmte Restriktionen akzeptiert werden, um diejenigen, die sich an diesen Orten befinden, zu schützen.
"Safe space is a term for an area or forum where either a marginalised group are not supposed to face standard mainstream stereotypes and marginalisation, or in which a shared political or social viewpoint is required to participate in the space", ist auf Geekfeminism zu lesen. Ein Ort oder ein Forum, in dem entweder eine marginalisierte Gruppe nicht mit den typischen Stereotypen und der Ausgrenzung konfrontiert wird, oder ein Ort, an dem es notwendig ist, eine bestimmte politische oder soziale Ansicht zu teilen.
Diese Idee des Schutzes ist manchmal nachvollziehbar. Eine Selbsthilfegruppe für Opfer sexueller Gewalt möchte kaum während ihrer Zusammenkünfte mit sadistischen Sexualstraftätern konfrontiert werden; diejenigen, die sich über die psychischen Folgen der Adipositas austauschen, werden kaum Wert darauf legen, auch in der kurzen Zeit der Zusammenkunft die "Dicke sind faule asoziale Schweine"-Fraktion anzutreffen.
Doch endet die Zusammenkunft, so endet auch die "Sicherheitszone", das wahre Leben mit all seinen negativen und positiven Facetten wartet. Die "Safe Spaces" sind also meist sowohl temporär als auch lokal begrenzt. Um erneut auf die Buffetanalogie zurückzugreifen: Nach dem Essen beim besten Freund gibt es eben beim griechischen Buffet um die Ecke doch wieder Oliven, der Veganer sieht sich in der Stadt wieder mit Burgern, Würstchen und Eiern konfrontiert und der der Gemüseablehner muss mit den grünen Smoothies, mit Salaten und Co. leben.
Alles triggert
Die "Safe Spaces", die nunmehr nicht nur in Lehreinrichtungen gefordert und gefördert werden, ähneln eher dem "Nirgendwo Oliven"-Modell. Dabei gehen sie oft genug noch einen Schritt weiter, denn es reicht hier nicht, eindeutige Aversionen zu beachten, sondern auch Dinge, die ggf. abgelehnt werden, ohne dass dies demjenigen, der sie ablehnt, klar ist. Denn anders als bei kulinarischen Angelegenheiten geht es bei den "Safe Spaces" in den Lehreinrichtungen beispielsweise auch um das, was in manchen Bereichen sowohl on- als auch offline mit sogenannten Triggerwarnungen versehen wird.
Triggerwarnungen sollen vermeiden, dass durch Worte, Sätze, Beschreibungen etc. bestimmte Verhaltensweisen aktiviert werden. Diejenigen, die durch die Trigger (Schlüsselreize) gefährdet werden können, sollen so geschützt werden. Ein Beispiel hierfür sind Foren, in denen sich Personen austauschen, die sich selbst verletzt haben oder aber an Anorexia leiden.
Vielfach wird angenommen, dass hier quasi eine Art Glorifizierung der Verhaltensweisen stattfindet, doch oft sind diese Foren eher solche, in denen kritisch und oft sogar geradezu selbstverachtend über das eigene Verhalten reflektiert wird, in denen geholfen und unterstützt wird. Dennoch sind die Foren oft mit den "Triggerwarnungen" versehen, was bedeutet, dass sich die Betreiber als auch die Nutzer einig sind, dass manche Beschreibungen der Verhaltensweisen Nutzer z.B. dazu verführen könnten, erneut jene Verhaltensweisen auszuüben, die ggf. ja nicht mehr ausgeführt werden sollen.
Weniger verklausuliert ausgedrückt: Eine allzu plastische Beschreibung der letzten Selbstverletzungen könnte jemanden, der sich nicht selbst verletzten will, dies aber früher getan hat, dazu verleiten, sich erneut selbst zu verletzten. Allerdings bedarf es dazu keiner Beschreibung, oft reichen beispielsweise auch Bilder, Worte oder z.B. Liedertexte.
Mit der Klinge fahre ich langsam
(Subway to Sally - Narben)
Meinen Unterarm hinauf
Dann ein Schnitt, klein und flach
Und die Welt um mich blüht auf
Gerade der Titel "Narben" von der Gruppe "Subway to Sally" zeigt die unterschiedlichen Gefühle, die sich hinter der Selbstverletzung verstecken können, auf - und was anfangs eher glorifizierend klingt, wird durch weitere Textzeilen zu einer durchaus komplexen Abhandlung des Themas.
Dass solche Texte aber durchaus auch "triggern" - also zu etwas verleiten bzw. etwas Verstecktes wieder ans Licht bringen können -, ist verständlich. Doch das Problem bei den Triggern ist, dass sie den Betroffenen oft nicht einmal bewusst sind, denn während es bei den Liedtexten oft noch simpel ist, wird es schwieriger, wenn es sich um weniger offensichtliche Trigger handelt.
Ein Trigger kann letztendlich alles sein. Diese Binsenweisheit der Therapie ist in Bezug auf die "Safe Spaces" keineswegs trivial. Sie bedarf durchaus aber einer Erklärung. In der Folge "Piano Man" der US-amerikanischen Serie "Criminal Minds" wird die Erinnerung an eine Vergewaltigung durch ein bestimmtes Musikstück geweckt, welches der Vergewaltiger spielt, in vielen Filmen und Büchern ist der unbewusste Trigger ein bekanntes und beliebtes Versatzstück. Durch Farben, Farbkombinationen, Musikstücke, Bilder, Redewendungen oder dergleichen mehr wird die Erinnerung an ein bestimmtes Erlebnis erst geweckt, die bisher verschüttet war. Daraus folgt, dass die Annahme, dass es möglich ist, alle Trigger vorauszuahnen bzw. auszuschließen, falsch ist.
Nicht zuletzt auch deshalb, weil es ja auch positiv behaftete Trigger gibt, d.h. was für eine Person eine positive Erinnerung bzw. ein positives Gefühl bewirkt, kann beim nächsten Angst auslösen. Oft ist auch das Erlernen eines positiven Triggers Teil einer Therapie, um mit erlebten Traumata fertig zu werden oder aber sich selbst zu stärken. Diese Schlüsselreizfunktion wird auch bei Selbsterfahrungs- und -motivationskursen oder aber auch durch die im Aberglauben verhaftete Glücksbringer genutzt.
Wenn aber letztendlich (fast) alles positiv wie auch negativ triggern kann, wird klar, dass die "Safe Spaces", die auf dem Gedanken basieren, die Schlüsselreize zu vermeiden, nicht funktionieren können. Denn wie soll beispielsweise jemand vor einem für ihn verletztenden Wort geschützt werden, wenn er nicht weiß, dass ein Wort für ihn verletztend sein kann und er dies ja erst erfahren muss? Doch es gibt noch weitere Aspekte, die es hierbei zu beachten gilt - denn allzu schnell werden Menschen verleitet, den "Safe Spaces" gerade auch in Lehranstalten zuzustimmen, und sie werden ausgegrenzt, wenn sie dies nicht tun.
Teil 2: Mein Leiden entscheidet