Mein Leiden entscheidet
Der Irrweg der "Safe Spaces" - Teil 2
Nehmt Rücksicht auf mich
Ein durchaus kontrovers behandelter Satz eines mir bekannten Psychotherapeuten lautete "Rücksicht verhindert Begegnung". Dies war natürlich eine verkürzte Ansicht, doch etwas erweitert ergibt sie durchaus ihren Sinn: "Zu viel Rücksicht verhindert Begegnung."
Teil 1: Keine Trigger
Gerade auch innerhalb einer stationären psychotherapeutischen Behandlung konnte die Wahrheit hinter diesem Satz allzu sehr gefunden werden. Diejenigen, die sich in die Behandlung begaben, waren teilweise einerseits damit beschäftigt, niemanden in irgendeiner Form zu "reizen", teilweise waren sie auch darauf erpicht, selbst nicht gereizt zu werden da (unter Umständen auch unbewusste) Reize sie zu zum Teil extremen Reaktionen brachten.
Da aber durch das fehlende Wissen ob der (Schlüssel-)Reize des anderen eine umfassende Rücksichtnahme gar nicht möglich war, waren Konfrontationen vorprogrammiert. Oft genug gingen diese mit Vorwürfen einher. Die Logik hinter diesen Vorwürfen bestand darin, dass manche Rücksichtnahme ja "nun einmal normal bzw. selbstverständlich" wäre, insofern also derjenige, der diese nicht ausübte, automatisch in der Rolle des Schuldigen für etwaige Probleme zu finden war.
Das Paradoxon dahinter war, dass sich unter Umständen zwar jeder Mühe gab, niemanden zu "triggern", durch das fehlende Wissen jedoch nicht in der Lage war, dies auch wirklich zu bewerkstelligen. Abhilfe hätte nur ein Nachfragen geschaffen, was jedoch bereits hätte triggern können und insofern vermieden wurde - die Rücksichtnahme wurde also durch zu viel Rücksichtnahme sogar erschwert, die Begegnung fand nicht einmal statt.
Hinter dem Wunsch, dass keinerlei negative Schlüsselreize mehr um einen herum zu sehen, fühlen, riechen, schmecken, hören sind, steht der Wunsch, dass sich die Welt (dem eigenen Erlebten) unterordnet und nur noch in positiver Weise existiert. Es ist der Wunsch nach einer Scheinrealität, denn es gilt insofern, nicht etwa mit dem Erlebten "ins Reine zu kommen", sondern vielmehr das Erlebte nicht mehr in irgendeiner Form wieder zu erleben und sich daran zu erinnern. Um dieses Ziel zu erreichen, muss sich die gesamte Umgebung verändern.
Ich komme wieder auf das Kulinarische zurück (das eine recht einfache Art, das Dilemma zu beschreiben, bietet): Um bloß niemandem durch irgendwelches Essen zu nahe zu treten oder gar dadurch schlimme Erinnerungen wieder ins Bewusstsein zu rufen, wird dann einfach gar nichts aufgetischt, was auch wieder schlimme Erinnerungen wachruft.
Um diese Situation zu vermeiden wird dann gar niemand mehr eingeladen, denn ein "Ich wollte eine Suppe mit Fleischbällchen, grünen Salat und eine Forelle anbieten - ist dir das recht?" könnte ja bereits dazu führen, dass sich jemand an eben dieses Menü erinnert, welches er mit schlimmen Erfahrungen verknüpft.
Wenn aber jemand nun nicht mehr eingeladen wird, kann er dies als Ablehnung ansehen. Hier wäre die Lösung eine Einladung - nur käme die ggf. mit der Frage nach Vorlieben, Allergien usw, was ggf. wieder ablehnend angesehen werden würde. Einen Weg aus dieser Falle gibt es dann nicht mehr - und insofern werden Menschen, die eigentlich geschützt werden sollen, gerade dadurch ausgegrenzt.
Ein Wort ist ein negatives Wort, ist ein positives Wort ...
Sind Safe Spaces sinnvoll, wenn es um rassistische oder sexistische Ausdrücke geht? Ein Blick darauf, was bereits als sexistisch oder rassistisch gelten kann, reicht aus, um die Problematik deutlich zu machen. Anders als beim Essen, bei dem eine Tomate eben eine Tomate ist, kann ein Wort ganz unterschiedlich gedeutet werden. Hier kommt es darauf an, wer es zu wem sagt, mit welcher Intention und so weiter.
Ein bekanntes Beispiel, das erst kürzlich in einem Comic dargestellt wurde, ist der Begriff "Nigger", den dunkelhäutige Menschen untereinander nutzen, genau so wie der Begriff "Schlampe" Eingang in den Jargon jüngerer Frauen untereinander gefunden hat. Um ihm den negativen Klang zu nehmen, wird dort ein Wort umgedeutet.
Wenn also ein Mensch eine Frau als Schlampe tituliert, um ihr mangelnden Ordnungssinn oder sexuelle Wahllosigkeit vorzuwerfen, dann ist dies anders zu werten, als wenn sich die Frau z.B. von einer Freundin so titulieren lässt und diese ggf. ebenso tituliert (im englischsprachigen Raum wäre dies der Begriff "Bitch", der auf diese Weise ins Positive verkehrt wurde).
In dem vorgenannten Comic beschwert sich eine Person bei zwei Menschen, die sich gegenseitig Nigger nennen, darüber, dass sie dieses Wort benutzen. Hier wird deutlich, dass es nicht mehr darum geht, dass das Wort die beiden Betroffenen beleidigt, sondern jemand außerhalb sich dadurch gestört fühlt. Das heißt, er will, dass seine eigene Befindlichkeit von allen anderen beachtet wird - auch wenn die anderen seine Ansichten bezüglich der Befindlichkeit nicht teilen.
Bei den Safe Spaces im universitäten Umfeld wird dies auch deutlich, wenn davon die Rede ist, dass z.B. Sprache vermieden werden soll, die ggf. als sexistisch, rassistisch, diskriminierend et cetera angesehen werden könnte. Dies "könnte" ist dabei entscheidend, denn es zeigt, dass hier schon die reine Möglichkeit dafür ausreichen soll, eine Art Scheinwelt zu schaffen, die von allem befreit ist, was in irgendeiner Form für irgendjemanden ein Problem darstellen könnte.
Deutlich wird dies in dem Beispiel eines im US-Magazin The Atlantic beschriebenen Geschehnisses: Um auf "Mikroagression" aufmerksam zu machen, wurde eine Installation mit typischen "mikroagressiven" Kommentaren auf Treppenstufen innerhalb der Universität umgesetzt. Dies wurde jedoch bereits als "Mikroagression" angesehen, weshalb sich die Installations-Urheber umgehend dafür entschuldigten und die Installation beendeten.
Die bereits geschilderte Installation zeigt auch einen weiteren Aspekt des Ganzen auf, der insbesondere hinsichtlich der Safe Spaces an Universitäten kritisch zu sehen ist: Die Diskussion auch mit konträren Meinungen, die gerade auch während der Erziehung und Bildung eine große Rolle spielen sollte, wird auf diese Weise im unangenehmsten Fall bis auf Null reduziert.
Stattdessen wird eine Welt geschaffen, in der die eigene Meinung die einzige ist, die zählt. Andere Meinungen, unerwünschte Worte et cetera werden nicht etwa von einer Person selbst herausgefiltert - vielmehr sollen sie im Umfeld der Person verboten werden. Dies führt paradoxerweise zu einem System, das ursprünglich einmal Menschen helfen sollte, aber letztendlich zu Angst führt. Denn schon unbedachte Wörter, Gesten usw. können zu ernsthaften Problemen führen, so dass das Universitätslehrpersonal eine "Schere im Kopf" ansetzen muss und stetig von der Angst vor Meldungen wegen eines unangemessenen Verhaltens begleitet wird. Das Ergebnis wären hier auch Opfer dieses Denkens, die ggf. nichts wirklich getan haben.
In einer Folge der US-amerikanischen Serie "Law and Order" (die bezeichnenderweise mit "Gummizelle" betitelt war) wurde dies filmisch umgesetzt, indem eine Reihe von Lehrerinnen teilweise über Jahre hinweg bei voller Bezahlung bis zu ihrem Verfahren durch ein entsprechendes Gremium 8 Stunden täglich tatenlos herumsitzen mussten.
Das unangemessene Verhalten, das ihnen vorgeworfen wurde, betraf z.B. einen Versuch mit einer Tesla-Spule, der als "Verbrennung eines Schülers" angesehen wurde - oder aber ein Missverständnis zwischen einer Lehrerin, die einem Schüler sagte, er könne ggf. bei Verhaltensweise X durch seine Mitschüler als dumm angesehen werden, was der Schüler aber so verstand, dass sie ihn als dumm bezeichnet hätte.
Für Lehrkräfte bedeutet dies, dass sie sich permanent in einem Minenfeld bewegen, was ironischerweise durchaus zu Angststörungen führen könnte. Im Endeffekt müsste also eine überzogene "Anti Trigger-Politik als etwas angesehen werden, was selbst als Trigger funktioniert und somit verboten gehört.
Teil 3: Freies Denken adieu