Freies Denken adieu
Der Irrweg der "Safe Spaces" - Teil 3
Wie bereits in Teil 2 beschrieben, ist durch die zunehmenden "Safe-Spaces"-Forderungen gerade auch das Lehrpersonal in einer unglücklichen Position. Es muss stets darauf bedacht sein, dass das, was gelehrt wird, nicht in irgendeiner Form als Schlüsselreiz dienen kann. Die Wünsche, bestimmte Inhalte nicht mehr zu lehren, nehmen zu. Ruth Sherlock, Editor der Harvard University berichtet in einem Artikel von Professor Jeannie Suk, die gefragt wurde, ob sie bitte sicherstellen könne, dass die Inhalte, die sich auf sexuelle Gewalt beziehen, nicht in der jährlich stattfindenden Prüfung Eingang fänden. Die Inhalte, so wurde der Wunsch begründet, könnten ja auf einige, die sexuelle Gewalt erlebt haben, verstörend wirken.
Teil 1: Keine Trigger
Teil 2: Mein Leiden entscheidet
Jeannie Suk lehrt Rechtswissenschaften und berichtet im Artikel von den Erfahrungen, die sie in Bezug auf "Safe Spaces" und darauf bezogene Forderungen machen konnte. So wurde z.B. angeregt, das Wort "violate" (verletzen) nicht mehr zu nutzen, da dies triggern könnte. Der Terminus "violates the law" ist jedoch ein gängiger Terminus im Rechtswesen - ihn auszuschließen wäre fast unmöglich und letztendlich auch sinnlos, da er sich ja in vielen Urteilen und Fachbüchern wiederfindet.
Spontaneität ist leider unmöglich
Was Professor Suk ebenfalls anspricht, ist der Verlust der Spontaneität, der mit den "Safe Spaces" einhergeht. So muss sie beispielsweise öfter eine Rechtfertigung dafür finden, warum sie bestimmte Filme, Bilder oder Texte zeigt, ohne vorher entsprechende Warnungen auszugeben. Doch wie in Teil 1 und 2 bereits dargestellt, bleibt die Frage offen, in welchen Fällen denn nicht die Möglichkeit besteht, dass die Elemente des Kurses in irgendeiner Form triggernd wirken könnten.
Literaturprofessoren haben begonnen, die Bücher, die in ihren Kursen gelehrt werden, mit entsprechenden Warnungen zu versehen, z.B. "Der große Gatsby" (Trigger: Selbstmord, häusliche Gewalt und explizite Gewaltszenen) oder "Mrs Dalloway" von Virginia Woolf (Trigger: suizidale Tendenzen). Manche Universitäten würden Studenten erlauben, bestimmte Bücher von ihrer eigenen Buchliste zu streichen und die damit verbundenen Prüfungen mit einer anderen Stoffauswahl abzulegen, sollten sie sich mit dem ursprünglichen Buch unbehaglich fühlen. Dies bedeutet, dass nicht mehr die Professoren die Inhalte vorgeben, sondern die Studenten sich dies auswählen, was für sie am angenehmsten ist. Eine Praxis, die durchaus zu kritisieren ist.
Führt man die vorgenannte Praxis der Deklaration, die an den "Explizit Lyrics"-Aufkleber für Musik erinnert, weiter aus, so würde jedes Buch, jeder Film, jeder Comic zunächst mit entsprechenden Warnungen versehen werden müssen. Die Leselisten würde den Studenten zur vorgelegt, so dass diese dann darüber entscheiden, welche Bücher et cetera noch durch den "genehmigt"-Trichter rutschen können. Dies macht es unmöglich, in irgendeiner Form spontan zu reagieren oder auf aktuelle Themen schnell Bezug zu nehmen.
Kuschelwelten in der Universität
Was Jeannie Suk wie auch Nadine Strossen, ebenfalls Professor in Harvard, deutlich kritisieren, ist die Scheinwelt, die von den Verfechtern der "Safe Spaces" erwartet wird. Eine universitäre Ausbildung sollte insbesondere auch die Auseinandersetzung mit dem Unangenehmen, dem Kontroversen und dem Provokanten beinhalten, da dies nun einmal auchTeil der realen Welt sei.
Wer Rechtswissenschaften lehrt, muss natürlich auf Fälle sexueller Gewalt eingehen - und die Subsumtion umfasst dabei natürlich Details, die für jene, die selbst Ähnliches erlebt haben, unangenehm werden kann. Das ist unstrittig. Doch wer später Anwalt werden möchte, wird auch mit solchen Fällen konfrontiert werden oder muss sich mit ihnen in Bezug auf Präzedenzfälle usw. beschäftigen.
Es mag mehr als unangenehm sein, sich mit Details darüber, wie nun welche sexuelle Gewalt stattfand, beschäftigen zu müssen - doch dies ist nun einmal Teil der Lehre. Und zwar nicht nur in den Rechtswissenschaften. Jeannie Suk vergleicht dies mit einem Medizinstudenten, der unterrichtet wird, während man darauf Rücksicht nimmt, dass er sich unwohl dabei fühlt, von Blut zu hören oder damit umgehen zu müssen.
Mehr als darum, nur eine bestimmte Ansicht zu lehren, in eine bestimmte Richtung zu denken, sollte es darum gehen, den Studenten eine Ausbildung zu bieten, die ihnen beibringt, selbst zu denken. In dem bereits erwähnten Artikel im Atlantic wird erläutert, wie die Idee der "Safe Spaces" in ihrer derzeitigen Ausprägung einer Idee der universitären Lehre zuwiderläuft. Statt Studenten vor dem zu beschützen, was ihnen später sowieso über den Weg laufen wird, sollte ihnen beigebracht werden, wie sie sich in einer Welt entwickeln können, die voller unkontrollierbarer Ansichten und Ideen ist.
Die American Association of University Professors sieht die Triggerwarnungen zudem als etwas an, was infantil ist, was die Studenten als Kinder klassifiziert, statt sie als Menschen zu sehen, die selbständig sind und sich auch mit konträren Ansichten oder dem, was sie erschreckt, bestürzt, provoziert et cetera auseinandersetzen können. Triggerwarnungen, so die Association, seien daher auch dem intellektuellen Diskurs abträglich.
Personen & Ansichten
Immer öfter werden bestimmte Sprecher nach Protesten durch Studenten ausgeladen weil sie zu kontrovers sind. Hierbei reicht jedoch bereits ein Aspekt aus, um den Sprecher als für alles "inakzeptabel" zu klassifizieren, oft reicht bereits ein Verdacht auf eine Ansicht oder eine begangene Tat - oder aber der Kontakt zu einer solchen Person nimmt auch Anwälte nicht aus. Dabei wird die Person auf diesen Aspekt reduziert, auch wenn sie zu anderen Themen durchaus wichtige Akzente setzen könnte.
Ein Beispiel wäre ein Abtreibungsbefürworter, der zum Thema Rechtswege bei Morddrohungen referieren könnte. Doch selbst wenn die Ansicht im konkreten Fall abzulehnen wäre, würde es kaum sinnvoll sein, sie per se nicht mehr hören zu wollen. Wie bereits erläutert, erfordert eine sinnvolle Ausbildung den Diskurs und die Bereitschaft, auch andere (einem selbst unangenehme) Ansichten wahrzunehmen und zu lernen, ihnen auch rhetorisch zu begegnen.
Dafür muss es möglich sein, diese Ansichten zu hören und zu lesen, zu sehen und sich auch mit den Personen, die sie vertreten, persönlich auseinanderzusetzen. Wenn die Gastredner der Universitäten nur noch dem Ideal eines Redners ohne Ecken, Kanten und Provokantem entsprechen, so sind sie schlichtweg nicht mehr notwendig - sie sollen den Studenten ja Anregungen mit auf den Weg geben, nicht nur deren Ansichten wiederholen.
Teil 4: Konfrontation als Ausweg