Konfrontation als Ausweg
Der Irrweg der "Safe Spaces" - Teil 4
In dem bereits in Teil 2 erwähnten Artikel im wird im Zuge der Auseinandersetzung mit den "Safe Spaces", die dort negativ benotet werden, auch eine Alternative zu ihnen vorgeschlagen. Der Vorschlag stellt vorab noch einmal klar, dass es keineswegs darum geht, jegliche Sanktion für unangemessenes Verhalten ad acta zu legen. Die Kritik an den "Safe Spaces" wird ja oft damit verwechselt, jegliche Empathie abzulehnen und Hass, Wut oder gar Gewalt quasi als wünschenswert anzusehen.
Bereits am Anfang des Textes wird erläutert, dass "Safe Spaces", die insbesondere traumatisierten Personen helfen soll(t)en, auf einer Vorstellung gründen, die heute als der falsche Weg bei der Traumabehandlung angesehen wird: alles das, was das Trauma "triggern", also als Schlüsselreiz dienen könnte, zu vermeiden.
Aktuell wird in den meisten Fällen eine (ggf. mit anderen Therapieformen ergänzte) Konfrontationstherapie eingesetzt - d.h. der Traumatisierte wird in einer begleiteten Atmosphäre mit seinem Trauma sowie den dieses wieder auslösenden Aspekten konfrontiert. Einfach ausgedrückt: Wer sich vor Spinnen fürchtet, wird nicht dazu ermuntert, sich für eine spinnenfreie Welt einzusetzen, sondern der Ursache der Furcht auf den Grund zu gehen und sich in einer Welt, in der Spinnen nun einmal vorhanden sind, wieder möglichst wohl zu fühlen.
Der Atlantic-Artikel geht insbesondere darauf ein, dass sich die Anzahl der Menschen mit psychischen Problemen oder Krankheiten erhöht hat. Selbst unter Berücksichtigung von vorschnellen Diagnosen und dergleichen mehr, wird dies als Tatsache angesehen: Studenten seien fragiler geworden, fühlten sich vermehrt einer überwältigenden Angst ausgesetzt, durchlebten öfter emotionale Krisen. Die "Safe Spaces" sieht der Artikel jedoch als Irrweg an, weil die negativen Begleiterscheinungen des Phänomens die positiven überwiegen.
Statt der Vermeidungstheorie wird im Artikel die kognitive Verhaltenstherapie als Lösung angesehen, da sie zum einen den Traumatisierten helfen, zum anderen aber auch das Leben rund um den Betroffenen nicht zum "Streichelzoo" umformatieren soll. Die Grundlage hierfür ist, zunächst einmal die wesentlichen kognitiven Problematiken zu lernen, sich bewusst zu werden, wann und inwiefern sie bei einem vorliegen - und dann daraus Lösungswege zu entwickeln.
Ein Beispiel aus der Praxis wäre jemand, der ein Gewalterlebnis in einer dunklen Gasse hatte und nun nachts nicht mehr aus dem Haus geht. Statt darauf zu setzen, dass die Vermeidung der nächtlichen triggernden Dunkelheit helfen wird, sollte der Betroffene nach und nach lernen, dass er Probleme mit der Dunkelheit hat - z.B. das "Catastrophizing" und "Fortune Telling". "Es wird draußen dunkel und wenn ich jetzt hinausgehe, dann wird mir wieder so etwas Schlimmes passieren, wie mir bereits passiert ist ..."
Diese Ideen gilt es dann im Zuge der kognitiven Verhaltenstherapie nicht nur zu erkennen, sondern ihnen in Begleitung (und später alleine) entgegenzutreten, so dass ein Leben ohne irrationale Ängste wieder möglich ist.
In Universitäten, so heißt es im Atlantic, sollte die kognitive Verhaltenstherapie (bzw. deren Grundlagen) jedem Studenten auf den Weg gegeben werden. Das heißt nicht, dass traumatisierten Personen nicht auch auf andere Weise geholfen werden soll - aber es heißt, dass die universitäre Ausbildung nicht auf jegliches Traumata mehr Rücksicht nehmen und mehr traumatisierte Personen statt weniger entwickeln sollte. Die Schwierigkeit, die Freiheit der Rede, Lehre und Meinung zu verteidigen und gleichzeitig Rücksicht zu nehmen, sollte stärker thematisiert werden, während Triggerwarnungen höchstens freiwillig - keineswegs jedoch verpflichtend - akzeptiert werden.
Die Orientierungsprogramme für neue Studenten umfassen derzeit oft Einweisungen, sich nicht anstößig oder beleidigend zu verhalten. Dies mag auf den ersten Blick auch erstrebenswert erscheinen. Doch wie schon erläutert, lässt so eine Einweisung den Neustudenten dadurch, dass bereits die Frage nach der Herkunft bei einem asiatisch wirkenden Menschen als anstößig, beleidigend oder rassistisch gewertet werden kann, mit mehr Fragen als Antworten und in einem Klima der Unsicherheit zurück. Statt also die Frage zu vermeiden, wäre es sinnvoll, darüber zu diskutieren, warum und für wen eine solche Frage rassistisch erscheinen würde, wie stattdessen eine solche Frage gestellt werden sollte - und auch, welche eigenen Gedanken dazu führen, diese Frage als rassistisch anzusehen.
Eine solche Lösung wäre ein sinnvoller Weg, um eine möglichst freie und auch (selbst)kritische Ausbildung zu erreichen. Sie würde jedoch voraussetzen, dass viele, die derzeit auf mehr Rücksichtnahme pochen, bereit sind, Konfrontation zu ertragen und zu fördern. Dies bedeutet nicht, dass es gefördert werden soll, dass jemand jemand anderen "fette Schlampe", "Niggersau" oder dergleichen mehr nennen soll - vielmehr geht es darum, immer auch zu schauen, wer wen wie nennt, wer was in welchem Kontext sagt.
Einen Rassisten zu zitieren bedeutet nicht, selbst rassistisch zu sein. Die Auseinandersetzung mit einer detaillierten Schilderung eines Urteils in Bezug auf sexuelle Gewalt (welche auch ggf. aussagt, dass hier juristischen gesehen keine strafbewehrte sexuelle Gewalt vorliegen könnte), heißt nicht, dass derjenige, der dies anspricht, sexuelle Gewalt gutheißt (etwas, das auch in Deutschland nicht verstanden wurde, als sich der BGH-Richter Thomas Fischer in seiner Rechtskolumne in der Wochenzeitung Die Zeit zum Thema Vergewaltigung, Nötigung etc. ausließ).
Und selbst die Auseinandersetzung mit einem Rassisten sollte gerade auch im universitären Umfeld, nicht per se ausgeschlossen werden. Vereinfacht ausgedrückt: Um sich mit dem Thema Antisemitismus auseinanderzusetzen, ist es ggf. hilfreich, Adolf Hitlers "Mein Kampf" oder antisemitische Literatur aus der Vergangenheit und der Gegenwart zu lesen - nur so kann geforscht werden, nur so können Entwicklungen ausgemacht und auch Ideen entwickelt werden, die die Zukunft positiv beeinflussen.
Vergangenheit und Zukunft
Eine allzusehr auf "Safe Spaces" ausgerichtete Welt würde nicht nur die Lehre, sondern auch die Kultur in vergangene Tage zurückbefördern. So ist in vielen älteren Filmen zu sehen, wie gerade auch beim Thema Sex die Filmemacher sehr subtil die Tabuvorgaben der entsprechenden Zeit umgingen. Champagnerflaschen, die geöffnet wurden und den Champagner in einer hohen Fontäne hervorschießen ließen, symbolisierten den Samen ergießenden Penis, geöffnete Blumen die Vagina, Fischkörper sollten für den Samen stehen (vgl. Anatomie einer Jungfrau):
Das bedeutet nicht, dass von 1934 bis in die 1950er nie eine Frau in einem amerikanischen Film vergewaltigt wurde. Regisseure waren jedoch gezwungen, auf interpretationsbedürftige Bilder auszuweichen. Das ist problematisch, weil es latent beschönigend wirkt. […] Man fragt sich, wer da mehr geschützt wird: die Opfer, die Täter oder die in patriarchalisch dominierten Bilderwelten steckende Misogynie?
So Hans Schmidt in seinem Aufsatz über "Otto Preminger und die Herrschaft des Gesetzes". In ihm führt er das Beispiel einer Zigarrillo rauchenden Frau an, um darzustellen, wie den Moralgesetzen getrotzt wurde. Er spricht insbesondere den Film "Anatomy of a Murder" an und das heutzutage absurd anmutende Hickhack darum, ob das Wort "Höschen" nun mehrere Male benutzt werden, umschrieben werden oder überhaupt zentraler Bestandteil des Filmes sein kann und darf.
Hier wird auch wieder die Aktualität der Diskussion um die "Safe Spaces" klar - denn wenn sich z.B. am Wort "Violation" bereits eine Diskussion entzündet, weil diese Wort ja traumatisierend oder "triggernd" wirken könnte, dann ähnelt das der Veränderung des Wortes "penetration" in "violation", wie es bei "Anatomy of a Murder" stattfand, obgleich der Autor der Romanvorlage sich gegen diese Veränderung aussprach, da schließlich das Wort "penetration" auch in den Gesetzen zu finden war. Wieso sollte es also nicht auch im Film benutzt werden dürfen?
Die "Safe Spaces" weiter auszudehnen, würde bedeuten, sich kulturell rückschrittlich zu benehmen, weil man damit gerade auch Provokantes, das dazu gedacht war und ist, das Denken anzuregen oder zu Reaktionen zu stimulieren, nicht mehr möglich macht. Im Bereich des Feminismus würden z.B. Auftritte von Karen Finley oder Annie Sprinkle nicht mehr Teil der Aufklärung darüber sein, wie Frauen sich dem "brav, niedlich und wohlerzogen"-Dogma widersetzten.
Sich mit der Entwicklung der Pornographie zu befassen, wäre ebenso tabu wie das Lesen von "Mein Kampf" und dergleichen mehr. Gleichermaßen würde die Kunst sich wieder auf die Vertuschung, das Subtile und auf das Genehme reduzieren müssen - bedenkt man, dass selbst nackte Statuen Unbehagen mit sich bringen könnten (von Gemälden usw. ganz zu schweigen), dann würde dies nicht nur einen Rückschritt bedeuten, es würde auch bedeuten, Historisches zu verschweigen, zu verhüllen oder nicht mehr zu beachten. Und dies alles nur, um eine "angenehme Umgebung" zu erschaffen.
Das erinnert nicht zuletzt an US-amerikanische Bigotterie, deren Vertreter selbst die Justitia verhüllen ließen oder (ironischerweise) an vergangene Zeiten, in denen Frauen sich nicht allzu freizügig zeigen sollten, da dies ja jemanden reizen könnte. Auch da ging es darum, die "triebgesteuerten Männer" vor dem Schlüsselreiz der nackten Fessel, der offenen Haare oder gar eines Brustansatzes zu schützen. Es ging nicht darum, dass die "triebgesteuerten Männer" damit leben sollten, mit ihren "Trieben", Traumata oder was auch immer, klarzukommen. Es ging darum, alles zu vermeiden, was in irgendeiner Form als anzüglich oder gar sexuell aufreizend angesehen wurde.
Nun geht es darum, alles zu vermeiden, was als irgendwie anstößig, aggressiv, sexistisch, rassistisch oder eben "triggernd" angesehen werden kann. Das könnte auch eine Frau mit losem Haar sein - was bedeutet, dass die Idee der "Safe Spaces", egal wie gut gemeint, letztendlich nur zu einer Kultur der Repression führen kann und wird, sollte sie weiter wie bisher umgesetzt werden. Desaströs wäre dies für alle.