Der Kapitalismus schafft nützliche Güter
Was spricht für den Kapitalismus? - Teil 1
Die kapitalistische Produktionsweise stellt eine unermessliche Gütervielfalt her. Beweis: Sieht man doch! Was ist von dieser Behauptung zu halten?
Die nüchterne Erfahrung zeigt, dass die wenigsten Menschen, die sich positiv oder negativ auf Karl Marx berufen, wirklich Ahnung davon haben, für welche Inhalte und Erörterungen dieser Mann eigentlich steht. Dabei könnten sie durchaus einiges von ihm über ihre eigene ökonomische Lebenslage lernen. Denn nur vom Standpunkt einer ausreichend soliden Theorie lässt sich die Titelfrage, was für den Kapitalismus überhaupt spricht, beurteilen.
Folglich widmet sich diese Artikelserie von 5 Teilen dem bescheidenen Zweck, den interessierten Leser über einige der wichtigsten Argumente der marxschen Kapitalismuskritik aufzuklären. Diese sind seinem berühmten Hauptwerk "Das Kapital. Zur Kritik der politischen Ökonomie" (Band 1) entnommen und von mir nach subjektiver Auswahl zusammengestellt. Da sie trotzdem aufeinander aufbauen, bitte ich den Leser, sie in der hier vorgegebenen Reihenfolge zu lesen.
Statt philosophisches Vorgeplänkel über Dialektik und Materialismus, Begriffe, die dem Leser des Buchs ohnehin wohl an wirklich keiner einzigen Stelle zu mehr Verständnis gereichen werden, weil sie der Logik der jeweils analysierten Sache inhaltlich rein gar nichts hinzufügen, steigen wir direkt in die Analyse ein.
Als Ausgangspunkt für eine Zusammenfassungen eignet sich hervorragend der Titel des Buchs. Es geht demzufolge ums "Kapital". Was ist ist das eigentlich? Kapital ist eine überschüssige Geldsumme K, die ihr Eigentümer in eine Unternehmung investiert. Ökonomisch rational ist die Operation nur dann insofern, wenn sie verspricht, dass nach Ablauf eines gewissen Zeitraums eine größere Geldsumme wieder zurück an den Eigentümer fließt, also die ursprüngliche Summe K und ein zusätzlicher Mehrwert M.
In Buch 1 des Kapitals widmet sich Marx vor allem der Analyse des produktiven Kapitals, also jener Sorte Investment, in welcher der Geldrückfluss über die Produktion und den Verkauf von "mehrwertgeschwängerten" Waren organisiert wird. Er untersucht, wie man mithilfe des Produktionsprozesses aus Geld mehr Geld macht und was diese spezielle Sorte der Geldmacherei notwendig für soziale Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Alle anderen Sorten von Investments (Finanzkapital, Handelskapital, Grundeigentum) sind lediglich davon abgeleitet, insofern logisch nachgelagert und werden erst in Buch 3 besprochen.
Argument 1: Produktion findet nur unter Vorbehalt des Mehrwerts statt
Was den Mehrwert angeht, so muss dieser einem zunächst wie ein Rätsel erscheinen. Wie kann es überhaupt sein, dass nach Ablauf einer Frist ein solcher am Ende tatsächlich herauskommt? Dass die Antwort darauf keinesfalls trivial ist, belegt sich schon daran, dass es unzählige Theorien gibt, die sich mit der Genese des Mehrwerts befassen. In der Tat haben sich schon vor und nach Marx sehr viele Theoretiker darüber den Kopf zerbrochen. Er selbst spricht z.B. die Schule der französischen Physiokraten, der Merkantilisten und der vormarxistischen Arbeitswerttheoretiker (Smith, Ricardo etc.) an und setzt sich mit deren Lehrmeinungen in seinem Buch "Theorien über den Mehrwert" kritisch auseinander.
Doch selbst wenn man an dieser Stelle vorerst noch ganz unparteiisch in Bezug auf die korrekte Auflösung dieses Rätsels bleiben möchte, folgt doch schon jetzt das erste vernichtende Urteil über diese Gesellschaft: Wenn bei einem Investment in die Warenproduktion kein Mehrwert in Aussicht steht, dann findet es nicht statt und eben auch keine Produktion. In einer Gesellschaft von lauter Privatproduzenten gibt es also alle lebensnotwendigen Güter, z.B. Medikamente, Nahrung etc., nur insofern sie den jeweiligen Investor reicher machen als er schon vorher war. Die Produktion muss sich letztlich für ein privates Bereicherungsinteresse lohnen, sonst bleibt sie aus. Und umgekehrt: Jede noch so ekelhafte Ware wird produziert, solange sich damit noch ein Geschäft machen lässt: Suchtstoffe, Waffen, Abgas-Schleudern, Gammelfleisch, Plastikmüll etc.
Mit anderen Worten: Der gesamte gesellschaftliche Stoffwechsel, was produziert wird und was nicht, ist nicht das Resultat eines gesellschaftlichen Beschlusses, sondern das eines privaten Rentabilitätskalküls. Jeder Investor rechnet für sich durch, ob sich ein Geschäft im Rahmen seiner Investitionsmöglichkeiten lohnt oder nicht, und die Gesellschaft hat von dieser Gewinnrechnung zu leben - sie ist abhängig davon. Staatliche Kontrollmechanismen sind hingegen eher ein Armutszeugnis für diese Gesellschaft. Nicht etwa deshalb, weil sie nicht funktionieren, sondern deshalb, weil es sie offenbar braucht. Die reine Gewinnrechnung kennt von sich aus keine Beschränkung: Sie verschmutzt Flüsse und Ozeane, verpestet die Luft, verunstaltet Landschaften, vergiftet Lebensmittel, erzeugt Suchtabhängigkeiten etc.
Allein das ist doch schon seltsam! Nicht die Beherrschung der Natur und schon gar nicht die allgemeine Bedarfslage sind die Kriterien dafür, was und wie produziert wird und was nicht, sondern irgendwelche Preise, die als Zettel an jedem verkäuflichen Eigentum kleben.
Kurzum: Eine gesellschaftliche Prioritätenliste der Bedürfnisse liegt nicht vor, schon gar nicht wurde darüber gesellschaftlich verhandelt, was auf diese Liste gehört - z.B. bequeme Unterkunft, sauberes Wasser, gesunde Lebensmittel etc. - und was nicht, und in welcher Reihenfolge solch eine Liste abzuarbeiten wäre. Produziert wird nur, was verspricht, sich bezahlt zu machen, und dann eben auch der größte Quark.
Argument 2: Die Produzenten entscheiden nicht über Was und Wie der Produktion
Was und wie produziert wird, entscheiden nicht diejenigen, die mit körperlichem Einsatz die Waren herstellen und sogar mehrheitlich auch verbrauchen, nämlich die Arbeiter und ihre Familien, die doch immerhin die Masse der Gesellschaft ausmachen; sondern letztlich allein diejenigen mit dem meisten Geld in dieser Gesellschaft, die also über genug Geld verfügen, nicht nur, um ihren aparten Lebensstil zu finanzieren, sondern darüber hinaus auch noch ein Zuviel an Geld haben, um die entsprechenden Investitionen tätigen zu können, die ihnen ihren Reichtum überhaupt erst bescheren und damit dieses Zuviel an Geld immer und immer wieder reproduzieren (vgl. Teil 5) - diejenigen mit Kapital also, die deswegen auch "Kapitalisten" heißen.
Was qualifiziert diese erhabene Sorte an Menschen zu dieser Entscheidungsmacht? Sind es vielleicht ihre besonderen technischen Kenntnisse der Arbeitsprozessabläufe, welche doch immerhin notwendig sind für eine reibungslose Produktion? Nicht unbedingt. Wenn die Investitionsmittel ausreichen, können sie sich im Bedarfsfall die nötigen Ingenieure, Techniker, Logistiker und was es sonst noch braucht auch ankaufen. Diese kennen sich im Zweifel ohnehin viel besser mit den technischen Aspekten aus, was sie noch lange nicht zu neuen Eigentümern des Produktionsprozesses macht. Es ist ja gerade ihre Expertise, die es dem Kapitalisten erlaubt, sich selbst vollständig aus dem Produktionsgeschehen herauszustreichen. Ja idealerweise funktioniert sein ganzer Laden von Anfang an komplett ohne ihn. Und mal Hand aufs Herz, je größer sein Personal anwächst, umso mehr zeigt sich doch eben genau darin auch, dass es auf ihn persönlich in technischer Hinsicht überhaupt nicht ankommt, selbst wenn es ihm so vorkommen mag und vermutlich auch sogar muss, denn immerhin muss er die Größe seiner Entscheidungsmacht ja auch vor sich selbst rechtfertigen. Elon Musk hat Elektroautos nicht erfunden, auch nicht die Raumfahrt, die Künstliche Intelligenz oder den Tunnelbau, auch wenn er sich gern als Tüftler präsentiert. Er hat sich nur entschieden, dass sich aus all dem ein gutes Geschäft machen lässt. Ob das wirklich so ist, muss sich noch beweisen (vgl. Teil 2/Argument 3).
Man kann einem erfolgreichen, technisch versierten Kapitalisten bestenfalls zugute halten, dass er die Anfangsorganisation in die Hand genommen hat, bei den richtigen Leuten vorsprechen war, Lizenzen eingeholt, Kapital eingetrieben, ein Team zusammengestellt und vielleicht sogar einige Anfangsideen beigesteuert hat. Na und?! Wenn das der Punkt wäre, müsste man in Analogie z.B. folgern, dass staatlichen Schulen, Universitäten und etliche Behörden - um mal ein paar hinreichend komplexe Organisationsstrukturen zu benennen - den Familien ihrer Gründer gehören sollten.
Oder sind Kapitalisten von der Bevölkerung durch eine Wahl dazu ermächtigt worden, über nichts Geringeres als die Produktionsgeschicke ganzer Nationen zu verfügen? Nein, sicherlich auch das nicht. Was sie qualifiziert, ist allein ihr Geld, woher es auch stammen mag - ob nun redlich durch Fleiß und sorgsame Sparsamkeit verdient (vgl. dazu Teil 5), reichlich geerbt, irgendwo zusammen geliehen oder ob durch windige Geschäfte und kriminelle Aktivitäten ergaunert. Das spielt alles keine Rolle, dem Geld sieht man es nicht an. Pecunia non olet.
Also um die Eingangsfrage zu beantworten. Was spricht für den Kapitalismus? Für den Kapitalisten offensichtlich sehr viel. Er ist der Macher in dieser Gesellschaft, seine Angestellten hingegen sind bloß die abhängige Variablen seiner Gewinnrechnung, und somit die Gesamtheit der Arbeiterschaft die Manövriermasse des Kapitals. Aber vielleicht gibt es ja doch ein paar Argumente, die auch dem Arbeiter den Kapitalismus noch schmackhaft machen könnten. Sehen wir näher zu in Teil 2 bis 5.
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