Der Kotau der italienischen Presse vor der Politik und den großen Konzernen

Pressefreiheit: Das fundamentale Menschenrecht ist in Italien nicht mehr gewährleistet. Kommentar

Schon immer sind in Italien Journalismus und Politik miteinander verwoben, doch seit der Pandemie ist diese Verstrickung umso deutlicher und umso tiefer schneidet sie in das Fleisch der Demokratie und des Rechtsstaats.

Die italienischen Medien haben ihre Seele an die Finanzwelt, die Politik und die großen Holdings verkauft. Zurück bleibt ein ausgehöhltes Konstrukt - aufrechterhalten durch die sogenannten "professionisti" der Information -, in dem die Meinungsäußerungsfreiheit und die freie Meinungsbildung mit Füßen getreten werden.

Jedermann hat das Recht, die eigenen Gedanken durch Wort, Schrift und jedes andere Mittel der Verbreitung frei zu äußern. Die Presse darf weder einer behördlichen Ermächtigung noch einer Zensur unterworfen werden.

Art. 21 der Verfassung der Italienischen Republik

In der Rangliste der Pressefreiheit 2021 belegt Italien Platz 41, steht damit also noch hinter Burkina Faso oder Samoa.

Wo bleibt das Recht der Leser und der öffentlichen Meinung auf pluralistische Meinungsvielfalt, demokratische Willensbildung, Transparenz. Wer kontrolliert die Politik?

Ganz nach dem Motto "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing", wird im aktuellen Einheits-Bla-Bla die Meinungs-, Presse-, Nachrichten- und Darstellungsfreiheit pausen- und ethiklos mit Füßen getreten, da es kaum noch Journalisten gibt, die objektiv berichten oder investigativ arbeiten. Nur vereinzelte, freie Journalisten und Kolumnisten, von denen einige eine recht ansehnliche Gefolgschaft haben, lassen noch ihre Stimme vernehmen.

Doch vor allem auf Facebook, Youtube und Twitter werden sie durch "unabhängige Fact-Checker" oft und gerne zensiert, verlieren Grundlagen für Einkommen oder werden auf andere Arten "auf Pause gestellt". Erwähnenswert sind hier Mario Giordano (Fuori dal Coro, Rete 4) und Michele Santoro. Beide Journalisten wagen es noch, öffentliche Gegeninformation abzuliefern, Fakten zu durchleuchten, Daten kritisch zu analysieren. (Beide Journalisten werden unterschiedlichen politischen Lagern zugerechnet, Giordano dem rechten und Santoro dem linken; Anm. d. Red.)

Doch wo sind sie, all die anderen? Wo bleibt die ehemals so mutige Milena Gabanelli (Report), die heute als drittklassige Debunkerin der sogenannten Fake News die Interessen der Rai vertritt? Wo der ehemals so scharfe Kritiker Marco Travaglio, Chef des Fatto Quotidiano? Alle neigen sie das Haupt! Die Zeiten einer wütenden und integren Oriana Fallaci sind definitiv vorbei.

Pressefreiheit als Eckpfeiler demokratischer Staaten

Wir müssen uns klar werden, dass Rechte und Freiheiten in Gefahr sind und dass es an uns liegt, sie vor autoritären Übergriffen zu schützen. Die Situation ist katastrophal, denn noch nie zuvor ist die Berichterstattung zu einem so niedrigen Niveau herabgesunken.

Während zu Berlusconis Zeiten das Problem aus dem Kontrast zwischen der öffentlich-rechtlichen Rai und der von Interessenkonflikten beladenen Mediaset bestand, liegt der Haken nach der Renzi-Reform der Rai bei der autoritären Wende und der absoluten Monopolstellung der Regierung, unter deren Kontrolle der Rai-Vorstand jetzt steht.

Zu einer funktionierenden Demokratie gehört neben einer wirksamen Partizipation – die Möglichkeit, Ansichten untereinander auszutauschen - auch das Recht auf Information: die Möglichkeit, über politische Alternativen und deren Folgen aufgeklärt zu werden. Beides ist Italien momentan nicht gewährleistet.

Journalismus oder Gegeninformation? Thumbs up um jeden Preis

Das Wesen des Journalismus ist die Suche nach der Wahrheit, nach dem, was hinter der offiziellen Version der Ereignisse steckt.

Leider nennt sich das heute in Italien Gegeninformation, da es nicht mehr möglich ist, ehrlichen, redlichen und transparenten Journalismus zu betreiben. Zu viele Interessenkonflikte innerhalb und außerhalb der einzelnen Medien verhindern die korrekte Ausübung dieses Berufes. Vor allem seit dem letzten Jahr gibt es kaum noch ungefilterte Stimmen - die unabhängige und unparteiische Berichterstattung scheint mittlerweile ein Privileg zu sein.

Besonders jüngere Journalisten erachten es als einfacher, sich am Mainstream-Einheitsdenken auszurichten. Sich für einen abweichenden Standpunkt einzusetzen, ist natürlich schwierig, besonders dann, wenn man sich gegen die Mehrheit oder gegen die Massenmedien stellt. Keiner will als das schwarze Schaf gelten.

Diese unterwürfige Haltung gegenüber dem Staat und die Unfähigkeit, sich gegen die Meinung der Mehrheit auszusprechen, betrifft nicht nur den Journalismus, sondern durchläuft die gesamte italienische Gesellschaft.

Kein Sänger vertritt mehr eine klare, oppositionellen Einstellung – das war vor 20 oder 30 Jahren noch ganz anders, als Liedermacher ihre Ideen zu Politik und Gesellschaft deutlich manifestierten. Das gilt auch für Schauspieler, Sportler oder anderen Promis, die im Lampenlicht stehen und einen gewissen Einfluss ausüben könnten.

Die Intelligentsia hat sich komplett verkrochen - mit Emanuele Severino ist 2020 wohl einer ihrer letzten Vertreter von uns gegangen. Übrig bleiben Jasager, die Angst haben, den Konsens zu verlieren.

Dieser Entwertungsprozess kennt nur eine einzige Ursache: das wirtschaftliche Interesse. Als klar wurde, dass auch die Medien und die Information ein lukratives Business sein können, ist die objektive Berichterstattung gestorben. In Italien werden Medien und Verlage staatlich finanziert; der Staat kauft sie quasi. Auch große internationale Konzerne sind fleißige Geldgeber.

Als Beispiel kann der Corriere della Sera aufgeführt werden, Italiens meistgelesene Tageszeitung. Letztes Jahr wurde am Tag der Umwelt die Ausgabe diesem Thema gewidmet - sogar das Papier wurde grün gefärbt. Auf der Titelseite wurde als Hauptsponsor groß der Energiekonzern ENI abgedruckt - ein Unternehmen, das seit Jahren in Umweltskandalen und Bestechungsklagen gigantischen Ausmaßen verwickelt ist. Wie kann die Klimakrise objektiv beschrieben werden, wenn Gelder von denen angenommen werden, die diese Krise verursacht haben?

Debatten und Konfrontationen finden einfach nicht mehr statt. Es gilt, eben das Mit- und Gegeneinander, die Mäeutik wiederzuentdecken - zum Vorteil aller. Wenn es in seltenen Fällen tatsächlich zu einem öffentlichen Meinungsaustausch kommt, wird alles gerne bagatellisiert, polarisiert und zu einem Wettstreit heruntergespielt. Wie soll sich der Zuschauer in diesem hektischen und fragmentierten Chaos eine eigene Meinung bilden können?

90 Prozent der italienischen Bevölkerung informiert sich ausschließlich über das Fernsehen

Kritisch bleiben, wachsam unterscheiden, Zweifel einbringen. Ist das in unserem hypertrophischen Informationsfluss überhaupt noch möglich? Wir werden mit Nachrichten bombardiert, die immer als die absolute Wahrheit hingestellt werden, und müssen uns jemandem anvertrauen, der eine bestimmte Position erlangt hat, während es in der heutigen Medienlandschaft verboten scheint, als Journalist die eigenen Zweifel und Bedenken öffentlich kundzutun.

Es wird zensiert, ausgeschlossen und im besten Fall verhöhnt. Man versucht mit aller Kraft, den Einheitsgedanken durchzusetzen, als einzige, unbestreitbare Version der Tatsachen. Jede Pluralität, jede Uneinigkeit und vor allem jede ehrliche Konfrontation wird unterbunden.

Trotzdem vertraut die große Mehrheit weiterhin denjenigen, die sich selbst zu den "Profis der Information" erklärt haben, aber oft bewiesen haben, die Profis einer gezielten Desinformation zu sein. Enrico Mentana etwa, Leiter der Nachrichtensendung Tg La7, hatte im Januar eine Szene aus dem Science-Fiction-Film Project X als Live-Aufnahmen des Sturms auf das Kapitol in Washington vertickt.

In einer Welt, in der Assange unbequeme Wahrheiten ans Licht bringt und dafür verhaftet und verfolgt wird, dürfte uns das nicht verwundern. Zur gleichen Zeit werden folgsame Journalisten, die mit politischen Leadern dinieren und sich dabei maskenlose Selfies machen, wie Stars gefeiert.