Der Kreuzzug des Starkochs
Jamie Oliver, Englands Starkoch, setzt sich weiterhin für gesundes Schulessen ein. Doch sein fast fanatisches Engagement wirkt kontraproduktiv: immer mehr Schüler verzichten auf das Essen in der Schule und versorgen sich selbst. Zäune um die Schulen sollen helfen.
Es war ein Bild, welches sofort zu einhelliger Empörung führte: Ein paar britische Mütter schoben Fast Food durch Lücken im Zaun und torpedierten somit die Anstrengung der Schule, Kinder nur noch mit gesundem Schulessen zu versorgen. Wie Affen im Käfig wurden die Kinder mit Sandwiches, Fish&Chips, Salat, Süßigkeiten und anderem versorgt.
Englands Starkoch Jamie Oliver gehörte zu denjenigen, die das Verhalten der Mütter besonders heftig kritisierte. Die Tatsache, dass nunmehr gesünderes Essen in Schulküchen serviert wurde, war nicht zuletzt seinem Engagement zu verdanken. Oliver, selbst Vater, hatte mit Schaudern bemerkt, wie sich Kinder in den Schulen immer mehr von Fast Food wie Burgern, Fish&Chips und Softdrinks ernährten. Grund genug für ihn einzuschreiten und vehement gesünderes Essen zu fordern um der Fettleibigkeit, die auch bei Englands Schülern immer mehr zunahm, den Kampf anzusagen.
Was sich aber so einfach und gut gemeint anhört, erwies sich nicht nur als schwierig sondern als Desaster. Und in diesem Zusammenhang ist auch das Verhalten der Mütter in Rotherham, South Yorkshire, zu sehen. Denn auch wenn Jamie Olivers Absichten noch so hehr und edel klingen, die Art wie er sie durchzusetzen versuchte (und auch wie die Schulbehörden dies zu tun versuchten) erinnerte von Anfang an eher an einen Kreuzzug denn an ein gut gemeintes Projekt.
Wer seinem Kind Softdrinks mitgibt, ist ein Arschloch
Oliver, der nach eigenen Aussagen „genug von der political correctness“ gegenüber den Eltern hatte, die ihre Kinder falsch ernährten, fand klare und auch beleidigende Worte. In seiner Show „Jamie´s Return to School Dinners“ sagte er:
"Ich habe zwei Jahre damit verbracht, mich in „political correctness“ gegenüber den Eltern zu üben. Nun ist es an der Zeit zu sagen: Wenn ihr euren kleinen/jungen Kindern Softdrinks gebt, seid ihr Arschlöcher, Wichser. Wenn Ihr ihnen eine Tüte Chips mitgebt, seid Ihr Idioten. Wenn Ihr ihnen keine warme Mahlzeit kocht, ändert etwas.“
Eltern, die ihren Kindern eine Dose Red Bull geben, falls diese bei Schulschluss müde sind, so Oliver, könnten ihren Kindern auch gleich eine Linie Kokain geben.
Dass sich die so angesprochenen Eltern nicht gerade besonders offen gegenüber Olivers Absichten zeigten, ist insofern verständlich. Doch das ist nicht das einzige Problem.
Fast 6 Euro für etwas Pizza, Milchshake und ein Teil Obst
Wurde das (ungesunde) Schulessen bisher hinreichend subventioniert, so stellt dies beim neuen gesunden Essen ein Problem dar. Zwar hat sich Oliver darauf kapriziert, zu bemerken, dass es nicht teurer sein muss, sich gesund zu ernähren - die praktische Umsetzung an den Schulen jedoch zeigt dabei eklatante Mängel. So beispielsweise an der Rawmarsh Comprehensive School, jener Schule, die die Kinder der rebellischen Mütter besuchten. Für ein Stück Pizza, einen Milchshake sowie ein Stück Obst wurden nunmehr umgerechnet 5.55 Euro berechnet. Für viele Mütter war dies zu teuer. Die nahegelegenen Kioske und Supermärkte waren günstiger.
Doch den Kindern blieb keine Wahl, denn anders als beispielsweise die Direktoren und Lehrer ist es ihnen nicht erlaubt, sich ihr Essen außerhalb der Schule zu kaufen. Womit auch die Vorbildfunktion der Lehrer ad absurdum geführt wird, welche in der Pause zum nächsten „Take Away“ gehen. Den Eltern ist es ferner nicht erlaubt, das Schulgelände während der Schulzeit zu betreten, so dass letztendlich nur die Möglichkeit blieb, entweder morgens die Lunchbox entsprechend auszustatten oder aber zur Mittagszeit das Essen frisch zu kaufen und zu verkaufen. Dass es sich nicht unbedingt anbietet, eine Folienkartoffel morgens bereits in eine Lunchbox zu verfrachten dürfte einleuchten, so dass die Kauf/Verkauf-Methode noch die logischste Methode war.
Aber zu sagen, dass es hier nur um eine Kostenfrage geht, würde dem Thema nicht gerecht werden. Denn – wie die Eltern es treffend formulierten: „Es geht nicht um Fast Food oder nicht, es geht auch um Wahlmöglichkeiten.“ Den Kindern bleibt keine Wahl, sie werden gezwungen, das überteuerte Essen zu kaufen um mittags eine warme Mahlzeit zu haben, wollen sie nicht die Schulregeln übertreten.
Zäune gegen Verweigerer
Olivers Kreuzzug gegen das ungesunde Essen hat bisher zu schlechten Ergebnissen geführt. 2/3 der Schüler in den Mittel- und Oberschulen meiden seit der Einführung des gesunden Essens die Schulkantine. 236,000 Schüler haben sich dort für ein „Opt Out“ entschieden, in den Grundschulen sind es 150.000. Jamie Oliver sieht das Problem darin, dass die Veränderungen zu schnell kamen. Im Allgemeinen wird die gesamte Diskussion daraufhin verschoben, dass es sich lediglich um ein Vermittlungsproblem handelt – welches man mit genug Zeit lösen kann. In der Zwischenzeit wird verstärkt für eine „locked gates“ Policy plädiert, also eine Regelung, die besagt, dass Schüler (so wie in der Rawmarsh Comprehensive School) während der Schulzeit das Gelände nicht verlassen dürfen. Sinnigerweise wird ergänzt, dass in Schulen mit einer solchen Regelung die Nachfrage nach dem Essen in der Schulkantine um durchschnittlich 15% stieg.
Wir wissen, was am besten für euch ist
Die „Kampagne gegen Fettleibigkeit bei Schülern“ hat sich längst zu eben jenem Kreuzzug gegen falsch erziehende Eltern, falsche Ernährung, falsches Denken, entwickelt. Die Schulen, wie auch Jamie Oliver, sehen sich in der Pflicht (notfalls auch gegen den Wunsch der Eltern), so zu handeln, wie es ihrer Meinung nach am besten für die Kinder ist. Wobei hier der Aspekt Fettleibigkeit in geradezu absurder Weise auf ein „gesundes Schulessen = Problem gelöst“ reduziert wird.
Inwiefern das Schulessen etwas an Problemen wie genetisch bedingter Fettleibigkeit, an zu wenig Bewegung, an mangelnden finanziellen Ressourcen auf Seiten der Eltern ändern soll, ist bisher nicht wirklich begründet worden. Dazu kommt: Wenn Kinder auf Grund der teureren Essen abends hungrig nach Hause kommen und dann ihren Hunger mit einer großen Menge Essen stillen (egal ob gesund oder nicht), so ist dies letztendlich vom Ernährungsstandpunkt aus gesehen unsinnig - der geht nämlich von mehreren Mahlzeiten pro Tag aus und warnt gerade vor diesem Hungeressen.
Die Idee, Kinder durch Zwang an gesünderes Essen zu gewöhnen, lässt auch außer Acht, dass es sich eben um Kinder handelt. Kinder opponieren gegen Zwang und finden nicht zuletzt auch fast immer Möglichkeiten, sich diesem zu entziehen. Oder sie entdecken Schlupflöcher. Jeder Diätplan (selbst für Erwachsene) enthält daher auch ungesunde Komponenten, gibt demjenigen, der abnehmen will, auch die Möglichkeit, seinen kleinen Lastern zu frönen, da klar ist, dass dies auch letztendlich erst zu einer Motivation führt, die gesamte Diät durchzuhalten. Die bekannten einseitigen Diäten, die teilweise nur aus gesunden Bestandteilen bestehen, sind daher fast immer nur Auslöser für den bekannten Jojo-Effekt.
Erst eine langfristige Änderung aller Lebensumstände kann wirklich zu einer sinnvollen und dauerhaften Gewichtsreduzierung führen – dazu gehören neben der Ernährung auch die Sportgewohnheiten, Bewegung im allgemeinen, Planung des Essens sowie nicht zuletzt auch die Beschäftigung mit den psychischen Aspekten der Fettleibigkeit, die nicht selten vorkommen. Das bekannte „Frustessen“ sei hier exemplarisch erwähnt. Wenn Kinder nun dazu gezwungen werden, entweder nichts oder aber überteuertes Essen zu kaufen und zu verzehren, werden sie Zuhause umso öfter zum ungesunden Essen greifen.
Jamie Oliver scheint bei seinem „Engagement“ eher auf Zwang zu setzen und reduziert das gesamte Problem darauf, einfach gesünderes Essen anzubieten. Er mag es tatsächlich gut meinen, aber so wie es sich derzeit entwickelt, ist die Kampagne nicht nur kontraproduktiv - sie zeugt auch von einem Menschenbild (bzw. Kinderbild), welches die Wahlmöglichkeiten und Mitsprachemöglichkeiten der Kinder auf Null reduziert und bei Nichtbefolgen der „so gut gemeinten Anweisungen“ ein Einsperren als Lösung sieht.
Damit ist die Oliversche Kampagne letztendlich nichts anderes als eine Fortführung des Gedankens, dass übergewichtige Menschen - gleichgültig ob Kind oder nicht - notfalls mit Gewalt und Zwang dazu gebracht werden müssen, ihr Gewicht zu reduzieren. Da in der Denkweise vieler übergewichtige Menschen automatisch als zügel- und disziplinlos gelten, wird die Forderung nach solchem Zwang nicht selten damit begründet, dass übergewichtige Menschen der Gesellschaft hohe Kosten durch Krankheiten bereiten. Dies lässt aber zwei Dinge außen vor:
- Auch nicht übergewichtige oder gar besonders sportliche, schlanke Menschen verursachen oft hohe Kosten im Gesundheitswesen (z.B. durch Sportunfälle, exzessiven Sport mit Folgeschäden im Bereich der Knochen- oder Muskelerkrankungen, durch Burn-Out-Syndrome usw. usf.). Von den diversen Erkrankungen durch zu wenig Essen ganz zu schweigen.
- Viel wichtiger aber: Der Mensch ist nicht in Bezug auf Kosten oder seinen Gewinn in monetärer Hinsicht zu betrachten. Insofern ist ein reiner Zwang, Gewicht zu reduzieren, eine zynische, menschenverachtende Idee, die den Menschen lediglich auf sein Äußeres sowie seinen Kostenfaktor beschränkt und alles andere ausblendet. Der Begriff „human resources“ in Reinkultur.