Der Krieg der Journalisten
Am Samstag starb in der Nähe von Slawjansk der erste Journalist. Entführungen, Gewalt und Zensurmaßnahmen gehören zum Alltag der in der Ukraine arbeitenden Journalisten, von denen auch einige bereit sind, ihre Kollegen zu gefährden
Wo es in der Ukraine brennt, ist BILD-Reporter Paul Ronzheimer hautnah dabei. Seit sechs Monaten berichtet der Journalist der größten deutschen Boulevardzeitung aus der ehemaligen Sowjetrepublik. Ronzheimer war bei den Protesten auf dem Kiewer Maidan dabei. Er begleitete Wladimir Klitschko und Petro Poroschenko, den am Sonntag zum neuen ukrainischen Präsidenten gewählten "Schokoladenkönig". Er reiste auf die Krim, als dort Uniformierte ohne Erkennungsabzeichen die Kontrolle übernahmen und schaffte es von dort mit einem Interview eines russischen Soldaten sogar in die amerikanische "Daily Show". Ganz zur Freude seines Arbeitgebers.
Sechs Wochen berichtete Ronzheimer auch aus der Ostukraine. Und so wie auf der Krim mit dem Interview des russischen Soldaten, gelang dem Boulevardjournalisten auch dort ein journalistischer Coup. Am 11. Mai begleitete Ronzheimer einen Mann, der bei dem Referendum über die Abspaltung des Ostens von Kiew acht Mal ungehindert abstimmte. Eine Story, die zeigte, welch eine Farce diese Abstimmung wahltechnisch war.
Über seine Erlebnisse bei dem Referendum berichtete Ronzheimer aber nicht nur auf den Seiten der BILD-Zeitung, sondern auch über Twitter. "Wahlbetrug! Sind mit Mann unterwegs, w Zeuge wie er 8 (!) Mal an versch Stationen in Donezk abgestimmt hat. Mehr später bei @BILD #Ukraine", schrieb der Journalist noch am Tag der Abstimmung.
Wie sich kurz darauf zeigen sollte, war dieser Tweet jedoch ein Fehler. Denn auch die Separatisten erfuhren innerhalb kürzester Zeit von Ronzheimers Wahlbetrugs-Story. Mit für den Boulevardjournalisten fatalen Folgen. Noch am selben Tagen eröffneten in Slawjansk pro-russische Separatisten ihre Jagd auf Ronzheimer, um ihn zu kidnappen. "An den von den Separatisten kontrollierten Checkpoints wurde sogar Fotos von mir verteilt", erklärt Ronzheimer gegenüber Telepolis, der aus Sicherheitsgründen den umkämpften Osten des Landes darauf verließ. Seit dem 14. Mai berichtet Ronzheimer wieder aus Kiew.
Doch es waren nicht die Separatisten, die Ronzheimers Tweets verfolgten und so auf ihn aufmerksam wurden, sondern ein russischer Journalist. Dimitrij Steschin, ein Kriegsreporter der Moskauer Komsomolskaja Pravda, regte sich über die Geschichte Ronzheimers so sehr auf, dass er den deutschen Kollegen bei den Separatisten verpfiff und diese auf ihn hetzte. Was ihm nicht nur wegen der Story leicht fiel, sondern auch wegen seiner guten Kontakte zu den pro-russischen Kräften.
Seit Wochen berichtet Steschin als eine Art "embedded journalist" an der Seite der Separatisten für die Moskauer Boulevardzeitung. Zuvor war er für die Komsomolskaja Pravda auf dem Maidan und später auf der Krim. Für wessen Seite sein Herz schlägt, daraus machte Steschin nie ein Geheimnis. Objektivität ist jedenfalls keine seiner beruflichen Stärken. Was der Kreml aber offenbar zu schätzen weiß. Steschin, der bereits vom dem letzten Tschetschenien-Krieg berichtete, soll zu den russischen Journalisten gehören, die wegen ihrer Berichterstattung von der Krim ausgezeichnet werden sollen.
Dass Steschin hinter der Jagd auf den BILD-Journalisten steckt, machte der russische Journalist Pavel Kanygin publik. Über Facebook fragte der Reporter der Moskauer Novaja Gazeta, der selber von den pro-russischen Separatisten festgehalten, gefoltert und mit dem Tod bedroht wurde, da ihnen seine Artikel missfielen, ob es stimme. "Ja, ich habe bei Twitter über diese Schwuchtel von der Bild-Zeitung geschrieben. Und ich bin der Meinung, dass ich absolut richtig gehandelt habe. Die Menschen haben mit ihrem Blut für dieses Referendum bezahlt und sie werden es weiterhin tun. Schade, dass sie ihn nicht gekriegt haben", antwortete darauf Steschin. "Nebenbei gesagt: über das Wahlkarussell schrieb nur das deutsche Arschloch. Deshalb, weil es Wahlbetrug nicht gab. Die Menschen standen in Schlangen an, um ihre Stimme abzugeben. Anstatt zu fliehen und das belagerte Slawjansk aufzugeben", schrieb Steschin kurz darauf in einem weiteren Kommentar.
Eine Erklärung jedoch, die selbst bei Stechins russischen Kollegen auf wenig Verständnis stieß. Obwohl in Kiew gemunkelt wird, dass Ronzheimer den Mann für seinen Rundgang durch die Wahllokale bezahlt hat, was der Boulevardjournalist gegenüber Telepolis jedoch bestreitet, ist die Empörung über Steschins Verhalten groß. "Wie kannst Du nur die Gesundheit und das Leben eines Kollegen riskieren?", lautet zusammengefasst der Grundtenor in den Kommentaren. Viele zeigen sich aber auch nicht verwundert. Dimitrij Steschin werden in Moskau enge Verbindungen in die rechtsradikale Szene nachgesagt.
Gefährlich ist es in der Ostukraine aber nicht nur für ukrainische und westliche Journalisten, sondern auch für russische Reporter
Die Empörung über Steschin ist aber auch deshalb so groß, weil sich der Osten der Ukraine zu einem mittlerweile gefährlichen Pflaster für Journalisten entwickelt hat. Dies hat am Samstag der Tod des italienischen Fotojournalisten Andrea Ronchelli gezeigt, der in der Nähe der umkämpften Separatisten-Hochburg Slawjansk zusammen mit seinem russischen Übersetzer Andrej Mironow durch Mörserbeschuss ums Leben kam. Ronchelli ist damit der erste Journalist, der bei seiner Arbeit in der Ukraine sein Leben verlor. Wenige Tage zuvor wurde ein Kameramann von Russia Today bei Kämpfen in Mariupol durch einen Bauchschuss verletzt.
Doch Entführungen, Verhaftungen, Folter und Zensur gehören mittlerweile zum Alltag der in der ehemaligen Sowjetrepublik arbeitenden Journalisten. Und dies bei beiden Konfliktparteien. Das Institute of Mass Information, eine Partnerorganisation von Reporter ohne Grenzen, zählte vom 1. Januar bis zum 16. Mai 218 Angriffe auf Journalisten in der Ukraine. Vom 17. bis zum 23. Mai zählte die ukrainische Nichtregierungsorganisation 18 Übergriffe. So beschossen in Slawjansk Separatisten einen Hubschrauber des lokalen Fernseh-, und Radiosenders "Donbass". Die Redaktion des Donezker öffentlichen Fernsehens wiederum wurde tätlich angegriffen.
Einer der brutalsten Fälle ist die Entführung von Serhij Schapowal. Am 26. April wurde in Donezk der ukrainische Print-Journalist von pro-russischen Separatisten entführt. Drei Wochenlang wurde Schapowal mit Elektroschocks und Messerstichen in die Hände gefoltert. Zudem musste er vor laufenden Kameras die Separatisten als unbewaffnete Zivilisten bezeichnen. Aufnahmen, die später in den Medien der Separatisten ausgestrahlt wurden.
Doch nicht nur mit körperlicher Gewalt versuchen die pro-russischen Separatisten ihnen unliebsame Journalisten mundtot zu machen. Hackerangriffe sowie technische Sabotage gehören ebenfalls zu ihren Methoden. So verschwanden in Luhansk mehrere ukrainische Fernsehsender für mehrere Tage aus dem örtlichen Kabelnetz.
Gefährlich ist es in der Ostukraine aber nicht nur für ukrainische und westliche Journalisten, sondern auch für russische Reporter. So verhaftete die ukrainische Nationalgarde die Life News-Journalisten Oleg Sidjakin und Marat Sajtschenko. Waffenbesitz sowie Unterstützung und Spionage für die Separatisten warfen die Behörden dem Reporterteam des vom Kreml unterstützten Nachrichtensenders vor. Erst nach mehreren Tagen wurden die beiden russischen Journalisten freigelassen. Einen Tag festgehalten wurde ebenfalls der englische Russia-Today-Reporter Graham Phillips.
Zudem versuchen die ukrainischen Behörden mit Einreiseverboten Einfluss auf die Berichterstattung vorwiegend kremltreuer Medien zu nehmen. So durften nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch drei Journalisten, die für die arabischen Programme von Russia Today arbeiten, nicht aus der Ukraine von der Präsidentenwahl berichten. Auch einem Russia-Today-Kameramann sowie seinem Assistenten verweigerten die ukrainischen Behörden die Einreise, ebenso wie zwei Journalisten-Teams des russischen Staatssenders VGTRK.
Eine Wahlberichterstattung vor Ort verweigerten die ukrainischen Behörden aber nicht nur den Mitarbeitern der Kreml-Propagandasender. Auch Ilja Azar, Sonderkorrespondent des liberalen Radiosenders Echo Moskvy, sowie der bekannte Blogger Ilyja Warlamow durften nicht aus der Ukraine berichten. Damit gehen die ukrainischen Behörden nicht besser gegen unliebsame Journalisten vor als die in Russland. Diese verhafteten fünf Journalisten, die von der Krim über die Gedenkfeierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Deportation der Krimtataren berichten wollten.
Was bleibt, sind hilflose Appelle von internationalen Journalistenverbänden. "Wir rufen alle Seiten im Ukraine-Konflikt auf, den Status der Journalisten als Zivilisten zu respektieren und ihnen eine freie Berichterstattung zu erlauben", forderte Muzarrat Sulejmanow vom Komitee zum Schutz von Journalisten. Doch die Forderung dürfte ungehört bleiben. Auch deshalb, weil sich viele ukrainische und russische Medien einen üblen Propagandakrieg liefern. Mit Nachrichten, die sich selbst ad absurdum führen, wie der russische Staatssender "Erster Kanal" am Sonntag bewiesen hat. Dieser veröffentlichte eine Hochrechnung, laut der Dmytro Jarosch, Anführer des Rechten Sektors, mit 37.13 Prozent den ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen für sich entschieden hat. In Wirklichkeit erhielt Jarosch jedoch nur 0.7 Prozent der abgegebenen Stimmen.