Der Kulturinquisitor
100 Tage Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der sich bisher weniger auf die Kultur als auf eine Verschärfung des Urheberrechts konzentrierte
Am 22. Februar hielt Merkels Kulturstaatsminister Bernd Neumann Hof, um seine ersten 100 Tage im Amt zu feiern. Danach wurde von der SZ über die Welt bis zur BZ seine Ideenlosigkeit bemängelt und dass er bisher nichts für die Kultur erreicht habe. Exemplarisch war das Urteil von Heinrich Wefing in der FAZ: "In hundert Tagen ist nicht eine überraschende Idee aus der achten Etage des Kanzleramtes gedrungen. Nicht zur Filmförderung, nicht zur Stiftungsfusion, nicht zur Beutekunst, nicht zur Frage der Erinnerung an die Vertreibungen und auch nicht zur Rechtschreibreform."
Bei dieser schalen Bilanz für die Kultur wurde jedoch ganz vergessen, was Bernd Neumann an Lobbyarbeit für die Kulturindustrie geleistet hat. Der Spezialist fürs subventionierte Seichte (ZDF-Fernsehrat und Präsidium des Verwaltungsrats der Filmförderungsanstalt) war schon vor seiner Ernennung zum Regierungsbeauftragten für Kultur und Medien einer der lautesten Trommler für einen totalen Internet-Überwachungsanspruch der Medienindustrie und gegen die in der zweiten Stufe der Urheberrechtsreform vorgesehene "Bagatellklausel" (vgl. Bundesjustizministerium macht neuen Anlauf zur Urheberrechtsreform).
Als "Medien- und Filmexperte" der CDU gern geladener Gast bei Film- wie Musikindustrie forderte er auf Empfängen lautstark und stetig, dass jeder "Urheberrechtsbruch" im Internet kriminalisiert werden solle. Auf die Schwierigkeit solch eines Vorhabens ging er nicht ein. Dabei ist die Ermittlung, wann ein "Urheberrechtsbruch" vorliegt, keineswegs eine so triviale Angelegenheit wie die Eigentumsfrage bei materiellen Gütern. Während dort die Luft ein öffentliches ist und der Käse im Supermarkt ein privates Gut ist, ist es alles andere als offensichtlich, ob z. B. ein Film oder ein Musikstück gemeinfrei ist.
Alleine die national unterschiedlichen Fristen sorgen im Internet für mehr als nur Verwirrung. Sieben Musikstücke, die nach der letzten Urheberrechtsnovelle vier Experten zur Prüfung der Gemeinfreiheit vorgelegt wurden, führten zu sechs unterschiedlichen Ergebnissen – von den sehr unterschiedlichen Begründungen für das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen einer Gemeinfreiheit einmal ganz abgesehen (Gesetzbuch zu ... und alle Fragen offen). Auch Medienkonzerne führen ständig gegeneinander Prozesse um angebliche Urheberrechtsverletzungen, die in den wenigsten Fällen bewusst begangen wurden. Hier einen privatrechtlichen Anspruch zu gewähren, ist eine Sache. Mit der Keule des Strafrechts zu drohen, führt auf diesem unübersichtlichen Terrain zu einer absoluten Unsicherheit, in der Kulturschaffende ohne Medienkonzern in Hintergrund im Zweifelsfall gar nichts mehr machen. Dieser Effekt wird von der Kulturindustrie nicht nur in Kauf genommen, sondern sogar gewünscht. David Bollier stellte bereits 1999 fest, dass das Copyright immer häufiger als Wettbewerbsinstrument missbraucht wird und so die Entstehung von Werken verhindert, die es eigentlich fördern sollte.
Kaum ernannt kündigte Naumann sofort an, er wolle sich bei Justizministerin Zypries "energisch dafür einsetzen", die Wünsche der Medienindustrie durchzusetzen und dafür zu sorgen, auch in geringer Zahl "rechtswidrig hergestellte" Kopien für den privaten Gebrauch, für "persönlich verbundene" Personen (also die Mix-CD für die Freundin) sowie "Bearbeitungen oder Umgestaltungen von Werken" unter Strafe zu stellen.
Vor allem im letzten Punkt liegen potentiell mehr Gefahren für Kulturwerke als Anreize zu deren Schaffung: Wie schon die Vorsokratiker wussten, kann nichts aus nichts entstehen. Und auch Kulturschöpfungen aus dem Nichts gibt es nicht – alles ist eine Umgestaltung und Neuanordnung, und sei es nur in so kleinen Einheiten wie einzelnen Wörtern. Mal ist es mehr Umgestaltung, mal weniger, wie etwa bei Neumanns Parteigenossen Friedrich Merz (vgl. Wie Friedrich Merz die Rede mopste). Zu weitgehende Urheber- und Markenrechte zerstören deshalb eher Kulturgüter, als dass sie deren Entstehung fördern.
Neumanns Forderungen betreffen aus diesem Grund nicht nur "Raubkopierer", sondern auch Kreative: Filme werden nicht restauriert und zerfallen zu Essig, Anwälte können die Verbrennung von Filmen wie Nosferatu oder Machorka-Muff anordnen (die nur als "Raubkopien" erhalten sind) und IT-Konzerne die Rettung von Abandonware verhindern (vgl. Hase und Igel).
Umfassende Kriminalisierung und Auskunftsanspruch
Vor der Regierungsbildung galt Neumann aufgrund mehrerer "Ausfälle" als "untragbar in der ersten Reihe". Im Hinblick auf seinen Forderungen nach einem schärferen Urheberrecht ist vor allem einer dieser "Ausfälle" interessant: 1977 äußerte er als Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bremer Bürgerschaft, dass er die Gedichte des jüdischen Kommunisten Erich Fried lieber "verbrannt" als in der Schule vorgetragen sähe. Durch diese Haltung ist es für Neumann offenbar auch kein Problem, wenn er mit seiner Politik Kulturgüter eher gefährdet, als ihre Schöpfung zu fördern. Wer gerne Bücher brennen sieht, dem machen auch brennende Filme nichts.
Neben einer umfassenden Kriminalisierung breiter Bevölkerungsschichten befürwortete Neumann auch "intelligente Systeme" zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM), mit denen der Kunde dazu gebracht werden soll, für jeden Abspielvorgang eines gekauften Mediums erneut zu zahlen. Und er versprach Lobbyisten, dass Medienkonzerne einen umfassenden Auskunftsanspruch bei Internet-Providern bekommen sollten, mit dem sie hinter jeder Internet-Aktivität Namen und Postadresse herausfinden können. Neumann bewies sich als ein Politiker, der seine Versprechen hält: Der Auskunftsanspruch, der ursprünglich erst nach der Verabschiedung des zweiten Korbs der "Urheberrechtsreform" behandelt werden sollte, findet sich nun bereits im aktuellen Gesetzesentwurf des Justizministeriums (vgl. Auskunftsansprüche gegen Provider bei Verletzungen des Urheberrechts vorgesehen).
Mit der Kombination aus umfassender Kriminalisierung und Auskunftsanspruch wird auch potentiellen "Abzockern" eine neue Möglichkeit an die Hand gegeben. Sie können als echter oder als Pro-Forma-Medienanbieter über IP-Nummern wahllos Adressen ermitteln und Personen, die sich zu dieser Zeit im Internet befanden, mit Strafanzeigen drohen. Sehr wahrscheinlich werden viele der Betroffenen lieber Abmahn- und Schadensersatzforderungen zahlen, bevor sie sich auf das Risiko eines Strafprozesses mit unklarer Beweislage einlassen – ganz gleich, ob wirklich eine Urheberrechtsverletzung vorliegt oder nicht. Man kennt das Geschäftsmodell bereits von Dialerbetreibern, Serienabmahnern, etc. (vgl. Inkasso für rechtswidrige Ortsvorwahl-Dialer trotz Verbots aktiv).
Möglich wird dieses neue Geschäftsfeld, mit dem sich Medienanbieter durch Abmahnerpressung eine goldene Nase verdienen können, auch durch eine "kleine Änderung" bei der Umsetzung der erheblich in Bürgerrechte eingreifenden EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. War bei der Verabschiedung dieser Richtlinie im EU-Parlament noch davon die Rede, dass ja "sichergestellt" sei, dass nur "Sicherheitsbehörden" bei der Verfolgung "schwerer Straftaten" Zugriff auf die Daten hätten, so empfahl der Rechtsausschuss am 15. Februar dem Bundestag beim Antrag der Koalitionsfraktionen für eine Richtlinie über die Vorratsspeicherung "die Beschränkung der Datenabfrage zu Zwecken der Strafverfolgung auf die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten" zu berücksichtigen.
Das Bundesjustizministerium ging sogar noch weiter und sprach in seiner Pressemitteilung vom 21. Februar 2006 davon, dass der Zweck der Speicherung die "Ermittlung, Verfolgung und Aufdeckung schwerer Straftaten" sei, "zu denen auch alle mittels Telekommunikation begangenen Straftaten zählen". Was wie ein Formulierungsdetail aussieht, versetzt nicht nur Sicherheitsbehörden, sondern auch Medienanbieter in die Lage bei jeder behaupteten Urheberrechtsverletzung aber auch bei anderen Bagatelldelikten wie Beleidigung, Verleumdung oder üble Nachrede auf die zwangsweise gespeicherten Daten zugreifen zu können (vgl. Vorratsdatenspeicherung in Deutschland).
Da helfen Kulturschaffenden nur noch Onion Router wie TorPark, VPNs wie I2P – oder gleich auswandern. Ab nächstem Jahr lohnt sich das auch für Geringverdiener - dann zahlt man in Antigua nur 17,5 statt 19 % Mehrwertsteuer.