Prof. Michael Pfeifer, Präsident des Lungenarzt- und Beatmungsmedizin-Verbandes DGP, über Systemkritik, Sparzwänge, Demos und Depressionen
Professor Dr. med. Michael Pfeifer gilt weltweit als Koryphäe im Bereich der Pneumologie, der Lungen- und Atemwegsheilkunde. Der Internist ist Chefarzt und Medizinischer Direktor der hochspezialisierten Regensburger Klinik Donaustauf - Zentrum für Pneumologie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie [1] sowie Leiter der Pneumologie am Universitätsklinikum Regensburg (UKR), welches unter anderem auf die Intensivversorgung von Lungenkrebspatienten [2] spezialisiert ist. Ein besonderer Schwerpunkt der Klinik- und Forschungsarbeit Prof. Pfeifers ist neben der Maximalmedizinalisierung zur Akut-Lebensrettung die intensive Einbeziehung sozialer, seelischer und gesellschaftlicher Lebensumstände wie Traumaerfahrungen, Existenzängste und erlebte Todesgefahren in die persönliche Rehabilitation seiner Patienten, die seiner Meinung nach zu wenig Platz findet im jetzigen Medizinsystem der Marktzwänge - zumal im Rahmen von Covid-19 [3].
DGP-Präsident Prof. Pfeifer gehört zu den 25% der Ärzteschaft, die bereit sind, Zuwendungen der Industrie offenzulegen gegenüber dem Journalisten-Kollektiv correctiv [4]. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP [5]) ist einer der größten und ältesten Facharztverbände der Welt, kooperiert heute u.a. mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der American Thoracic Society und Patienten-Initiativen, besonders hoch ist der Frauenanteil mit 37%. Außergewöhnlich war die offensive Aufarbeitung der DGP zur deutschen Barbarei der einst jüdisch und sehr demokratisch, dann NS-geprägten Vorgängerverbände, die den Holocaust mitorganisierten und die Euthanasie offensiv propagierten.
"Sorgen bereitet mir die Personalsituation"
Experten und Politik gingen noch im Frühjahr von erheblichen Opferzahlen bzw. von einer Zahl von über einer Million Intensivpatienten durch Covid-19 innerhalb einer Dreimonatsfrist aus. Wird Ihnen als wohl renommiertestem Spezialisten in Deutschland "mulmig", wenn Sie an solch eine Situation denken?
Michael Pfeifer: Mulmig schon - aber auch zuversichtlich, dass wir es wie im Frühjahr schaffen werden. In vielerlei Hinsicht sind wir besser darauf vorbereitet: Erfahrung, dass es leistbar ist, mehr Wissen über die Erkrankung selbst, bessere Konzepte der Behandlung und wirksame Medikamente, die zwar keine heilende Wirkung haben, aber helfen, das Krankheitsgeschehen besser zu kontrollieren. Alles das stand uns zu Beginn der Pandemie nicht zur Verfügung.
Ist das wirklich für die Krankenhäuser bzw. die Intensivabteilungen zu bewältigen?
Michael Pfeifer: Wir werden voraussichtlich mehr Patienten in den Krankenhäusern behandeln als in den Frühjahrsmonaten. Viele davon werden so krank sein, dass eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich ist. Die apparative Ausstattung und die Zahl von Intensivbetten werden dabei nach den aktuellen Hochrechnungen nicht der limitierende Faktor sein.
Sorgen bereitet mir die Personalsituation - uns fehlen intensivmedizinisch erfahrene Fachkräfte für die Versorgung all dieser potentiell vorhandenen Intensiv-Kapazitäten. Zum anderen können wir nicht erwarten, dass dieser enorme Kraftakt, den das Personal in den Krankenhäusern, auch psychisch, zu Beginn der Pandemie geleistet hat, in der gleichen Weise wiederholbar ist, zumal wir jetzt voraussichtlich über eine monatelange Belastung sprechen.
Die absoluten Zahlen im Moment sind hochdramatisch, die Kanzlerin spricht von "drohendem Unheil", einige Experten relativieren aber … Rechnen Sie mit vielen Toten auch in Deutschland oder auch in den Nachbarländern, welche dann verschuldet sind durch die unzureichende (Personal-)Ausstattung in den Kliniken?
Michael Pfeifer: Nein, das befürchte ich nicht - aber wir werden an die Grenzen kommen.
"Wir müssen sehr darauf achten, nicht zu Lasten anderer erkrankter Menschen zu handeln"
Das heißt, es wird auch Tote geben durch die Kapazitätsengpässe, also Patienten, die gar kein Covid-19 in sich tragen, aber deren Behandlung nun aufgeschoben wird, etwa Lungenkrebspatienten?
Michael Pfeifer: Das ist eine der wesentlichen Herausforderungen. Im Frühjahr konzentrierten sich die ganzen Aktivitäten in den Krankenhäusern darauf, Kapazitäten zu schaffen, um Covid-19 Patienten zu behandeln. Wir wussten damals alle nicht, was auf uns zukommt. Das hat zu einer Art "Lockdown" in den Kliniken geführt. Nicht dringende Operationen wurden abgesagt, die Ambulanzen nahmen keine Patienten mehr auf, Stationen wurden leergeräumt, die Versorgung von anderen Patienten beschränkte sich auf Notfälle.
Jetzt ist es die Aufgabe und die wesentliche Herausforderung, die Regelversorgung so weit wie möglich neben der Versorgung der COVID-19 Patienten aufrechtzuerhalten. Natürlich wird es in vielen Kliniken eine Verschiebung geben, aber wir müssen sehr darauf achten, nicht zu Lasten anderer erkrankter Menschen zu handeln. Dabei müssen wir uns mit einem Dilemma auseinandersetzten: Kommt es zu einem nicht kontrollierten Infektionsverlauf, wird das Gesundheitssystem überlastet, sodass die allgemeine medizinische Versorgung der Bevölkerung gefährdet ist, mit Folgen sowohl für Covid-19 Patienten wie auch für Patienten mit anderen Erkrankungen wie z.B. Krebserkrankungen.
Daher sind die aktuellen politisch beschlossenen Maßnahmen aus meiner Sicht konsequent und richtig, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Andererseits haben wir in den ersten Monaten der Pandemie auch gesehen, dass der Lockdown mit häuslicher Isolation zu verzögerten Behandlungen von akuten Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall mit den entsprechenden gesundheitlichen Schäden geführt hat. Das ist eine Situation, die uns bewusst sein muss. Das erfordert eine hohe Flexibilität und hohe Anforderungen an das medizinische, aber auch an das nicht-medizinische Personal in den Kliniken wie auch in den Praxen.
"Ältere Menschen haben sich in den letzten Monaten besser geschützt als jüngere"
Das Augenmerk liegt im Moment auf erkrankten Covid19-Patienten in jüngerem Alter? Sind die Älteren jetzt weniger gefährdet? Kinder dagegen scheinen kaum betroffen ...
Michael Pfeifer: Tatsächlich sind aktuell mehr jüngere Patienten erkrankt - aber die Infektionen nehmen auch bei den Älteren steil zu, die weiterhin gefährdet sind, sich zu infizieren und nach den Erfahrungen im Frühjahr auch die Gruppe von Erkrankten darstellen, die besondere schwere Verläufe zeigen mit einer höheren Sterblichkeit. Ältere Menschen haben sich in den letzten Monaten besser geschützt als jüngere, die ja deutlich mehr soziale Kontakte im Alltag und in der Freizeit haben. Dagegen scheinen sich Kinder weniger anzustecken oder werden nicht so krank.
In Berlin wurde ein Krankenhaus für bis zu 1000 Patienten in Rekordzeit errichtet - ähnlich wie in Wuhan. Hilft das?
Michael Pfeifer: Das ist als eine Vorsichtsmaßnahme zu sehen und wir hoffen, dass ein solches Krankenhaus nicht in Betrieb gehen muss. Umso wichtiger ist die konsequente Umsetzung der allgemeinen Maßnahmen, um einen weiteren Anstieg der Infektionszahlen zu verhindern und eine unkontrollierte Ausbreitung zu verhindern.
Sind denn die ad-hoc-Maßnahmen der Politik im Medizin- und Klinik-Bereich überhaupt ausreichend nach Ihrer Einschätzung? Ist wirklich eine Art Schnellausbildung von Normal-Pflegern zu Intensivpersonal möglich?
Michael Pfeifer: Das sehe ich zwar kritisch, aber unter der Supervision einer Intensivfachkraft ist eine allgemein ausgebildete Pflegekraft in der Lage auch kritisch erkrankte Patienten zu versorgen.
"Ein Thema ist dabei auch die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens"
Was hat die Politik in den letzten 20 Jahren falsch gemacht? Vor allem bezüglich der Intensivmedizin und der Notbeatmungsmedizin?
Michael Pfeifer: Ich würde nicht von falsch gemacht sprechen - eher von Versäumnissen. Das betrifft vor allem das Problem der fehlenden Pflegekräfte. Obwohl das Problem schon seit Jahren bekannt ist, wurde es nicht mit der notwendigen Konsequenz angegangen. Ein Thema ist dabei auch die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, die zu einer Verdichtung insbesondere der menschlichen Ressourcen geführt hat, sodass viele Mitarbeiter diesem Druck nicht mehr gewachsen waren und sind und daher in andere Berufe wechseln oder krank werden. Das ist vor allem im Bereich der Intensivmedizin zu einem brennenden Problem geworden.
Zudem schafft das System falsche Anreize zu Gunsten einer "Apparatemedizin" während die "sprechende" Medizin verloren hat.
Gibt es denn qualitative und quantitative Unterschiede zwischen den Bundesländern? Falls ja, woran liegt das?
Michael Pfeifer: Nein - da sind keine Unterschiede erkennbar ...
Welche Bundesländer sind am besten "aufgestellt" - auch vor Covid-19? Liegt nicht Bayern vor Berlin und Hamburg?
Michael Pfeifer: Unsere föderale Struktur sichert eine qualitative hohe Versorgungsqualität in allen Bundesländern.
"Die Erkrankungen der Lunge gehören zu den häufigsten Gründen für einen Arztbesuch"
Es gibt global erhebliche Differenzen bei den absoluten wie relativen Fall-, Mortalitäts- wie auch Genesungszahlen zwischen den Ländern und den Kontinenten? Ist das nur armuts- oder nicht auch organisationsbedingt wie in den USA?
Michael Pfeifer: Da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Es war zu Beginn der Pandemie die Wucht, wie diese Erkrankung in Italien und Frankreich aufgetreten ist. Da hatten wir in Deutschland mehr Zeit für die Vorbereitungen. Natürlich spielen die Ressourcen eines Gesundheitssystems, sowie der freie und gesicherte Zugang zur Gesundheitsversorgung, wie wir ihn kennen, eine enorm wichtige Rolle. So haben wir mit die höchsten Kapazitäten im Bereich der Intensivmedizin im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten und konnten diese in einer kurzen Zeit noch erweitern.
Die richtigen politischen Entscheidungen zu Beginn der Pandemie in Deutschland, die wirtschaftliche Stärke und die dezentrale Struktur des öffentlichen Gesundheitsdienstes, die eine schnelle Reaktion auf das jeweilige regionale Infektionsgeschehen erlaubte, haben sicherlich dazu beigetragen, dass der Verlauf hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern kontrollierter und nicht so schwer war.
Meinen Sie denn, dass das ganze bis 2021 ausgestanden ist, wie im Frühjahr fast alle prognostizierten wie Boris Johnson? Mittlerweile heißt es 2022 oder 2023 ...
Michael Pfeifer: Ich hoffe, dass wir spätestens im Laufe des ersten Halbjahres eine Impfung zu Verfügung haben und damit die Infektion kontrollieren können. Die ersten Informationen zu den klinischen Studien sind hoffnungsvoll. Trotzdem wird uns das Virus noch weiter beschäftigen - viele Fragen zur Impfung sind noch offen: Reagieren alle Menschen mit dem Aufbau einer Immunität? Gibt es Unterschiede zwischen den Altersklassen? Wie sind die Nebenwirkungen? Wie lange bleibt ein möglicher Impfschutz bestehen? ... und vieles mehr. Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir eine Normalität, wenn auch eine neue Normalität haben werden.
Die Pneumologie ist vielen unbekannt, hat jedoch große Auswirkungen für sehr viele: von Asthmapatienten über Thrombose und Lungenembolie, Tbc, Apnoe, Bronchitis bis zu seltenen Erkrankungen und Alltagsbeschwerden. Werden solche Bereiche in der Medizin allgemein vernachlässigt?
Michael Pfeifer: Die Erkrankungen der Lunge gehören zu den häufigsten Gründen für einen Arztbesuch oder für eine Krankenhauseinweisung. Asthma bronchiale und COPD, aber auch die Lungenentzündung sind Volkskrankheiten. An der Tuberkulose versterben weltweit noch immer Millionen von Menschen, mehr als an jedem anderen Erreger. Lungenkrebs ist eine der häufigsten bösartigen Erkrankungen. Daneben erkranken die Menschen auch an vielen anderen, selteneren Lungenerkrankungen, für die wir heute effektive Therapien anbieten können.
Die Pneumologie ist heute auch in Deutschland, wie schon lange in anderen Ländern, nicht mehr aus der Intensivmedizin wegzudenken. Tatsächlich war nach dem Rückgang der Tuberkulose-Erkrankungen lange Jahre die Lungenheilkunde in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so präsent wie die Kardiologie und Gastroenterologie. Die Gründe hierfür sind in der historisch bedingten geringen Präsenz der Pneumologie in den Universitäten zu suchen - ganz anders im weltweiten Ausland, wo selbstverständlich praktisch jede medizinische Universität einen Lehrstuhl für Pneumologie besitzt.
Die Themen der letzten Jahre, wie Umweltbelastung und Feinstaubdiskussion und jetzt die SARS-CoV-2-Pandemie, hat der Pneumologie in den Medien und damit in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit gegeben. Es wird unserer Forderung von Seiten der deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin nach mehr universitärer Präsenz mit eigenen Lehrstühlen mehr Nachdruck verleihen - damit Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich nicht weiterhin einen der letzten Plätze belegt.
"Ein neuer Erreger kann zu einer erneuten Pandemie führen"
"Die akademische Freiheit ist die Freiheit, so viel lernen zu dürfen, wie man nur will", sagte Rudolf Virchow. Das ist der Leitsatz des Verbandes. Gilt das heute noch - in Zeiten von Sparzwängen und Ökonomisierung?
Michael Pfeifer: Dieser Leitsatz gilt gerade in der Zeit der Ökonomisierung und der Sparzwänge - nur müssen wir jetzt mehr darum kämpfen.
Vor welchen grundsätzlichen Herausforderungen steht denn die Intensivmedizin in Mitteleuropa und weltweit in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren - auch unabhängig von Covid-19?
Michael Pfeifer: Selbst, wenn wir die Pandemie überwunden haben oder unter Kontrolle bringen können, kann ein neuer Erreger zu einer erneuten Pandemie führen. Eine solche Situation wie aktuell wird seit Jahren als mögliches Szenario diskutiert und wurde wohl auch schon simuliert. Die Realität hat uns jetzt überholt. Die Zeit nach Corona wird die Gesundheitssysteme verändern - die Intensivmedizin wie auch das gesamte Versorgungssystem werden sich so aufstellen müssen, dass die Kapazitäten in allen Bereichen einer solchen Situation schnell angepasst werden können. Das sehe ich als eine große Herausforderung für die Politik und die Gesellschaft.
Ihre Klinik verfügt über eine eigene Station für Psychosomatik. Sollte dieser Bereich der ganzheitlichen Behandlung - im nicht-esoterischen Sinne - generell mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Michael Pfeifer: In unserer Klinik werden viele schwerkranke Patienten mit einem nicht heilbaren, chronischen Leiden behandelt. Die psychosomatische Kompetenz sehen wir dabei als eine unverzichtbare Komponente unserer Therapie - viele der Patienten leiden neben den schweren somatischen Beschwerden unter Angstsymptomen und Depressionen, die die Lebensqualität weiter einschränken.
Aktuell hat man ja auch auf den Straßen Hamburgs, Nürnbergs oder Berlins den Eindruck, Ängste und Reales, Körperliches und Seelisches gehen bei vielen in einander über? Die Macht der Psyche über die Wahrnehmung der eigenen Umwelt ...
Michael Pfeifer: Die Situation fordert uns alle, die Situation ist sehr komplex und für uns alle nur schwer zu verstehen. Daher ist Zweifel verständlich, umso mehr, wenn individuelle Existenzen bedroht sind, aber angesichts der bedrohlichen Situation, der weltweiten Erfahrungen mit der Pandemie und dem vielen Leid, das ich in den ersten Monaten erleben musste und auch jetzt wieder sehe, ängstigen mich diese Proteste mit all den Verschwörungstheorien - das ist dann rational nicht mehr nachvollziehbar.
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