Der Masterplan der euro-amerikanischen Wirtschaft für die Zukunft der globalen Informationsgesellschaft

Verhandlungen unter engen Freunden

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Einen Monat vor der neuen WTO-Handelsrunde übergaben in Berlin europäische Unternehmenschefs zusammen mit ihren amerikanischen Kollegen im Rahmen des Transantlantischen Wirtschaftsdialogs ihre "Empfehlungen" zur weiteren Liberalisierung des (elektronischen) Handels an die Regierungsvertreter der EU-Kommission und des US-Wirtschaftsministeriums. In Bereichen wie Kryptographie, Daten- oder Verbraucherschutz und bei Überlegungen zum Schutz des intellektuellen Eigentums waren sich die Manager schnell einig, was für den Konsumenten allerdings nicht immer Gutes erahnen lässt.

Die Sicherheitsmaßnahmen waren schärfer als bei jeder G8-Versammlung: im hermetisch abgeriegelten Berliner Hotel Interconti trafen sich beschützt von einem Riesenaufgebot von Polizei am Freitag und Samstag über 120 Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder von Firmen aus den USA und Europa zum fünften Transatlantic Business Dialogue (TABD). Ziel war es laut Jérôme Monod, der die Verhandlungen von europäischer Seite aus leitete, den ebenfalls zahlreich anwesenden Vertretern der Europäischen Kommission und der US-Regierung zu verdeutlichen, wie "ineffiziente und veraltete Regulierungen ausgemerzt und neue Handelsbarrieren schon in der Entstehungsphase unterbunden werden können."

Auf der Agenda der Liberalisierer standen neben dem Internet und dem Geschäft ums großgeschriebene "E", die der italienische Konzernchef Carlo de Benedetti in seiner Funktion als Vorstand des Electronic-Commerce-Panels als die "treibenden Elemente einer neuen industriellen Revolution" ausmachte, Themen wie Globalisierung, Umweltschutz bzw. dessen Verhinderung oder die Ausarbeitung von Prinzipien für das Fallen weiterer Zollbeschränkungen. Im Vorfeld des Ende November in Seattle stattfindenden Ministertreffens im Rahmen der World Trade Organization (WTO ging es dabei vor allem um die Ausarbeitung eines Briefings für die erwartete "Millenniums-Runde" bei neuen multilateralen Handelsvereinbarungen.

Die Gruppe der CEOs von Unternehmen wie ABB, AT&T, BASF, DaimlerChrysler, Deutscher Telekom, Lucent Technologies, Motorola oder Viatel ließ keinen Zweifel am gemeinschaftlichen Vorgehen und an der Tatsache, dass man beim Abbau von virtuellen oder realen Handelsbarrieren an einem Strang ziehe. "Zwei Business-Communities haben hier endgültig ihre Differenzen begraben und können nun mit einer Stimme zu den Vertretern der öffentlichen Amtsmacht sprechen", präsentierte Monod die transatlantische Phalanx den Medienvertretern, die keinen Zutritt zu den eigentlichen Arbeitsgruppen und noch nicht einmal zum offiziellen Lunch der Chefs hatten. Die traditionellen Werte, so der Vorstandsvorsitzende von Suez Lyonnaise des Eaux, seien zwar auf der ganzen Welt verschieden, doch gerade durch das "alles beeinflussende" Internet entstehe das Bedürfnis nach globaler Harmonisierung. Probleme mit der Globalisierung seien oft weniger Probleme an sich als vielmehr Probleme in den Köpfen der Menschen. Derlei Wahrnehmungsunterschiede gelte es ernst zu nehmen, aber möglichst schnell abzubauen.

Das MAI ist vom Tisch

Michael Moore, Generaldirektor der WTO, hatte am Freitag bereits eingestanden, dass das Tempo der Globalisierung bei vielen "tiefe Ängste" auslöse. Rationale Alternativen bestünden aber keine. Es gehe eher darum, vor allem China und Rußland in das "globale" Handelssystem stärker einzubeziehen und baldmöglichst in die WTO aufzunehmen. Für gestorben erklärte Moore das Multilateral Agreement on Investments (MAI), mit denen die OECD-Länder 1998 dem globalen Kapital freie Bahn für Direktinvestitionen schaffen wollten. Damals waren die geheimen Dokumente von Aktivisten im Internet veröffentlicht worden (Noch eine Anstrengung, ihr Globalisierer), was eine allgemeine Diskussion um die Pläne des "Clubs der reichen Länder" ausgelöst hatte. "Das MAI ist passé", bekannte Moore nun. Zumindest solle es nicht im Rahmen der WTO neu aufgegriffen werden.

Bei der Eröffnung der Plenarsitzungen hatte der US-Wirtschaftsminister William Daley die Unternehmensvertreter zuvor aufgefordert, gemeinsam mit den Regierungen "ein glaubwürdiges Programm" für Seattle auf die Beine zu stellen. Nur wenn die Vereinigten Staaten und Europa, deren Handels- und Investitionsvolumen bei über 700 Milliarden Dollar im Jahr liegt, "die gleichen Vorlagen" benutzten, könnten die momentan auf kleiner Flamme köchelnden Handelsstreitigkeiten "ohne die Aussicht auf eine neue Runde umfassender Handelsgespräche sehr wohl auflodern und außer Kontrolle geraten."

Die Ermahnungen wären wohl gar nicht nötig gewesen, denn die Wirtschaftsbosse waren sich in Prinzipienfragen so schnell einig, dass der für Fragen der Informationsgesellschaft zuständige EU-Kommissar Erkki Liikanen scherzhaft bemerkte, dass er den "kurzen und präzisen Diskussionsstil" gerne auch bei Debatten in Brüssel einführen würde. So konstatieren die CEOs in ihrem "Berliner Kommuniqué" unisono, dass die "Handelsliberalisierung enorme Vorteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, für Verbraucher sowie für Länder auf allen Stufen der wirtschaftlichen Entwicklung" habe und daher alle WTO-Vereinbarungen ihre volle Unterstützung fänden.

Frühwarnungen in Richtung EU

Im Einzelnen ließen es sich die transatlantischen Regierungsberater nicht nehmen, detaillierte Empfehlungen für die ausgefallensten Handelsbereiche und die mit ihnen verbundenen Themen zu geben. Die Palette reicht von Vorschlägen, wie die Sicherheit der Passagierluftfahrt verbessert werden könnte, bis hin zur Auflistung von Lebensmittelergänzungen oder der Diskussion der Frage, ob auf "Stand-by" geschaltete Elektrogeräte zuviel Strom verbrauchen. Für mehrere Bereiche gaben die Vertreter des TABD den Regierungsvertretern Schüsse vor den Bug ab durch sogenannte "Frühwarnungen". So drängen sie etwa die EU-Kommission, ihren Richtlinienentwurf zur Vermeidung von Elektronikmüll nicht als formalen Vorschlag an den Rat und das Parlament zu übergeben.

Rote Lampen aufleuchten ließen bei den Konzernchefs auch die Überlegungen der Kommission, den Verkauf von Elektrogeräten mit hohen elektromagnetischen Ausstrahlungen genauso zu verhindern wie den von Kühlschränken mit FCKW. Ob diese Warnungen und die sich daraus ableitenden Empfehlungen wirklich gewinnbringend für "alle beteiligten Gemeinschaften - Business, Regierung und anderen Sektoren der Zivilgesellschaft" - sind, wie es sich die TABD-Mitglieder auf die Fahnen schrieben, mag dahingestellt sein. Entlarvend auch die Aussagen zum Thema Klimaschutz: Wie generell sollten Regierungen auch hier auf "freiwillige Maßnahmen" der Industrie setzen und darauf achten, dass eventuelle Vorgaben "kosteneffektiv" sein sollten, um "globale Fortschritte zu möglich geringen Kosten" zu ermöglichen.

Wunschrahmen für den digitalen Kommerz

Auch im Bereich E-Commerce geht es den Konzernchefs vor allem darum, die eigenen Claims zu sichern und die neuen Handelsformen als unerschöpfliche Goldquelle zu erschließen. De Benedetti hob zwar den Verbraucher, der im Netz zum aktiven Player werde, in den Fahrersitz. Außerdem wird im Abschlußkommuniqué immer wieder betont, dass der Aufbau von Vertrauen in den elektronischen Handel oberste Priorität haben müsse. Gleichzeitig laufen die Empfehlungen aber den Forderungen von Verbraucherschützern entgegen. So sprechen sich die TABD-Vertreter etwa dafür aus, dass in einem Streitfall beim Online-Einkauf der Beklagte darüber entscheiden können solle, welches Gericht an welchem Ort die Sachlage zu klären habe. Unternehmer, die gekaufte Gegenstände nicht liefern oder keine Reklamationsmöglichkeiten bieten, hätten so die Möglichkeit, vor dem heimischen Richter die Klage abzustreiten - so ein Online-Shopper überhaupt die Mittel hätte, am anderen Ende der Welt einen Streitfall gerichtlich auszutragen.

Im heiklen Datenschutz-Terrain übernehmen die Konzernchefs voll die Haltung der USA und pochen auf die Selbstregulierung der Industrie. Die Europäische Kommission sowie die Mitgliedsstaaten der EU fordern sie dazu auf, die Richtlinie zum Schutz persönlicher Daten "flexibel und praktikabel" umzusetzen. Die Verhandlungen über Datenfreihäfen in Form der Safe-Harbor-Prinzipien zwischen Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks sollten zügig abgeschlossen werden, um gegenseitig akzeptable Vereinbarungen zu ermöglichen. Periodische Überprüfungen der Datenschutzpraktiken durch unabhängige Drittparteien wünschen die TABD-Mitglieder nicht. Datenschutz-Audits hätten höchstens auf freiwilliger Basis ihre Berechtigung. Außerdem sollen Unternehmen jederzeit ohne Einschränkungen ihre eigenen "Codes of Conduct" miteinander abschließen können. Schließlich sei es ja eh das Interesse jeder Firma, einen "angemessenen Level" im Bereich Datenschutz zu erreichen, um "den Kunden zu befriedigen." Dass die Verlockungen, persönliche Daten an Adresshändler und Direktmarketer zu verkaufen, oft größer sein könnten, scheinen die Wirtschaftspraktiker nicht zu fürchten.

Im Gegensatz zum Laissez-Faire im Bereich Datenschutz setzen die Erfolgsunternehmer zum Schutz des "Intellektuellen Eigentums" (Der Kampf um das intellektuelle Eigentum) auf strenge Regulierungsansätze durch nationale Regierungen. Diese sollten unbedingt sowohl die Copyright-Verträge der World Intellectual Property Organization (WIPO) als auch die WTO-Vereinbarung zu handelsbezogenen Aspekten von intellektuellen Eigentumsrechten (TRIPS) umsetzen und die Einhaltung vollständig überwachen, um "den elektronischen Marktplatz von Raubkopien zu befreien." Inmitten der "wissenschaftlichen Revolution" und auf dem Weg in die "Wissensgesellschaft" seien neue Entwicklungen nur möglich, so das Bayer-Vorstandsmitglied Werner Spinner, wenn das intellektuelle Eigentum geschützt werde. Dass das Einschweißen von Informationen und Wissen in traditionelle Copyrightmodelle den Wissensstand der Allgemeinheit nicht unbedingt vorantreibt und den auch von der Wirtschaft selbst so gern beschworenen "freien Fluss von Informationen" behindert, hat sich in der kontrollfreudigen Business-Community noch nicht herumgesprochen.

Insgesamt lassen sich genuin europäische Interessen oder gar Ansätze zu einer "sozialen Marktwirtschaft" im Berliner Kommuniqué so gut wie nicht entdecken. Einzig bei den Empfehlungen zur Kryptographie treffen sich die Vorstellungen der Unternehmer der beiden Wirtschaftsblöcke mit den konträr zur US-Regierungspolitik stehenden Forderungen von Bürgerrechtlern und Datenschützern. Hier plädiert der TABD dafür, bestehende Import- oder Exportkontrollen aufzuheben und direkte oder indirekte Forderungen nach Key Recovery bleiben zu lassen. "Schwerfällige Anforderungen" für die Beschreibung und die staatliche Überprüfung von Kryptographieprodukten "sollten überdacht und so neu formuliert werden, dass sie eng auf die wichtigen Bedürfnisse der öffentlichen Hand zugeschnitten sind." Bei digitalen Signaturen wünschen sich die Wirtschaftsvertreter die Gleichstellung mit der handschriftlichen Unterschrift.

Basteln am Weltmodell

Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass die Empfehlungen des TABD das europäische Modell weiter unter Druck setzen. Der amerikanische Wirtschaftsweg, gab Richard Thoman, Vorstand der US-Delegation, als Begründung, sei schlicht flexibler, weniger bürokratiebeladen und setze auf das Wachstum des Kapitalmarktes: "Das scheint prima mit der digitalen Wissensökonomie zusammenzupassen." Der Chef von Xerox ist sich allerdings nicht sicher, ob der Rest der Welt diese Erkenntnis bereits gewonnen habe. Die europäische Haltung erinnere ihn oft noch an die Zeit der großen Depression in den Staaten, wo die amerikanische Industrie einfach mit der europäischen nicht habe mithalten können. Es habe allerdings keinen Wert, die europäischen, bis auf Bismarck zurückgehenden Sozialmodelle von damals auf die heutige Wirtschaft und Gesellschaft zu übertragen.

Der EU-Kommissar Liikanen beeilte sich daher zu betonen, dass man im Prinzip auf ähnliche Prinzipien setze: "Je effizienter die Selbstregulierung funktioniert, desto weniger Bedarf besteht für die Regulierung." Allerdings müsse der öffentliche Sektor für die Überwachung der Selbstregulierung verantwortlich sein, fügte der Finne die europäische Note hinzu. Sein für den Handel zuständiger Kollege Pascal Lamy betonte außerdem, dass man nicht auf die Liberalisierung als Königsprinzip zur Lösung aller Probleme setzen könne. Schließlich gäbe es auch nationale Probleme wie etwa die Rentenfinanzierung, die "nichts mit der Globalisierung" zu tun hätten. Wie stark sich die neue Einigkeit in der transatlantischen Wirtschaftswelt in der Realpolitik niederschlagen wird, müssen nun die Kommissare und Regierungsvertreter, die Thoman immer nur als "enge Freunde" bezeichnete, entscheiden.