Noch eine Anstrengung, ihr Globalisierer!
Ein neues internationales Abkommen will die Rechte des internationalen Finanzkapitals gegenüber Staaten sichern
Ziemlich still und leise wurde bislang außerhalb einer großen Öffentlichkeit von den Mitgliedsstaaten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Abkommen formuliert, das erheblichen Einfluß auf die Weltwirtschaft, auf die nationale Politik und somit natürlich auf jeden einzelnen haben könnte. Lori Wallach schreibt in Le Monde diplomatique, daß es sich um das "neue internationale kapitalistische Manifest" handelt. Die Zeit vom 19.2., mittlerweile auch aufgewacht, titelt einen Bericht über das Abkommen: "In der Hand der Multis". Angeblich sei, wie die SPD-Abgeordnete Sigrid Skarpelis-Sperk zitiert wird, "weder Öffentlichkeit noch Bundestag angemessen informiert worden."
Über 600 Organisationen aus 70 Ländern haben am 12.2. gegen das Abkommen Einspruch erhoben und zum Widerstand aufgerufen, weil es bislang ohne demokratische Mitwirkung seitens der Bürger und ohne die Einbeziehung von NGOs formuliert wurde und noch dieses Jahr beschlossen werden soll. Der Widerstand geht wesentlich von der von Ralph Nader initiierten Verbraucherschutzinitiative Public Citizen aus, die im letzten Jahr auch bereits gegen Microsoft tätig geworden ist.
Siehe auch: Rethinking the State oder welche Vorschläge die Weltbank für den Umbau der Staaten hat, um die Attraktivität des Standorts für das Kapital zu sichern.
In der Tat geht es darum, eine der letzten Hürden für die globale Wirtschaft einzureißen und den Strömen des Finanzkapitals weitere Einflußmöglichkeiten zu sichern. Das Abkommen heißt ganz einfach und erst einmal unverdächtig klingend "Multilaterales Abkommen über Investitionen" (MAI) und strebt im Kern an, den Fluß von Investitionen weiter zu deregulieren und Investoren eine Reihe von einklagbaren Rechten gegenüber den unterzeichnenden Staaten einzuräumen. Investoren sollen beispielsweise nicht dazu verpflichtet werden können, einen Teil ihrer Gewinne wieder im Gastland zu investieren. In einer Formulierung der OECD lautet dies so: "Das MAI wird das erste umfassende multilaterale Abkommen für Investionen mit hohen Standards der Liberalisierung und des Schutzes von Investitionen mit effektiven Schlichtungsverfahren bei Konflikten sein."
Am 16. und 17. Februar fand ein Treffen hochrangiger Regierungsvertreter statt, die noch offene Fragen das MAI behandeln sollten, um Ende April beim jährlichen Treffen der OECD-Minister der 29 Mitgliedsstaaten eine endgültige Formulierung vorlegen zu können. Offene Fragen sind etwa "politische Themen", wozu Ausnahmeregelungen und die Behandlung von ökologischen und arbeitsrechtlichen Fragen gehören, denn das Abkommen sieht vor, die nationalen Grenzen möglichst bedingungslos für ausländische Investitionen zu öffnen und diesen langfristig Sicherheiten gegenüber den nationalen Regierungen einzuräumen. Mit Sonderregelungen für den Schutz von nationalen und lokalen Wirtschaften, die internationales Kapital "benachteiligen", soll endgültig Schluß gemacht werden.
Die am 18. Februar veröffentlichte Presseerklärung mit den abschließen Worten des Vorsitzenden bietet nicht viel Neues, zeigt aber, daß die Delegationen der OECE-Länder, der Europäischen Kommission und der Beobachterländer Argentinien, Brasilien, Chile, Hong Kong (China) und Slowakei offenbar sensibler für die Auswirkungen eines solchen Abkommens wurden. Es wird zwar weiterhin an der Bedeutung dieses Abkommens festgehalten, weil - gebetsmühlenhaft wiederholt - die Liberalisierung von Investitionen entscheidend für das Wirtschaftswachstum, die Beschäftigung, steigende Lebensstandards und ein sustainable development. Wie sich das miteinander verträgt, wird nicht gesagt. Angeblich wurden Fortschritte bei den offenstehenden Fragen, also den Ausnahmeregelungen vor allem, erzielt.
"Die meisten Delegationen glauben, daß das MAI eine starke Verpflichtungen für Regierungen beinhalten sollte, nicht die Umwelt- und Arbeitsstandards zu senken, um Investitionen anzulocken oder im Land zu halten." Deutlich gemacht werden soll auch, daß das MAI nicht die normale Regierungstätigkeit behindern soll. Immerhin will man wenigstens die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen einbeziehen, die auch Verpflichtungen für Investoren in den Bereichen Arbeit und Umwelt enthalten. Ausnahmen sollen im Hinblick auf nationale Sicherheit, öffentliche Ordnung, regionale wirtschaftliche Integration, Organisationen, Kultur oder Fördermaßnahmen möglich sein. In der Realität also könnte es doch im Gang der Verhandlungen zu einer Verwässerung der ursprünglichen Ziele kommen. Gleichwohl wird das MAI, wenn es denn zur Unterzeichnung kommt, seine Spuren hinterlassen, gerade weil die Chance eines solchen Abkommens es sein könnte, mit der Liberalisierung auf der einen Seite auch auf der anderen Seite bindende politische, arbeitsrechtliche, soziale und ökonomische Standards durchzusetzen.
Deregulierung und Liberalisierung des Weltmarktes ist nicht nur das Ziel von internationalen Wirtschaftsorganisationen und -verbänden wie der Weltbank, der Welthandelsorganisation oder GATT, sondern vorwiegend auch das Interesse der reichen Länder, die meinen, daß sie und ihre Wirtschaft davon profitieren können. Der freie Markt wird als Lösung für die Schaffung von Reichtum für alle verkauft. "Ausländische Direktinvestitionen", so wird die Intention des Abkommens angepriesen, "fördern zusammen mit dem internationalen Handel von Gütern und Dienstleistungen das Wirtschaftswachstum, lassen Arbeitsplätze entstehen und erhöhen weltweit den Lebensstandard." Internationalen Handel gibt es ja nun schon seit einiger Zeit - und die wachsende Schere zwischen Armen und Reichen auch, die der freie Markt ganz offenkundig von sich selbst aus nicht schließt. Die Regierungen "begrüßen ausländische Direktinvestitionen als Kapital- und Innovationsquelle und als Mittel, den Wettbewerb und die wirtschaftliche Leistungskraft zu stärken. Firmen aller Größen überschreiten nationale Grenzen auf der Suche nach neuen Märkten und Partnerschaften. Konsumenten profitieren von wachsender Qualität, größerer Auswahl und niedrigeren Preisen für die Güter und Dienstleistungen, die sie kaufen." Der ungehemmte Kapitalismus verwirklicht schlicht die beste aller Welten.
Die OECD Mitgliedsstaaten legen zwar das Abkommen unter sich fest, gönnerhaft verkünden sie aber, daß es natürlich auch für Nichtmitglieder offen sei - wohlwissend, daß sie dadurch Zwang gerade auf die Entwicklungsländer ausüben, sich den Bedingungen zu unterwerfen, um für notwendige Investitionen interessant zu bleiben. Gefördert werden durch ein solches Abkommen vornehmlich die großen, weltweit operierenden Unternehmen, von denen die Staaten immer abhängiger werden. Das Abkommen zementiert diese Abhängigkeit. Investitionsbezogene Zahlungen wie Profite und Dividenden sollen frei in das und aus dem Land, in dem investiert wurde, fließen können. Enteignungen müssen "sofort, angemessen und effektiv" durch Geld kompensiert werden. Führungspersonal darf sich in den Ländern aufhalten. Die Länder sollen zwar weiterhin interne Ausnahmeregeln zum Schutz der Umwelt, zur Sicherung der eigenen Nationalwirtschaft oder zur Wahrung des Arbeitsrechts beibehalten und ausführen können, wenn die Nicht-Diskriminierung der in- und ausländischen Investoren dabei gewahrt wird, aber der durch das Abkommen weiter geförderte freie Fluß der Investitionen wird die Staaten und Regionen noch stärker als Standorte miteinander konkurrieren lassen und so einen größeren Druck auf nationale "Behinderungen" ausüben. Die Nivellierung auf niedrigerem Niveau ist vorhersehbar, zumal ausländische Investoren vor allem Profitinteressen haben und nicht in ein Land oder eine Region eingebunden sind.
Der Skandal liegt nicht eigentlich in der weiteren Abdankung der Staaten gegenüber den Interessen des globalen Kapitals, dessen Macht sie Schritt für Schritt vergrößern und dann alles auf die angeblich schicksalhafte Globalisierung schieben können, er liegt auch nicht in einem Abkommen, das die Macht der transnational agierenden Unternehmen eindeutig privilegiert, sondern zunächst vor allem darin, daß ein solcher tiefer Eingriff in die nationale Souveränität nahezu unter Ausschluß demokratischer Verfahren in einer Art Geheimdiplomatie realisiert werden soll.
Ähnlich wie die EU ihre Einheit ökonomisch vorantreibt, dominiert die Ökonomie hier gegenüber jeder demokratisch legitimierten Politik. Seit 1995 verhandeln die "Repräsentanten", haben aber Einzelheiten lange Zeit nicht an die Öffentlichkeit mitgeteilt oder gar eine öffentliche Diskussion in ihren jeweiligen Ländern initiiert. Genau das werfen ihnen auch die NGOs vor, die den Aufruf zum Widerstand gegen das Abkommen unterzeichnet haben: "Es gibt einen offensichtlichen Bedarf für eine multilaterale Regulierung von Investitionen angesichts des Ausmaßes der sozialen und ökologischen Folgen, die von der wachsenden Mobilität des Kapitals verursacht werden. Doch die Absicht des MAI ist nicht, Investitionen zu regulieren, sondern Regierungen zu regulieren."
Die Staaten haben sich nämlich den Entscheidungen von Investoren zu fügen und ihre Politik vor allem daran auszurichten, ein entsprechendes "Investitionsklima" zu schaffen, das Kapital durch Gleichrangigkeit von einheimischen und internationalen Investoren, durch langfristige Stabilität von Regeln und Verfahren, durch Schutz des Eigentums und durch die Möglichkeit anzieht, gegen die Regierungen zu klagen, wenn sie die Gleichrangigkeit auf allen Ebenen eines Staates verletzen oder durch neue Regelungen zu Verlusten für Investoren führen. Auch für "Unruhen", die zu möglichen Einbußen führen, sollen die Staaten finanziell zur Verantwortung gezogen werden können. "Der Verlust einer Profitmöglichkeit aus Investitionen" stelle einen Schaden dar, der einen Anspruch auf Entschädigung begründe. Streiks und Arbeitskämpfe, möglicherweise auch Demonstrationen sind vermutlich ebenfalls nicht von den Investoren erwünscht. Es wird also vermutlich zu einer Flut von Prozessen kommen, die solche Verluste beklagen, und Wallach schreibt, daß es nicht verwunderlich wäre, "wenn sich die Regierungen künftig unter Berufung auf das MAI zu einer Beschneidung der gesellschaftlichen Freiheiten aufgerufen fühlten" - und die Mittel zur politischen Kontrolle desto besser legitimieren können.
Andere internationale Abkommen wie die Erklärung von Rio oder die Agenda 21 wurden in Mai ebensowenig integriert wie allgemeine Standards des Umweltschutzes, des Arbeitsrechts oder der Menschenrechte, die Investoren auch Regeln unterwerfen würden. Bürger und nicht-staatliche Organisationen können nicht vor das internationale Gericht ziehen, um gegen Investoren zu klagen. Die möglichen Ausnahmen, die jedem Mitgliedsstaat bei der Aufnahme zum Aushandeln gestattet werden, können schnell durch Gerichtsverfahren oder einfach durch die Konkurrenz der anderen Standorte untergraben werden. Eine Förderung von strukturschwachen Gebieten wird kaum mehr möglich sein und gerade in den Entwicklungsländern werden die Multis noch mehr Macht erwerben und sich Märkte, Produktivkräfte, Bodenschätze oder Ländereien aneignen. Hat eine Regierung einmal das Abkommen unterzeichnet, so sind den nachfolgenden Regierungen für viele Jahre die Hände gebunden. Die NGOs rufen aus all diesen Gründen mit allem Recht dazu auf, das Abkommen in dieser Form nicht zu unterzeichnen und es stärkeren demokratischen Mechanismen zu unterwerfen.