Der Mindestlohn und die Arbeitsplätze
Die meisten Länder der EU haben gesetzliche Mindestlöhne eingeführt, in Deutschland legen sich die Unionsparteien quer
Ende Januar konnte sich die Koalitionsrunde nicht auf einen gemeinsamen Nenner bei der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes einigen. Vor allem weigern sich die Unionsparteien ihn einzuführen und folgen damit den Interessen der Arbeitgeber. Somit bleibt Deutschland vorerst eines von nur sieben Ländern innerhalb der Europäischen Union ohne einen gesetzlichen Mindestlohn. Die Erfahrungen in den Staaten mit einem gesetzlichen Mindestlohn, sind jedoch vorwiegend positiv.
Wer in Luxemburg Arbeitnehmer ist, kann froh sein, es ausgerechnet in dem kleinen Land zwischen Deutschland, Frankreich und Belgien zu sein. Bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 9.08 Euro droht ihm keine Armut trotz Arbeit, auch wenn der Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor tätig ist.
Gegenüber seinen deutschen Kollegen, ist der luxemburgische Arbeitnehmer dadurch enorm im Vorteil, denn hierzulande gibt es keinen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn – zumindest keinen Branchenübergreifenden. Ein Makel, den vor allem Bedienstete im Dienstleistungssektor in ihrem Portemonnaie zu spüren bekommen. Ein Stundenlohn zwischen 3 und 4 Euro ist zum Beispiel im Friseurhandwerk alles andere als selten. Um sich und die Familie ernähren zu können, sind deshalb einige Arbeitnehmer sogar gezwungen, zusätzlich noch ALG II zu beziehen. Das Makabre daran ist, dass diese Praxis von den Kommunen teilweise subventioniert wird. So fahren vormittags Briefzusteller privater Postanbieter behördliche Briefe aus, nachmittags sieht man dann einige von ihnen im Jobcenter einen Hartz IV-Antrag beantragen.
An diesem Umstand wird sich so bald auch nichts ändern. Bei der letzten Koalitionsrunde Ende Januar, konnten sich die Unionsparteien und die SPD nicht auf eine Einführung eines Mindestlohnes einigen und verschoben das Thema auf die nächste Koalitionsrunde im März. Das Scheitern war vorauszusehen. Schon vor der Koalitionsrunde stellte der CDU-Generalsekretär Volker Kauder klar, dass seine Partei einen Mindestlohn ablehne.
Dabei vereinbarte die Regierungskoalition das Entsendegesetz, welches bisher nur im Baugewerbe einen Mindestlohn sowohl deutschen wie auch ausländischen Arbeitern garantiert, auch auf weitere Branchen auszudehnen, wenn durch ausländische Entsendearbeiter die Löhne unter die vereinbarten Tarifverträge sinken.
Dies würde auch den Vorstellungen von Arbeitsminister Müntefering entsprechen, dem gar nicht ein von dem Staat vorgeschriebener, branchenübergreifender Mindestlohn vorschwebt. Vielmehr strebt der Vizekanzler branchenbezogene Regelungen an, die von den Tarifparteien selbst ausgehandelt werden. Davon wären die Zeitarbeitsbranche, das Fleischereigewerbe, Schutz –und Wachdienst sowie Anbieter von privaten Postdienstleistungen betroffen.
Eine Regelung, die wiederum nicht den Vorstellungen der Gewerkschaften entspricht, auch deshalb, weil sie ihre eigene Schwäche kennen. So mahnte der NGG-Vorsitzende Franz-Josef Möllenberg im Deutschlandfunk, dass in einigen Branchen die Gewerkschaften zu schwach sind, um eine angemessene Bezahlung durchsetzen zu können.
Dabei sind es die Gewerkschaften, die neben der SPD, den Grünen und der Linken, zu den größten Fürsprechern eines gesetzlichen Mindestlohnes gehören. So hat sich der Deutsche Gewerkschaftsbund bei seinem 18. Bundeskongress im Mai 2006 für einen Mindestlohn ausgesprochen. Noch früher begann das Engagement der Einzelgewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätte und Ver.di. Sie starteten die Initiative Mindestlohn, der zunächst bei 7.50 Euro liegen und dann schrittweise auf 9 Euro erhöht werden soll.
Einführung der Mindestlöhne hat nicht zum Verlust von Arbeitsplätzen geführt
Doch solange sich die CDU weigert, obwohl es innerhalb der Union einige Fürsprecher für die Einführung eines Mindestlohnes gibt, wird Deutschland weiterhin eines der wenigen Länder innerhalb der Europäischen Union bleiben, in dem es keinen Mindestlohn gibt. In 20 von 27 Ländern gibt es nämlich diesen. Dazu gehören auch Staaten, die erst seit kurzem EU-Mitglieder sind. In Polen sind es zum Beispiel 1.34 Euro. Sogar die erst Anfang des Jahres beigetretenen Balkanstaaten Bulgarien und Rumänien haben einen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn, auch wenn es nur 53 bzw. 66 Cent sind. Irland und Luxemburg gehören zu den Staaten mit dem höchsten Mindestlohn. In Irland sind es 8.30 Euro, in Luxemburg sagenhafte 9.08 Euro.
Die Erfahrungen in diesen Staaten, die der Union aufgrund ihrer Wirtschaftspolitik ansonsten oft als Vorbilder dienen, sind durchaus positiv und widersprechen, wie eine Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Boeckler-Stiftung ergab, dabei den Argumenten, welche die CDU und auch die FDP gegen den Mindestlohn anwenden. So befürchten die beiden Parteien den Abbau von Arbeitsplätzen und folgen damit den Argumenten der Arbeitgeber.
1999 realisierte in Großbritannien Tony Blair sein Wahlversprechen und führte den National Minimum Wage ein, der mit den Jahren schrittweise auf heutige 8.10 Euro erhöht wurde. Die Arbeitgeber klagten damals natürlich, doch der von ihnen vorhergesagte Verlust von Arbeitsplätzen blieb aus. Vielmehr dynamisierte der NMW den britischen Arbeitsmarkt und die Zahl der Arbeitsplätze ist gestiegen. Heute genießen 1.5 Millionen britische Arbeitnehmer den sicheren Halt eines Mindestlohnes.
Einen etwas anderen Weg gingen die Niederlande. 1984 gab es in den Niederlanden die ersten lokalen Regelungen, die von den Kommunen unterstützt wurden. So verteilte die Stadt Amsterdam nur an Unternehmen mit einem Mindestlohn Aufträge. Heute gibt es in den Niederlanden einen flächenweiten Mindestlohn, der auch Teilzeitarbeiter betrifft. Einen Arbeitsmarktbereich, der in den Niederlanden half, die enorm hohe Arbeitslosigkeit, unter der die Niederlande in den 80er Jahren litten, zu senken. Es war eine Arbeitsmarktpolitik, die auch vielen deutschen neokonservativen Arbeitsmarktpolitikern aus Wirtschaft und Politik als Vorbild galt. Doch im Gegensatz zu den Niederlanden werden in Deutschland niedrige Löhne an die Zeitarbeiter ausbezahlt.
Vielleicht zeigen aber die Beispiele aus Großbritannien und den Niederlanden, den zwei Vorbildländern für Arbeitsmarktpolitiker, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes den Arbeitsmarkt nicht hemmt, sondern dynamisiert. Denn mit einem höheren Einkommen steigt unter anderem die Kaufkraft und sichert somit weitere Arbeitsplätze. Vor allem sichert aber diese das Existenzminimum, was in Deutschland, bei 10.6 Millionen Menschen, die laut dem Statistischen Bundesamt unter der Armutsgrenze leben, nowendig wäre.