Der Mörder ist immer Milosevic

Ex-Präsident von Jugoslawien soll in die Attentate auf Ivan Stambolic und Vuk Draskovic verwickelt gewesen sein. Der Angeklagte hat bereits ausführlich Stellung genommen, ohne dass die deutschen Medien berichtet hätten

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Der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic wird nun auch in Serbien selbst angeklagt, und zwar wegen Anstiftung zum Mord in zwei Fällen. Die Anklage soll am gestrigen Mittwoch dem Sondergericht in Belgrad eingereicht worden sein, gab die Sonderstaatsanwaltschaft bekannt. Milosevic wird der Anstiftung zur Ermordung des früheren serbischen Präsidenten Ivan Stambolic und zum fehlgeschlagenen Attentat auf den ehemaligen Oppositionsführer Vuk Draskovic beschuldigt.

Gegen den Vorwurf, für Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo verantwortlich zu sein, muss sich Milosevic derzeit vor dem UN-Tribunal in Den Haag verteidigen, wo er seit Juni 2001 inhaftiert ist. Vorwürfe, Milosevic habe Stambolic ermorden lassen, waren sofort nach dessen zunächst unaufgeklärtem Verschwinden im August 2000 laut geworden. Der damalige Präsident in Belgrad, so sagen seine Kritiker, sei mit Stambolic seit den achtziger Jahren verfeindet gewesen, als beide um den Vorsitz der Kommunisten in Serbien rivalisierten und Milosevic schließlich seinen politischen Ziehvater Stambolic nach einem harten Machtkampf verdrängen konnte.

Nach dem Fund der Leiche des früheren Spitzenpolitikers im März dieses Jahres hatte die neue Regierung in Belgrad ein strafrechtliches Vorgehen gegen Milosevic angekündigt. Als neues Indiz wurde nun angeführt, Milosevic habe die Entführungs- und Mordaktion angeordnet, um einen gefährlichen Rivalen für die Präsidentschaftswahlen im September 2000 zu beseitigen. Dieses Argument war allerdings von Anfang an nicht plausibel, da zum Zeitpunkt des Verschwindens Stambolics bereits der spätere Wahlsieger Vojislav Kostunica seine Kandidatur angemeldet hatte. Hätte Milosevic sein Wahlchancen verbessern wollen, hätte er diesen beseitigen lassen müssen.

Vermutlich deswegen wird in der nun veröffentlichten Anklageschrift Milosevic auch nicht mehr beschuldigt, die Bluttaten "befohlen" oder "angeordnet" zu haben. Stattdessen heiß es nur noch vage, Milosevic habe die unmittelbaren Täter "beeinflusst", die Taten zu begehen. Die Mordaktionen selbst werden hingegen dem früheren Befehlshaber der Sondereinheit der Roten Barette, Milorad Lukovic, genannt Legija, und fünf seiner damaligen Untergebenen zur Last gelegt. Als Mittäter, so die Sonderstaatsanwaltschaft, würden auch der damalige Generalstabschef Nebojsa Pavkovic und der damalige Geheimdienstchef Radomir Markovic angeklagt.

Zu den Vorwürfen hat der Haager Häftling bereits in einem ausführlichem Schreiben Stellung genommen, das am 24. August in der auflagenstarken serbischen Tageszeitung "Vecernji novosti" vollständig veröffentlicht worden ist, aber in den deutschen Medien nicht zitiert wurde. Darin heißt es über den Mord an Stambolic:

Ich war viele Jahre ein Freund von van Stambolic. Unsere Wege trennten sich auf dem 8. ZK-Plenum der serbischen Kommunisten im Jahre 1987. Persönlich hatten wir keinen Streit. Nach seiner Abwahl kam er zu mir und bat um einen (unserer gemeinsamen Meinung nach) der besten Jobs im sozialistischen Jugoslawien: Präsident der Jugoslawischen Bank für Internationale Wirtschaftsbeziehungen. Und er bekam ihn und blieb zehn Jahre lang auf diesem Posten bis zu seiner Pensionierung, obwohl die Rotation in Führungspositionen damals übliche Praxis war ... Als Politiker war er schon seit Jahren vergessen. Deswegen ist die Geschichte, er habe eine potentielle Bedrohung bei der Wahl (im September 2000, Anm. JE) dargestellt, eine eklatante Lüge, er war nie im Rennen. Er war noch nicht einmal Kandidat. Ist übrigens in jenen zehn Jahren irgendeinem Kandidaten irgend etwas passiert? .... Ivan Stambolic war ein vergessener Politiker, und zum Zeitpunkt seines Verschwindens war er auch ein vergessener Bankier. Jahrelang hatte ihn niemand im politischen Apparat erwähnt. ... Das soll keine Beleidigung sein, aber niemand scherte sich mehr um Ivan Stambolic. Es gab auch keine Verfolgung jener, die seinen Standpunkt auf dem 8. Plenum unterstützt hatten.

(Milosevic nennt dann einige Beispiele, welche Positionen frühere Stambolic-Freunde - und damit Milosevic-Gegner - in den neunziger Jahren bekleideten). Der zweite Punkt der gestern veröffentlichten Anklageschrift bezieht sich auf ein Verbrechen im Juni 2000. Auf Oppositonsführer Vuk Draskovic waren im montenegrinischen Budva mehrere Schüsse abgefeuert worden, er war leicht verletzt worden. Ein von Milosevic angeordneter Mordversuch? Der Beschuldigte schrieb dazu:

Ich habe niemals daran geglaubt, dass das, was in Budva passiert ist, ein echter Mordversuch war, denn es erscheint unwahrscheinlich, dass jemand sein ganzes Magazin in einem kleinen Raum verfeuern kann und mit keiner Kugel trifft. Nicht einmal Vuk Draskovic mit seinem Schauspieltalent hätte sich in eine Fliege oder ein Moskito verwandeln können. Ich glaubte, dass ihn entweder jemand einschüchtern wollte, oder dass er selbst den ganzen Vorfall inszeniert hat, um Aufmerksamkeit zu bekommen und in der Rolle des ‚Regimeopfers' zu posieren.

Haupttäter sowohl bei den Verbrechen an Stambolic wie auch an Draskovic soll, wie bereits erwähnt, ein gewisser Legija sein, früher Kommandeur der Sondereinheit Rote Barette. Legija steht auch ganz oben auf der Fahndungsliste bei der Suche nach den Attentätern, die am 12. März den damaligen Premier Zoran Djindjic ermordet haben. Um die Verbindung zwischen Legija und Milosevic zu beweisen, wird gerne ein Video aus dem Jahr 1997 gezeigt, das den Präsidenten vor einer Formation der Roten Barette in Kula zeigt, wie er mit deren Kommandeur Legija einen Händedruck austauscht.

Milosevic dazu:

Mein Besuch in Kula geschah anlässlich einer Feierlichkeit, eine Geste der Anerkennung für den Sicherheitschef Jovica Stanisic ... Dass alles dort für mich neu war, sollte für jeden offensichtlich sein, der sich das ganze Videoband aufmerksam anschaut. Der Offizier, der mir bei der Parade rapportierte, war mir nicht bekannt. Nun weiß ich, dass sein Name Lukovic ‚Legija' ist ... Das erste Mal, als ich mit Lukovic-Legija sprach, war, als er am 31. März 2001 kam, um mich zu verhaften. Vorher hatte ich niemals Kontakt mit ihm, und er lief mir auch nicht über den Weg, das einzige, was ich ihm je hätte ‚befehlen' können, wäre also meine eigene Verhaftung gewesen.

Zwei Dinge sind allerdings unbestritten: Zum einen dass Legija unter Milosevic Chef der Sonderpolizei Rote Barette war, und zum zweiten, dass er zumindest in einem Mordfall während dieser Zeit von Zeugen am Tatort gesehen wurde. Dieses Verbrechen allerdings wird, seltsam genug, in der jetzigen Anklage Milosevic nicht zur Last gelegt, obwohl auch in diesem Fall Vuk Draskovic Ziel des Anschlages war. Am 3. Oktober 1999 rammte ein Mercedes-LKW auf der Ibar-Magistrale südlich von Belgrad den Wagen von Draskovic. Vier seiner Begleiter starben, er selbst hatte nur leichte Blessuren. Da die Ermittlungen nicht vorankamen, stellte Draskovic Partei SPO eigene Recherchen an.

Als diese nach kurzer Zeit ergaben, dass der LKW der Staatssicherheit gehörte, wurde der Stasi-Mann, der dies bezeugt hatte, ebenfalls bei einem Autounfall getötet. (Bericht von Human Rights Watch) Im weiteren meldeten sich zwei Verkehrspolizisten, die in der Nähe des LKW-Anschlages einen Mann mit einem auffälligen Tattoo gesehen hatten - eine Rose an der rechten Halsseite. Dieselbe Tätowierung an derselben Stelle trägt Legija. (SPO-Pressemitteilung)

Draskovic hatte sofort den Verdacht, dass Legija im Auftrag von Milosevic gehandelt hatte, und nach dessen Sturz am 5. Oktober 2000 war der Weg zum strafrechtlichen Vorgehen gegen die Killer frei. Doch klagte die Justiz in der Folge zwar zwei Angehörige von Legijas Einheit wegen der Morde auf der Ibar Magistrale an, aber seltsamerweise nicht ihren Kommandeur. Noch seltsamer: Im Mai 2001 sagte Djindjic rückblickend, er wisse seit Oktober 2000, wer den Killer-LKW gesteuert habe. (Interview auf B-92 am 3.5.2001, z.n. SPO-Presseerklärung) Trotzdem wurde der damalige Premier nicht als Zeuge geladen, um Auskunft darüber zu geben, von wem er so intime Kenntnisse über den Attentäter erhalten hatte.

Man muss vermuten: Djindjic hat sein Wissen von Legija selbst. Fakt ist jedenfalls, dass Legijas Rote Barette, eigentlich die Prätorianergarde von Milosevic, am 5. Oktober 2000 dessen Befehle zur Verteidigung der Hauptstadt nicht befolgten. Ihre Obstruktion machte es möglich, dass eine nur wenig bewaffnete Menschenmenge das Parlament und den Staatssender RTS besetzten und brandschatzten. Djindjic hat zugegeben, dass er sich mit Legija persönlich am Morgen des 5. Oktober getroffen und das Stillhalten vereinbart hatte. Verlangte Legija im Gegenzug vom neuen starken Mann Immunität, gar eine Garantie seiner Position? Jedenfalls blieb Legija auf seinem Posten - und rechtfertigte Djindjics Vertrauen auch in der Folgezeit: Beim Sturm auf die Villa Milosevics und dessen Verhaftung in der Nacht auf den 1. April 2001 war er, wie der Ex-Präsident oben erwähnte, der Kommandeur der Sicherheitskräfte.

Dass Djindjic sich zeitweise mit Legija eingelassen hat, ist nach der Ermordung des Premiers im März dieses Jahres breit diskutiert worden. Er habe eben einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um das alte Regime zu stürzen, und diesem Teufel sei er am Ende selbst zum Opfer gefallen, war die gängige Lesart. Demnach hatten Djindjic und die anderen starken Leute der neuen DOS-Regierung die Killer zwar nach der "Oktoberrevolution" fahrlässig zu lange im Amt gehalten, mit deren Mordaktionen vor diesem Zeitpunkt hätten sie aber nichts zu tun.

Vjislav Seselj, der mittlerweile auch in Den Haag einsitzende Chef der Radikalen Partei, teilt diese Einschätzung nicht. Nach seiner Interpretation sind Legija und andere Top-Leute aus Milosevics Sondereinheiten nicht erst unmittelbar vor dem 5. Oktober gekauft worden, sondern bereits viel früher. Für diese Theorie spricht, dass die Anklageschrift des Haager Tribunals vom 28. Mai 1999 neben Milosevic alle möglichen und unmöglichen serbischen Politiker und Militärs auflistet - aber ausgerechnet die Anführer der Roten Barette, die auch im Kosovo die Schmutzarbeit gemacht haben, nicht. In Seseljs Lesart hat Legija bestimmte Verbrechen schon während der Amtszeit Milosevics nicht in dessen Auftrag begangen, sondern auf Anregung seiner Gegner - um den Staatschef zu diskreditieren. Seselj erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass das Attentat auf Draskovic im Oktober 1999 nicht Milosevic nutzte, sondern der Opposition: Diese hatte sich nämlich bereits Ende August heillos zerstritten, besonders Draskovic und Djindjic lagen in Fehde. Das Attentat verschaffte ihr einen Mitleidsbonus und stachelte die Empörung über Milosevic wieder an.

Die politisch brisanteste Frage im kommenden Prozess um den Mord an Stambolic und das Attantat auf Draskovic wird also sein, ob eine Verbindung zwischen Milosevic und Legija nachweisbar ist oder ob Legija bereits lange vor dem Sturz des damaligen Präsidenten seine Morde auf Rechnung Dritter, möglicherweise im Auftrag von Mitgliedern der heute regierenden Demokraten, begangen hat. Dies würde auch die Frage klären helfen, ob Djindjic einem Komplott der Mafia mit Kräften des alten oder aber des neuen Regimes zum Opfer gefallen ist (vgl. Der "internationale Finger" am Abzug des Djindjic-Mörders.