Der "internationale Finger" am Abzug des Djindjic-Mörders
Der serbische Premier soll ermordet worden sein, weil er der Mafia zu gefährlich wurde. Doch einige Fakten passen nicht in dieses Bild
Nachdem ein Heckenschütze den serbischen Premier Zoran Djindjic am 12. März erschossen hatte (vgl. Dallas Reloaded - in Belgrad), berichteten die westlichen Medien nach der Devise "De mortuis nihil nisi bene". In den ARD-Tagesthemen wurde er etwa am selben Abend noch als derjenige gelobt, der "gegen alle Widerstände dem organisierten Verbrechen den Kampf ansagte".
Dem widerspricht, was der Rechtspopulist Vojislav Seselj seit langem behauptet und was ihm - unter anderem - bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember letztes Jahres über ein Drittel der Stimmen gebracht hat: Dass Djindjic schon in der Milosevic-Zeit mit der Mafia angebandelt hat. Unter anderem geht es in dieser Hypothese um das Attentat auf den Royalisten Vuk Draskovic. Am 3. Oktober 1999 rammte ein Mercedes-LKW auf der Ibar-Magistrale südlich von Belgrad den Wagen von Draskovic, Chef der zur damaligen Zeit wichtigsten Oppositionspartei SPO. Vier Begleiter Draskovics starben, er hatte nur leichte Blessuren. Da die Ermittlungen nicht vorankamen, stellte die SPO eigene Recherchen an.
Als diese nach kurzer Zeit ergaben, dass der LKW der Staatssicherheit gehörte, wurde der Stasi-Mann, der dies bezeugt hatte, ebenfalls bei einem Autounfall getötet. (Human Rights Watch: The Failure to investigate suspicious deaths, threats, and attacks on government critics) Im weiteren meldeten sich zwei Verkehrspolizisten, die in der Nähe des Tatortes einen Mann mit einem auffälligen Tattoo gesehen hatten - eine Rose an der rechten Halsseite. Dieselbe Tätowierung an derselben Stelle trägt der Stasi-Offizier Milorad Lukovic, genannt Legija. (SPO-Pressemitteilung vom 27.5.2002) Er war zur damaligen Zeit Leiter der sogenannten Roten Barette, einer schwerbewaffneten Polizeiabteilung für Sonderoperationen, etwa vergleichbar mit der bundesdeutschen GSG 9.
Draskovic vermutete lange, dass Milosevic den "Mann mit der Rose" schützt und die Aufklärung des Verbrechens verhindert. Aber seltsamerweise hat Legija auch hat den Regimewechsel unbeschadet überstanden. Nach dem Sturz Milosevics am 5. Oktober 2000 hat die Justiz zwar zwei Angehörige von Legijas Einheit wegen der Morde auf der Ibar Magistrale angeklagt, aber nicht ihren Kommandeur. Noch seltsamer: Im Mai 2001 sagte Djindjic rückblickend, er wisse seit Oktober 2000, wer den Killer-LKW gesteuert habe. (Interview auf B-92 am 3.5.2001, z.n. SPO-Presseerklärung vom 1.7.2002) Trotzdem wurde der Premier nicht als Zeuge geladen, um Auskunft darüber zu geben, von wem er so intime Kenntnisse über den Attentäter erhalten hatte.
Man muss vermuten: Djindjic hatte sein Wissen von Legija selbst. Fakt ist jedenfalls, dass Legijas Rote Barette, angeblich die Prätorianergarde von Milosevic, am 5. Oktober 2000 dessen Befehle zur Verteidigung der Hauptstadt nicht befolgten. Ihre Obstruktion machte es möglich, dass eine nur wenig bewaffnete Menschenmenge das Parlament und den Staatssender RTS besetzten und brandschatzten. Djindjic hat zugegeben, dass er sich mit Legija persönlich am Morgen des 5. Oktober getroffen und das Stillhalten vereinbart hatte. (Dragan Bujosevic/Ivan Radovanovic, October 5 - A 24 Hour-Coup, Media Center Belgrade, 2001, S. 51 ff.) Verlangte Legija im Gegenzug vom neuen starken Mann Immunität, gar eine Garantie seiner Position? Jedenfalls blieb Legija auf seinem Posten - und rechtfertigte Djindjics Vertrauen auch in der Folgezeit: Beim Sturm vermummter Zivilpolizisten auf die Villa Milosevics und dessen Verhaftung in der Nacht auf den 1. April 2001 soll er eine wichtige Rolle gespielt haben. Attentatsopfer Draskovic urteilte resigniert:
Unsere Öffentlichkeit muss wissen, dass die Kriminellen und Staatsterroristen in Serbien nach dem 5. Oktober keine neuen Bosse bekamen, sondern dass sie selbst die Bosse wurden.
SPO-Pressemitteilung, 17.12.2001
Seselj geht noch weiter: Demnach sind Legija und andere Top-Leute aus Milosevics Sondereinheiten nicht erst unmittelbar vor dem 5. Oktober gekauft worden, sondern bereits viel früher. Für diese Theorie spricht, daß die Anklageschrift des Haager Tribunals vom 28. Mai 1999 neben Milosevic alle möglichen und unmöglichen serbischen Politiker und Militärs auflistet - aber ausgerechnet die Anführer der berüchtigten Roten Barette, die auch im Kosovo die Schmutzarbeit gemacht haben, nicht. Demnach könnte Legija bestimmte Verbrechen schon während der Amtszeit Milosevics nicht in dessen Auftrag begangen, sondern auf Anregung seiner Gegner - um den Staatschef zu diskreditieren. Seselj erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß das Attentat auf Draskovic nicht Milosevic nutzte, sondern der Opposition: Diese hatte sich nämlich bereits Ende August 1999 heillos zerstritten, besonders Draskovic und Djindjic lagen in Fehde. Das Attentat verschaffte ihr einen Mitleidsbonus und stachelte die Empörung über Milosevic wieder an.
Einer der bekanntesten serbischen Mafiosi hat zu Jahresanfang diesen Verdacht erhärtet. "Cume" Buha, Chef des im Drogenschmuggel aktiven Surcin-Clans, meldete sich per offenem Brief bei der Justiz und bot sich als Zeuge gegen Legija an. Seither müssen die Dinge außer Kontrolle geraten sein. Djindjic kündigte ein hartes Vorgehen gegen die Mafia an, Legija schimpfte zurück - aber nicht wegen der durchgeführten bzw. angekündigten Razzien, sondern weil der Premier zu willfährig mit dem Haager Tribunal zusammenarbeitete. Plante Djindjic, Leute aus den Sondereinheiten oder vielleicht sogar Legija selbst an Chefermittlerin Carla del Ponte auszuliefern? Ein Bauernopfer, um selbst aus der Schußlinie zu kommen? Dann wäre ihm genau das zum Verhängnis geworden. Jedenfalls gilt Legija als einer der Hauptverdächtigen beim Djindjic-Mord, er steht an der Spitze der Belgrader Fahndungsliste.
Wie beim Attentat auf John F. Kennedy könnten sich aber auch in diesem Fall die Interessen der Mafia mit denen des US-Geheimdienstes CIA überkreuzt haben. Mihailo Markovic, bis 1995 Milosevics Stellvertreter in der Sozialistischen Partei und dann von diesem kaltgestellt, spricht von einem "internationalen Finger" am Abzug des Todesschützen. "Djindjic hatte kurz vor seiner Ermordung etwas Selbstmörderisches gemacht", meint Markovic mit Verweis auf die Forderung des Premiers nach einer Rückkehr serbischer Sicherheitskräfte in das Kosovo Das entsprach zwar den Festlegungen der UN-Resolution 1244, der völkerrechtlichen Grundlage zur Stationierung der Kfor-Truppen nach dem Krieg, war aber völlig konträr zu den Absichten der Siegermächte, die Provinz schrittweise der albanischen Mehrheit zu übergeben.
Hinzu kommt der Streit zwischen den USA und Deutschland zum Zeitpunkt der Ermordung: Djindjic war der einzige Staatschef auf dem Balkan, der die Solidaritätserklärung mit Bushs Irak-Politik nicht unterzeichnet hatte. Markovic:
Ich denke, für die USA war Djindjic der Mann Deutschlands. Und nun hatten sie diese Verschlechterung in den Beziehungen zwischen den USA und Deutschland. Die USA mussten wieder darüber nachdenken, wer der Mann ist, der Serbien regiert, und dass sie jene, die in Opposition zur Demokratischen Partei stehen, unterstützen könnten. Obwohl ich nicht sagen kann, ob die Demokratische Partei geschlossen hinter Djindjics prodeutscher Linie steht. Quelle
Auffällig ist jedenfalls, dass die neuen Machthaber in Belgrad sich demonstrativ um eine Verbesserung des Verhältnisses zu den USA bemühten. So erhielt bereits wenige Tage nach der Ermordung Djindjics der Konzern U.S. Steel den Zuschlag für die größte Stahlschmelze des Landes in Smederevo. Das Filetstück wechselte für schlappe 23 Millionen US-Dollar den Besitzer, obwohl der Staat zu seiner Erbauung umgerechnet 22 Milliarden US-Dollar investiert hatte. Und: Eigentlich hatte ein deutsches Konsortium unter Djindjic schon ein Vorkaufsrecht erhalten, es sollen sogar schon Millionenbeträge geflossen sein.
US-Außenminister Colin Powell hatte Anfang April, auf dem Höhepunkt des Kampfes um Bagdad, sogar Zeit für eine Stippvisite in Serbien und versicherte der neuen Regierung die Unterstützung der Vereinigten Staaten. Von Berlin aber fand seit dem Djindjic-Mord noch kein Regierungsmitglied den Weg nach Belgrad. Unter Djindjic, dem "nemacki covek" ("Mann der Deutschen"), wäre das nicht passiert.