Der "Racheplan" des saudischen Kronprinzen gegen Erdogan
Nach Informationen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten plant Mohammed bin Salman, der Türkei mit allen Mitteln zuzusetzen, um Erdogan das Leben schwer zu machen
Dass der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman surreale Giga-Projekte verfolgt, muss nicht eigens bewiesen werden. Seine Pläne zum Hunderte Milliarden US-Dollar teueren Neuaufbau von Zukunftsstädten wie Qiddiya oder Neom (mit fliegenden Autos, Roboter-Dinosaurier, Polizeiüberwachung aus der Luft und gentechnisch gestärkten Menschen) sind ein beredtes Zeugnis für eine Fantasie, die sich, um es so zu sagen, viel kindliche Freude bewahrt hat und sich bei allem aber sehr erwachsen ernst nimmt. Viel Geld hat er ja.
Doch braucht er Investoren und die zögern noch, das ist im Kopf zu behalten, wenn es um die jüngste Enthüllung des Middle East Journals geht. Pläne sind eine Sache, die Umsetzung eine andere. Mitzubedenken ist aber auch, dass der Kronprinz im Umgang mit Kritikern und Oppositionellen eine außergewöhnliche Härte an den Tag legt, die überhaupt nichts kindlich Harmloses an sich hat.
Erwähnt wird dies, um anzudeuten, dass es Argumente gibt, die den "strategischen Plan", von dem das Middle East Journal (MEJ) berichtet, durchaus als ernsthaftes Projekt erscheinen lassen, dass aber die Durchführung "auf einem anderen Blatt" steht.
Der Plan
Laut einem Dokument, das MEJ zugespielt wurde, verfolgt der Kronprinz das Ziel, "sämtliche zur Verfügung stehenden Mittel aufzuwenden, um auf die Regierung Erdogan Druck auszuüben, ihn zu schwächen und ihn mit inländischen Schwierigkeiten zu beschäftigen, in der Hoffnung, dass er von der Opposition von seinem Posten enthoben wird, ihn mit einer Krise nach der anderen zu konfrontieren und ihn so vor sich herzutreiben, dass er ausrutscht und Fehler macht, die die Medien ganz sicher aufnehmen".
Der "Strategie-Plan" taucht in einem Intelligence-Report des Think Tanks Emirate Policy Center (EPC) auf. Eine Kopie liege der Publikation vor, die daraus Schlüsselstellen wie die obige zitiert. Auf der Website des EPC sei das geheime Papier nicht zu finden, es kursiere nur in einem begrenzten Personenkreis. Der Think Tank habe sehr enge Verbindungen zur Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate und zu Geheimdiensten, so das Middle East Journal.
Der Anlass für die Unterminierungsstrategie gegen Erdogan liegt auf der Hand und ist plausibel. Erdogans Regierung hat nach dem Tod des saudi-arabischen Kritikers des Kronprinzen, Jamal Khashoggi, im Istanbuler Konsulat des Königreiches, die Medien mit Informationen versorgt, die erstens immer deutlicher den Vorwurf eines geplanten Mordes erhärteten und zweitens dem Kronprinz dabei eine verantwortliche Rolle zuwiesen. Saudi-Arabien nannte das einen "Schmierenkampagne" gegen das Land.
Das Königreich geriet dadurch in Schwierigkeiten. Man musste den Tod, begangen durch eine saudisches Entsendeteam einräumen, wenn man auch bestritt, dass dieser geplant war. Seither kämpft man mit allen zur Verfügung stehenden PR-Mitteln (auch über Agenturen, die in Redaktionen anrufen) das Image-Desaster wieder auszubessern.
Machtverhältnisse in Saudi-Arabien
Der Kronprinz wurde politisch erst mal auf die Seite gestellt. Sein Vater König Salman übernahm, obwohl von Krankheit gezeichnet, wieder die Führungsrolle bei öffentlichen Auftritten und gab auch da und dort, etwa zum großen Palästina-Deal, Äußerungen ab, die sich von denen seines Sohnes und Kronprinzen unterschieden. Nach Außen dokumentierte er so einen verlässlichen eigenen Kurs.
Ob das auch tatsächlich mit den inneren Machtverhältnissen übereinstimmt, ist für Außenstehende ein Geheimnis. Man kann allerdings davon ausgehen, dass es im Hause Saud Fraktionen gibt, die nicht auf einer Linie stehen und die beruhigt werden wollen.
Vermutlich dürfte das auch bei der Anti-Türkei-Strategie des Kronprinzen und seiner Entourage eine Rolle spielen. Denn, was Middle East Journal als aktuelles Beispiel dafür vorlegt, dass die Strategie, die im Mai zu Papier gebracht wurde, nun umgesetzt werde, ist nicht ganz eindeutig.
Verwiesen wird nämlich auf die Blockade von über 80 türkischen Lastern im saudischen Hafen Duba Ende Juli. Die Publikation wertet dies als Anschauungsbeispiel dafür, dass Saudi-Arabien damit begonnen habe, das Ziel umzusetzen, die Importe aus der Türkei zu erschweren und herunterzufahren.
Die Unteren und die Oberen
Allerdings meldete die türkische Hurriyet zwei Tage später, dass die Lastwagen mit türkischen Gütern nun doch ins Land fahren durften - nachdem sie aber immerhin 12 Tage bei großer Hitze festgehalten worden waren, was für die Fahrer eine erhebliche Schikane bedeutete. Geht es nach der Meldung des Middle East Journals dürften die geladenen landwirtschaftlichen Produkte die Wartezeit auch nicht wirklich gut überstanden haben. Dort ist auch die Rede davon, dass vor allem die Beamten vor Ort, die unteren Angestellten, den türkischen Einfuhren Schwierigkeiten bereiten.
Laut der türkischen Zeitung haben sich aber der türkische Handelsminister und sein saudischer Amtskollege verständigt. Auch Middle East Eye verweist auf die Möglichkeit Erdogans, auf höherer Ebene zu agieren, nämlich ganz oben beim König Salman.
Zitiert wird dazu ein anonymer türkischer Vertreter, der davon berichtet, dass Erdogan mit dem saudischen König ein herzliches Telefongespräch über "regionale Entwicklungen, Syrien und die Palästina-Frage" geführt habe. Darin habe der türkische Präsident den saudischen König und seine Familie, samt Schwiegersohn, zu einem Türkeibesuch eingeladen.
Es wird sich also erst noch erweisen müssen, ob der "Vergeltungs-Plan" von Mohammed bin Salman nicht nur ein von Impulsen gesteuertes Projekt ist, sondern eine Absicht, die tatsächlich auch langfristig verfolgt wird. Die Zahlen der saudischen Touristen sinken zwar leicht - was laut Plan ebenfalls zum Instrumentenkasten des Kampfes gegen Erdogan gehören soll -, aber die Attraktivität der Türkei ist für Saudi-Araber nicht wirklich gesunken, wird anderseits behauptet.
Und der Angriff auf das Renommée Erdogans in der islamischen Welt, der auch zum Plan gehört, hat die Hürde zu nehmen, wonach Erdogan bei Umfragen weitaus beliebter ist als der saudische Kronprinz. Immerhin hat es dieser aber geschafft, dass der türkische Präsident - anders als der Emir von Katar - nicht auf das Gipfeltreffen der Organisation of Islamic Cooperation in Mekka eingeladen wurde.
Nordsyrien: Die Zuspitzung des Streits zwischen den USA und der Türkei
Wie die Position des Königs Salman dazu aussah, ist nicht bekannt. Wichtiger wird sein, wie die Position Saudi-Arabiens in der Regionalpolitik, in der Syrienfrage, aussehen wird, wenn die Türkei umsetzt, was Erdogan aktuell erneut als Absicht bekannt gab: Dass die Türkei eine Militäroperation in Nordsyrien durchführen wird und die USA wie Russland bereits darüber informiert wurden.
Der Streit zwischen der Türkei und den USA darüber, wie die von Ankara gewünschte Sicherheitszone gestaltet werden soll, hat sich in den letzten Tagen laut Medienberichten derart zugespitzt, dass die Türkei auch einen Alleingang riskieren würde, der die USA in Schwierigkeiten bringen kann, weil eine türkische Militäroperation ein großes Eskalationsrisiko birgt, die YPG werden sich wehren.
Sollten kriegerische Handlungen aufflammen, in denen die USA verwickelt werden, so kommt auch der Position der Regionalmacht Saudi-Arabien eine wichtige Rolle zu.
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