Der Raum ist selbst ein Akteur des großen Schauspiels!

Bild: ESO

Der Physiker und Ex-Astronaut Ulrich Walter im Gespräch - Teil I

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"Am ersten Tag deutete jeder von uns auf sein Land. Am dritten oder vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab dem fünften Tag gab es für uns nur noch eine Erde."

Dieser von dem Shuttle-Astronauten Sultan Bin Salman al-Saud im Jahre 1985 zum Besten gegebener Aphorismus spiegelt wohl wie keine andere Raumfahrerweisheit den Perspektivenwechsel wider, den bislang 541 Raumfahrer im All erlebt haben. Zu ihnen zählt auch der Ex-Wissenschaftsastronaut Ulrich Walter, der an der TU München forscht und lehrt. Anlässlich seines neuen lesenswerten und zum Bestseller avancierten Buches "Im Schwarzen Loch ist der Teufel los", in dem laut Verlag "alles Wissenswerte über die Welt von unten und oben" steht, kam es zu einem längeren Interview mit dem vielseitig interessierten Physiker. In ihm äußerte er sich auch über Themen, die er in seiner Publikation bewusst ausgelassen hat. (Rezension zum Buch)


Sie gehen in Ihrem neuen Buch auf den Film "Der Marsianer" ein und kritisieren einige darin auftauchende Fehler, bewerten ihn insgesamt aber als guten Streifen. In den letzten Jahren hielten auffallend viele Science-Fiction-Blockbuster Einzug in die Kinos. In ihnen rückten Themen aus der Raumfahrt, Astrophysik und Astrobiologie verstärkt in den Vordergrund - siehe "Arrival", "Gravity", "Star Trek", "Independence Day II", "Interstellar" etc. Ist hier eine cineastische SF-Renaissance erkennbar?

Ulrich Walter: Das ist schwer zu sagen. Aber ich habe schon das Gefühl, dass sich Space-Themen innerhalb des Films zu einem eigenen Genre entwickeln - so wie seinerzeit Arzt- und Westernfilme!

Aber "Interstellar" hat Schwarze Löcher salonfähig gemacht und dieses Phänomen einer breiteren Öffentlichkeit nähergebracht. Vorher konnten sich viele Menschen auf diese abstrakten Gebilde keinen Reim machen. Doch dank Kip Thorne, der als Berater mitwirkte, überzeugte dieser SF-Film sogar das Fachpublikum …

Ulrich Walter: Ich habe den Film noch nicht gesehen, sondern nur den Teaser. Aber die ersten Eindrücke waren positiv. Die filmtechnische Umsetzung der Schwarzen Löcher wirkte sehr gelungen. Genau dies ist ja extrem schwer darzustellen. Da waren wohl in der Tat gute Berater am Werk.

Bild: NASA

Wir haben eben den erfolgreichen Kinofilm "Der Marsianer" angesprochen. Schlagen wir doch einmal direkt einen Bogen zu den schon vor Jahrzehnten vorgestellten bemannten Mars-Missionskonzepten, von denen jedoch noch keines reale Konturen gewann. In Ihrem Buch gehen sie hierauf ein und äußern sich ausführlicher zu dem Mars-One-Programm, das jedoch wie ein schlechter PR-Gag anmutet. Sie gehen mit Mars One hart ins Gericht, deren Verantwortliche ab 2027 die Besiedlung des Mars mit Freiwilligen realisieren wollen, für die es allerdings kein Rückflug-Ticket zur Erde gäbe. Sie beziffern allein die Wahrscheinlichkeit einer Bruchlandung dieser Mission auf 50 Prozent.

Ulrich Walter: Ich würde die Wahrscheinlichkeit einer Bruchlandung sogar bei 70 bis 80 Prozent veranschlagen. Die Überlebenswahrscheinlichkeit für die Crew dürfte in den ersten zwei Monaten sogar noch geringer sein. Sie liegt bestenfalls bei 20 bis 30 Prozent!

Und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Expedition überhaupt stattfindet?

Ulrich Walter: Im Augenblick tendiert diese gegen Null. Nach dem Ausstieg der niederländischen TV-Produktionsfirma Endemol haben die Verantwortlichen noch keine anderen Finanziers gefunden. Keiner sagte bislang zu. Die Mars-One-Mission hat daher zurzeit extreme finanzielle Probleme.

Ich habe gute Beziehungen zur Paragon. Das ist eine amerikanische Firma für Auftragstechnologien, die sich primär auf Lebenserhaltungssysteme für den Weltraum spezialisiert hat. Diese wurden auch von Mars One beauftragt, ein marstaugliches Habitat zu entwickeln. Aber dieser Auftrag wurde nach einem halben Jahr gecancelt. Die Macher von Mars One betreiben zurzeit auch keine weitere Technologieentwicklung mehr. Normalerweise müssten für solche Großprojekte im Vorfeld Milliarden Dollar investiert werden. Eine kleine Firma allerdings kann solche Summen nicht stemmen. Mit Werbung allein lassen sich in der Vorbereitungsphase solche hohen Entwicklungsgelder nicht auftreiben. In die schwarzen Zahlen würde man erst viel später kommen, wenn während des Flugs oder auf dem Mars die Mission im Rahmen einer Big-Brother- oder Live-Reality-Show präsentiert würde.

Ulrich Walter. Bild: TU München/U. Walter

Zur Person: Ulrich Walter (geb. 1954/Iserlohn) studierte Physik und promovierte an der Universität Köln mit Gastaufenthalten am Forschungszentrum Jülich und am Hochflussreaktor ILL Grenoble. Anschließend arbeitete er ein Jahr als Postdoc am Argonne National Laboratory, Chicago/USA, und ein weiteres Jahr als DFG-Stipendiat an der University of California, Berkeley. Nach der Berufung ins Deutsche Astronautenteam im Jahre 1987 fungierte er im Jahre 1993 an Bord der "Columbia" im Rahmen der D-2-Shuttle-Mission als Wissenschaftsastronaut und absolvierte dort 89 wissenschaftliche Experimente. Von 1994 bis 1998 leitete er die Entwicklung des Satellitenbild-Datenarchives des DLR. Im April 1998 wurde er Programm-Manager am IBM Entwicklungslabor in Böblingen. Seit März 2003 leitet er den Lehrstuhl für Raumfahrttechnik an der TU München. Dort lehrt, forscht und entwickelt er Satellitensysteme insbesondere für robotische Anwendungen sowie Systemtechnik, bemannte Raumfahrtsysteme (Lebenserhaltungssysteme) und High Velocity Impact Physics (Untersuchung von Mikrometeoriteneinschlägen). 2008 wurde er Professor des Jahres in der Kategorie Ingenieurwissenschaften und Informatik.

Mit Blick auf die zu erwartende Reality-Show befürchten Sie aber, dass der Voyeurismus während einer solchen Expedition noch schlimmere Züge annehmen könnte, als wir dies bereits gewohnt sind. Panem et circenses! Es steht zu befürchten, dass viele Zuschauer sich sodann an Katastrophen und persönlichen Tragödien ergötzen, die sich während des Marsflugs oder auf dem Mars zutragen.

Ulrich Walter: Ja, ich weiß nicht, wem ich jetzt bewusst auf die Füße treten soll. Was die Verantwortlichen von Mars One planen, würden andere vielleicht auch so machen, nämlich daraus Kapital zu schlagen - selbst wenn dies unethisch wäre. Aus meiner Sicht ebenso unethisch sind aber auch die Menschen, die diese Kost konsumieren. Fragwürdig wäre es vor allem dann, wenn die Zuschauer vorab wissen, dass Astronauten im Überlebenskampf liegen. Wenn das Scheitern der Mission Kalkül ist, halte ich es für unmoralisch, mit der Kamera die Katastrophe einzufangen.

Aber für die Mars-One-Astronauten ist die Reise ohnehin eine ohne Rückkehr …

Ulrich Walter: Nun, man könnte ja auch sagen, dass das Leben selbst eine Reise ohne Rückkehr ist. Der Unterschied besteht darin, dass bei so einer Mars-Mission der Tod gezielt in Kauf genommen wird. Ich habe mit einigen Kandidaten darüber gesprochen und musste dabei feststellen, dass sie von Mars One über die wahren Gefahren nicht aufgeklärt wurden. Als ich die Kandidaten darüber aufklärte, beschlich mich aber das Gefühl, dass es denen ohnehin egal ist, was mit ihnen passiert. Ihnen geht es offensichtlich nur darum, ins Guinness-Buch-der-Rekorde zu kommen.

Ich verstehe einfach nicht, warum auch Familienväter mit Kindern zu diesem Himmelfahrtskommando bereit sind, obwohl sie wissen, dass sie keine zwei Monate auf dem Mars überleben und vielleicht noch nicht einmal den Abstieg auf die Marsoberfläche erleben. Aber jeder kann mit seinen Leben bekanntlich machen was er will! Unmoralisch ist aber, mit diesem Todeskampf gezielt Geld zu verdienen.

Empfang von NASA-Astronauten im Weißen Haus am 19. Oktober 2015. Barack Obamas Verhältnis zur NASA war in der Tat nicht das beste. Bild: White House / Pete Souza

Sie haben den inzwischen zurückgetretenen NASA-Chef Charles Bolden mit deutlichen Worten kritisiert. Auch das wenig ambitionierte Weltraumprogramm des letzten Präsidenten der Vereinigten Staaten fand nicht Ihre Zustimmung. Was erwarten Sie nunmehr von Donald Trump? Er hat scheinbar für die Exploration des Sonnensystems mehr übrig als Barack Obama seinerzeit. Aber der Schein könnte trügen.

Ulrich Walter: Grundsätzlich zeigt die Vergangenheit, dass die Republikaner der Raumfahrt offener gegenüberstehen als die Demokraten. Das heißt in diesem Fall aber nicht sehr viel. Ich habe bei Donald Trump das Gefühl, dass Raumfahrt ihn nicht allzu sehr interessiert. Sie wird sich auch unter ihm vielleicht nicht großartig ändern. Die Anerkennung der Bedeutung der bemannten und unbemannten Raumfahrt fehlt auf allen Ebenen. Ganz glücklich bin ich mit der jetzigen Entwicklung nicht. Ich kann nur hoffen, dass es ein wenig besser wird.

Die Dynamik der Chinesen und deren unbedingter propagandistisch geprägter Wille, in der Raumfahrt das Zepter der Macht zu übernehmen, ist bekannt und beachtlich. Trauen Sie den Chinesen zu, bis zum Jahr 2030 eine eigene bemannte Mars-Mission zu starten und erfolgreich zu absolvieren?

Ulrich Walter: Das ist eine interessante Frage. Nach allem, was ich erlebt, gesehen und gelesen habe, bin ich davon sehr beeindruckt, dass die Chinesen nicht viel um den heißen Brei reden, sondern konsequent handeln. Sie machen es einfach! Sie kündigen nichts großspurig an, um zu beeindrucken. Nein, sie schreiten einfach zur Tat über. Das imponiert mir. Ich glaube schon, dass China in der 2020er-Jahren mit Taikonauten zum Mond fliegen und dort langfristig Fuß fassen wird. Aber sie werden es alleine machen - ohne die Amerikaner. Doch in die Zukunft zu schauen, ist bekanntlich sehr schwer.

LRO-Aufnahme von der Landestelle mitsamt Spuren der Apollo 14-Mission. Bild: NASA

Genau deshalb gehen wir jetzt zeitlich zurück und kommen auf die Moon-Hoax- bzw. Moon-Fake-Debatte zu sprechen, deren Anhänger ja seit 2001 verstärkt behaupten, dass die sechs bemannten Mondmissionen von der NASA vorgetäuscht wurden. Nachdem der Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) 2009 sehr beeindruckende Bilder zur Erde gefunkt hat, auf denen man die Landestellen diverser Apollo-Missionen sieht, ist es spürbar ruhiger geworden um die Mondverschwörungstheoretiker.

Ulrich Walter: Es gibt allerdings immer noch eine Hardcore-Fraktion. Aber insgesamt gesehen ist es tatsächlich ruhiger geworden. Früher kamen die Menschen in Scharen zu mir und fragten mich nach Vorträgen, ob die Apollo-Missionen gefälscht waren. Es verging kaum ein Tag, an dem nicht das Telefon klingelte und eine Anfrage wegen der Moon-Hoax-Debatte kam.

Aber das Ganze war damals ein klassischer Hype, so wie es immer wieder viele Hypes gibt. Denken Sie an die Diskussion um die NSA und die Abhöraffäre betreffend Angela Merkel! Das war Ende 2013 ein großer Hype. Heute hingegen redet keiner mehr darüber. Aber wie jede konspirative Verschwörungstheorie hat dieser Hype Züge eines Mems und wird erst dann begraben, wenn wir wieder auf dem Mond landen und die damaligen Apollo-Landeplätze besuchen.

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