Der Staat als Messie

Wie der Denkmalschutz in Deutschland aus dem Ruder lief

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Bei manchen Dingen lohnt es durchaus, sie aufzubewahren: Zeugnisse beispielsweise. Bei anderen Dingen lohnt sich das eher nicht – zum Beispiel bei reinen Gebrauchsgegenständen, die nicht mehr richtig funktionieren oder durch vorteilhaftere ersetzt werden. Für Menschen, denen die Trennung zwischen Gegenständen der ersten und der zweiten Kategorie so schwer fällt, dass dies erhebliche negative Auswirkungen auf ihre Wohnsituation hat, bürgerte sich seit den 1980er Jahren der Ausdruck "Messie" ein.

Solange ein Messie den Bereich des Aufhebenswerten lediglich bei sich Zuhause unmäßig erweitert, ist dies meist nur ein Problem für ihn selbst. Schwierig wird es dann, wenn sein Messietum negative Auswirkungen auf andere Menschen hat – wenn er beispielsweise einen Eifer entwickelt, auch anderen Menschen vorschreiben zu wollen, was sie von ihrem Eigentum aufheben sollen und was nicht.

Solch problematisches Messietum wird tatsächlich praktiziert. Vom Staat. Und es nennt sich Denkmalschutz. Die Wurzeln der deutschen Denkmalschutzgesetze liegen im 19. Jahrhundert. Vor allem im Wilhelminischen Zeitalter wurden – unter anderem als späte Folge der Romantik - in mehreren deutschen Ländern Vorschriften erlassen, welche die Pflege von öffentlichen Symbolbauwerken regeln sollten. Als Vorbild für viele der heutigen Denkmalschutzgesetze gilt das des Großherzogtums Hessen aus dem Jahre 1902.

Was anfangs nur dazu da war, historische Bauten wie Burgen, Klöster und Kirchen zu schützen, weitete sich im Laufe der Zeit fast unmerklich immer mehr aus: War ein Gebäude erfasst, ging es weiter zum nächsten. Bald wurden nicht nur Wohnhäuser, sondern sogar ganze Straßenzüge und "Ensembles" unter Denkmalschutz gestellt. Anreize in Richtung einer Ausweitung des Denkmalschutzes gab es für die Behörden zuhauf: Mehr Stellen, mehr Kompetenzen, mehr Mittel. Anreize in Richtung einer vernünftigen Begrenzung gab es dagegen praktisch nicht. Hätte der Staat die privaten Gebäude, die er tatsächlich für so besonders hielt, dass sie nicht verändert und kostspielig restauriert werden müssen, erst kaufen müssen, dann hätte sich das Problem vielleicht in Grenzen gehalten. Stattdessen wurden die Kosten einfach externalisiert – auf Hausbesitzer und indirekt auch auf Mieter. So kam es, dass der Denkmalschutz Ende des 20. Jahrhunderts in vielen Orten nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel war.

Leidtragende waren Eigentümer und Mieter: Sie erfuhren oft erst per amtlichen Bescheid, dass sie Umbauten und selbst Reparaturen in Zukunft nur nach den Wünschen und Vorstellungen der Denkmalschutzbehörde durchzuführen hätten. Probleme verursacht dabei unter anderem die zunehmende Detailverliebtheit der Bescheide: Selbst die Gestaltung von Wohninnenräumen, Farben und Material schreiben die Denkmalschützer vor. Hinzu kommt, dass sie nicht nur über die Ausgestaltung, sondern auch über die Nutzung von Gebäuden entscheiden, was dazu führen kann, dass ein Gebäude gar nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden kann.

Zwar kann ein Teil der Aufwendungen in der Steuererklärung geltend gemacht werden – die daraus resultierende Ersparnis steht aber häufig in keinem Verhältnis zu den Ausgaben und Einbußen, die der Denkmalschutz Hauseigentümern bringt. Erst Ende der 1990er, als das Bundesverfassungsgericht das Abbruchsverbot einer Villa in Rheinland-Pfalz überprüfte, wurde der Staat verpflichtet, in sehr schweren Fällen einen zusätzlichen Ausgleich anzubieten. In der Praxis hatte diese Entscheidung bisher allerdings bis auf zusätzliche Textbausteine kaum Auswirkungen.

Eine Abwägung mit anderen Rechten findet im Denkmalschutzalltag weiterhin kaum statt: Denn auch vor Gericht entscheiden im Allgemeinen Gutachter – und die sind – wie ihre Kollegen in den Behörden - ausgebildete Denkmalschützer. Dabei wird vor allem in den letzten Jahren immer offensichtlicher, wie sehr der Denkmalschutz nicht nur mit privaten, sondern auch mit anderen öffentlichen Interessen kollidiert: Weil Behörden nicht nur Form und Farbe, sondern auch das Material von Fenstern vorschreiben wollen, sind nicht nur die Besitzer, sondern auch die Mieter von denkmalgeschützten Häusern einer immer höheren Heizkostenbelastung ausgesetzt. Solche Einschränkungen kollidieren auch erheblich mit Klimaschutz- und Energiesparanstrengungen, da die Heizung in solchen Häusern ganz überwiegend durch fossile Brennstoffe erfolgt - welche Denkmalschutzbehörde würde schon Sonnenkollektoren oder Ähnliches erlauben?

Kein Wunder also, dass eine Aufnahme in die Liste der denkmalgeschützten Häuser viele Hauseigentümer nicht mit Stolz erfüllt, sondern diese alles unternehmen lässt, um sich dagegen zu wehren. Das ist allerdings dem darauf spezialisierten Kölner Rechtsanwalt Rainer Schmitz zufolge ein häufig vergebliches Unterfangen: Weil die gesetzlichen Vorschriften "butterweich" sind, kann "alles, was irgendwie künstlerisch ein bisschen ansprechend ist, […] als Denkmal eingetragen werden" weshalb Prozesse "in aller Regel" zum Nachteil der Kläger enden.