"Der Supreme Court hat die Bush-Administration an die rechtsstaatliche Kette gelegt"
Ein Gespräch mit Bernhard Docke, dem Verteidiger des deutsch-türkischen Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz
Der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke ist Verteidiger des deutsch-türkischen Gefangenen Murat Kurnaz, der seit zweieinhalb Jahren in Guantanamo eingesperrt ist. Bisher konnte Docke seinen Mandanten weder besuchen, noch hatte er Akteneinsicht. Mit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs, der es den Gefangenen nun ermöglicht, in den USA gegen ihre Inhaftierung zu klagen und einen Rechtsbeistand zu nehmen, dürfte sich vieles ändern (Rechtsfreie Räume sind illegal). Die US-Regierung erwägt, die Gefangenen in die USA zu bringen.
Was bedeutet das Urteil des US-Supreme Court zu Guantanamo konkret?
Bernhard Docke: Das Urteil legt fest, dass alle Personen, die in Guantanamo inhaftiert sind, unter die Gesetze der USA fallen. Das heißt, dass für die Gefangenen auch die US-Gerichte zuständig sind. Das gilt unabhängig von der Nationalität der Gefangenen. Das Urteil ist eine große Schlappe für die US-Regierung und hat ein Stück Rechtsstaatlichkeit wieder hergestellt. Dabei hat es eigentlich nur selbstverständliche Grundsätze eines Rechtsstaates festgeschrieben, nämlich dass jedem Inhaftierten ein Klageweg offen steht.
Welche Rolle spielte die Debatte zur Folter in Abu Ghraib?
Bernhard Docke: Es ging bei dem Verfahren um eine andere Fragestellung, so dass in dem Urteil ein direkter Bezug zu Abu Ghraib fehlt. Allerdings ist es sehr wohl möglich, dass die Debatte indirekt auf das Urteil Einfluss hatte. Schließlich haben die Ereignisse gezeigt, zu welchen Scheußlichkeiten es führen kann, wenn erst einmal rechtsfreie Räume zugelassen werden. Für diese totale Rechtlosigkeit war Guantanamo der Prototyp, der nach Abu Ghraib exportiert wurde.
Kann die US-Regierung die Umsetzung des Urteils noch verzögern?
Bernhard Docke: Gegen das Urteil gibt es keine Rechtsmittel. Es muss umgesetzt werden. Nach mehr als zweieinhalb Jahren kann jetzt das rechtsstaatliche Programm beginnen. Das heißt, ich kann jetzt Akteneinsicht und endlich einen Besuch meines Mandanten notfalls gerichtlich durchsetzen.
Welche Auswirkungen hat das Urteil für Gefangene, die nicht in Guantanamo untergebracht sind?
Bernhard Docke: Der Supreme Court hat eine Unterscheidung zwischen Guantanamo und Afghanistan gemacht, wo auch viele Gefangene inhaftiert sind. Er stellte fest, dass Guantanamo, auch wenn es letztlich nicht der völligen Souveränität der USA untersteht, doch vertraglich gesichert seit langem unter faktischer Kontrolle der USA und deren Gerichtsbarkeit liegt. Das ist bei Afghanistan, wo auch viele Gefangene inhaftiert sind, nicht der Fall. Es wird noch einige juristische Debatten über die Konsequenzen für die Gefangenen außerhalb von Guantanamo geben.
Gab es Unterstützung für Ihre Klage von Seiten der Bundesregierung?
Bernhard Docke: Die Klage haben wir regierungsunabhängig durchgeführt. Aber es gab indirekte politische Unterstützung von verschiedenen Seiten. So hat das Europäische Parlament in einer Resolution die Behandlung der Gefangenen in Guantanamo verurteilt, ebenso der Deutsche Bundestag. Auch der türkische Ministerpräsident hat vor wenigen Tagen gegenüber Präsident Bush eine faire Behandlung der türkischen Gefangenen in Guantanamo angemahnt. Dabei hat er auch den Fall meines Mandanten angesprochen.
Wie geht es in dem Verfahren gegen Ihren Mandanten weiter?
Bernhard Docke: Ich werde das Besuchsrecht, Akteneinsicht und eine Haftprüfung einfordern. Die juristische Aufarbeitung von Guantanamo kann jetzt beginnen, mit zweieinhalb Jahren Verspätung, die wir der abwegigen, geradezu mittelalterlichen Rechtsauffassung der Bush-Administration zu verdanken haben. Mit dieser Sonderbehandlung der Gefangenen in einem von der Außenwelt abgeschirmten Schattenreich außerhalb der geltenden Rechtsstrukturen ist jetzt Schluss. Der Supreme Court hat die Bush-Administration an die rechtsstaatliche Kette gelegt, und das ist gut so.