Der Tanz ums Atom-Ei Nummer Zwei
Der Garchinger FRM II im Streit zwischen Wissenschaft, Umwelt und Politik
Vor 46 Jahren wurde das "Atom-Ei" in Garching gebaut - Deutschlands erster Forschungsreaktor. Sein Hauptzweck war die Erzeugung von Neutronen für physikalische Versuche. Inzwischen wurde die alte Anlage abgeschaltet - doch die neue steht nun ohne Brennelement da.
Franz-Josef Strauß als Atomminister hatte das Garchinger "Atom-Ei" unterstützt, dessen Bau 6,4 Millionen Mark kostete. Am 31. Oktober 1957 war es in Betrieb gegangen und wurde von Physikern seitdem für die Grundlagenforschung verwendet. Zunächst sollte die Anlage übrigens auf dem Stammgelände der Technischen Universität München in der Arcisstraße in der Münchner Innenstadt errichtet werden, doch schon aus Platzgründen war man frühzeitig auf die "grüne Wiese" nach Garching ausgewichen.
Während Forschungsreaktoren ursprünglich Tests und Entwicklung größerer Atomanlagen dienen sollten, werden heute die bei der Kernspaltung freiwerdenden Neutronen genutzt: Da sie nicht geladen sind, können sie nicht in Teilchenbeschleunigern erzeugt werden. Einzige Alternative zu einem Reaktor ist die Spallation, bei dem geladene Teilchen aus einem Beschleuniger gezielt auf ein schweres Element gejagt werden, um dessen Atomkerne zu spalten und Neutronen freizusetzen. Noch ist dieses Verfahren aufwändiger und liefert nicht dieselben Ergebnisse, insbesondere bei langsamen "thermischen" Neutronen, hat aber auch nicht die Betriebsgefahren einer Kettenreaktion. Erst in 2010 soll die europäische Spallationsquelle ESS in Betrieb gehen.
Beim alten Atom-Ei handelt sich um einen sogenannten "Schwimmbadreaktor" - die Brennelemente sind in einem großen Wasserbassin - mit 4 Megawatt thermischer Leistung, 25 Brennelementen von 8 x 8 cm mit 60 cm Länge, Berylliumreflektoren zur Spiegelung der Neutronen - sonst wäre keine Kettenreaktion möglich gewesen - und Absorber-/Regelstäben aus Borcarbid. Auch der Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer, nach dem der Mößbauer-Effekt benannt wurde, hatte hier ab 1959 geforscht.
Die vom Reaktor erzeugten schnellen, langsamen und ultralangsamen Neutronen wurden in der Grundlagenforschung in Physik, Chemie und Biologie ebenso gebraucht wie in der angewandten Materialforschung. So lassen sich Halbleiter mit langsamen Neutronen wesentlich exakter und kontrollierter dotieren als mit dem üblichen Aufdampfen von Phosphor - genutzt wird dies bei IGBTs, elektronischen Schaltern in der Leistungselektronik. Hierbei wird das zu 3% in Silizium vorhandene Isotop 30Si durch Neutroneneinfang in Phosphor 31P gewandelt. Auch in der Krebsbehandlung hat die Bestrahlung mit langsamen Neutronen mitunter Vorteile gegenüber der Bestrahlung mit Röntgen- oder Gammastrahlung, und radioaktive Präparate lassen sich mit Neutronenbeschuss definiert erzeugen. Insgesamt wurden im Atom-Ei ungefähr 1000 Krebspatienten behandelt. Um den Reaktor herum entstand ein Campusgelände der TU München. Auch damals war die Reaktion der umliegenden Anwohner nicht begeistert: Eine Atomanlage im Vorgarten möchte niemand.
Kein Urin 235, aber Kobalt 57 in der Damentoilette und Tritium im Grundwasser
Am 26. August 2000 wurde der Reaktor stillgelegt. In den fast 43 Betriebsjahren hatte es zwar keine größeren Störungen gegeben. Allerdings einige "kleinere", die bei Atomreaktoren ja auch schon fatale Auswirkungen haben können. Dass das Reaktorgebäude an einem Morgen im Mai 1986 wegen stark erhöhter Strahlung automatisch versperrt wurde, war zwar nicht die Schuld des Garchinger Reaktors - in diesem Fall kam die weit über den Grenzwerten liegende Strahlung aus dem gerade in Russland in die Luft geflogenen Block 4 in Tschernobyl. Doch danach gab es immer mehr bekannt gewordene Probleme der Physiker.
So wurde das Kühlwasser aus einem Brunnen gewonnen und das Garchinger Grundwasser 1989 prompt mit Tritium (radioaktiver Wasserstoff) verseucht. Bis 1991 wurde radioaktives Abwasser der Zyklotron-Forscher über einen lecken Abwasserkanal in die Isar geleitet, obwohl die Gründe für die häufigen Lecks, nämlich Wurzeleinwuchs, seit den 70er Jahren bekannt waren. Im April 1997 war ein Leck im Primärkreislauf des Reaktor-Kühlsystems und beim benachbarten Zyklotron landete nun gar radioaktives Kobalt im Damenklo. Damit war das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaftler dahin, obwohl die schlimmsten Pannen gar nicht vom Reaktor, sondern vom Zyklotron ausgegangen waren. In den Jahren vor 1992 gab es kein Meldegesetz für Störungen, was in den 50ern, 60ern und 70ern so schief gegangen ist, wurde also nicht aufgezeichnet und so ist das Misstrauen groß.
Die TU München wollte eine modernere, neue Neutronenquelle. Der alte Reaktor ist inzwischen abgeschaltet, dort werden lediglich noch Experimente aufgebaut, die mit den Neutronen aus dem neuen Reaktor betrieben werden sollen. Der Forschungsreaktor München 2, kurz FRM II, soll nun zwischen 400 Millionen und fast einer Milliarde gekostet haben, also deutlich mehr als das alte Ei. Und er kostet jeden Tag mehr, ohne Aussicht, in Betrieb gehen zu können. Der Grund: Er soll wie das Atom-Ei mit auf 93% U 235 hochangereichertem Uran (highly enriched uranium, kurz: HEU) betrieben werden.
U 235 ist das mit Neutronen spaltbare Uranisotop, das zur Kettenreaktion verwendet wird und in Natur-Uran nur zu einem Prozent vorkommt, während das häufigere U 238 nicht spaltbar ist und sich bei Neutronenbeschuss zu Plutonium umwandelt. Es erscheint daher erst einmal logisch, dass man HEU benutzt, um einen Reaktor zu bauen und in den 50ern und 60ern war dies auch durchweg so üblich. Doch HEU ist das Material, aus dem Uran-Atombomben gebaut werden. Im Gegensatz zu Plutonium, dem anderen Bombenstoff, strahlt es kaum, ist nicht giftiger als Blei und kann von Terroristen leicht transportiert werden. Ein Selbstmordattentäter könnte einfach zwei insgesamt 25 Kilo schwere (und angesichts der hohen Dichte von Uran nicht sehr große) HEU-Stücke mit den Händen aufeinander knallen, um eine Atomexplosion auszulösen. Nach einem fünftel Jahr gilt das Brennelement für den Reaktor als verbraucht, weil die Spaltprodukte zu sehr anwachsen, doch das Material wäre mit 76% U 235 immer noch waffenfähig, wenn auch nun stark strahlend.
HEU im Reaktor hat nichts mit Öko zu tun
Tatsächlich ist das im FRM II vorgesehene Uran-Silizid laut Aussage der TU München zwar nicht direkt bombenfähig, es müsste erst aufwändig in metallische Form zurückgeführt werden. In sehr geringen Mengen soll dies im Labor zwar möglich sein, doch nicht in den Kilogramm-Mengen, um die es hier geht, so Dr. Waschkowski von der TU München. Zudem dürfte es schwierig sein, aus dem bereits jetzt hermetisch abgeschirmten Reaktorgebäude ein Brennelement zu klauen oder zu entführen.
Doch HEU bringt noch mehr Probleme: Der HEU-Betriebsstoff für 10 Jahre FRM II ist zwar angeblich bereits komplett in Frankreich erzeugt worden, und zwar aus altem hochangereicherten Uran, das ursprünglich für den Thorium-Hochtemperaturreaktor in Hamm vorgesehen war und schon dort für Missstimmung sorgte. Nach Ablauf der 10 Jahre müsste aber neues HEU beschafft werden - und spätestens da besteht die Gefahr der Proliferation: Von der Lieferung könnte Material für Bomben abgezweigt werden.
Auch wenn klar ist, dass trotz des Atomengagements von Franz-Josef Strauß das Engagement der deutschen Forscher nie militärisch war, ist dies in anderen Staaten nun einmal nicht der Fall. So diente in Indien HEU aus einem Forschungsreaktor für den Atombombentest von 1974. Bei den in den 70ern in Südafrika gebauten HEU-Atomwaffen wird ebenso eine Herkunft des Materials aus Forschungsreaktoren vermutet, wie man glaubt, dass Israel den Forschungsreaktor Dimona zur Atomwaffenproduktion verwendet. Der Reaktor könnte daher anderen eine willkommene Ausrede bieten, auch wieder mit HEU arbeiten zu wollen.
Die Urananreicherung ist sehr aufwändig und von Drittweltländern oder Terroristen nicht selbst durchzuführen. Daher hat HEU strategisch hohen Wert für Atombombenbastler. Die USA weigern sich deshalb, den deutschen Reaktor mit HEU zu beliefern, und protestieren gegen das unnötige Terror-Risiko. Die TU München will deshalb nach 10 Jahren, wenn das 93%-HEU verbraucht ist, nach einem Umbau des Reaktors mit russischem Uran weitermachen, das nur 50% angereichert ist. Es ist damit aber immer noch bombentauglich.
Mit nicht mehr bombentauglichem LEU - low enriched uranium mit weniger als 20% U 235 - erzeugt der Reaktor dagegen nach Angaben der Physiker unnötig viel Plutonium aus U 238, der Urankern wird größer, der Reaktor ineffektiver und muss daher umgebaut werden und der höchste Neutronenfluss ist nicht mehr in dem den Kern umgebenden schweren Wasser, wo die Experimente ansetzen, sondern innerhalb des Urankerns. Auch hier gehen die Zahlen wieder massiv auseinander: Die Gegner sprechen von 10 bis 30% Effizienzverlust, die Befürworter dagegen von über 50%. Für die Physiker ist dabei ein großes Problem, dass der Reaktor dann für dieselbe Neutronendichte mit höherer Leistung gefahren werden muss, was nicht nur die Kühlprobleme erhöht - die erzeugte Leistung ist hier im Gegensatz zu einem Atomkraftwerk ja gar nicht erwünscht und bei gerade 52 Grad Celsius maximaler Wassertemperatur auch nur schwer für Heizzwecke zu verwenden - , sondern auch Experimenten wie der Tieftemperaturbestrahlung von Proben zu schaffen macht: Mit höherer Reaktorleistung ist die Heliumkühlung dieser Proben nicht mehr in den Griff zu bekommen. Außerdem steigt auch die unerwünschte Gamma-Hintergrundstrahlung des Reaktors mit einem höheren U-238-Anteil.
Technisch interessant ist, dass der 20-Megawatt-Reaktor mit nur einem einzigen Brennelement auskommt, das auch nur in der Reaktorumgebung "anläuft". Das Brennelement ist 24,3 cm dick und 70 cm hoch und enthält 8 Kilo Uran. Pikant ist aber, dass die Uransilizid-Technik gerade entwickelt wurde, um HEU-Brennelemente abschaffen zu können, nicht aber, um noch ein paar Prozent bessere Ergebnisse herauszuschinden. Andererseits lief der alte Reaktor mit wesentlich mehr ebenso hochangereichertem Stoff.
Da auch die generelle Angst vor einem Forschungsreaktor angesichts der Terrorbedrohung gestiegen ist - zur Olympiade in Sydney fanden sich beispielsweise angeblich al-Qaida-Pläne zum Anschlag auf einen Forschungsreaktor, ist die Zukunft des Reaktors nun fraglich: Das erste bereits in Frankreich bereitliegende Brennelement darf bislang nicht eingeführt werden, die sogenannte "dritte Teilgenehmigung" wird nicht erteilt. Währenddessen stehen in Garching bereits die geplanten Physikexperimente rund um das leere Reaktorbecken Tag und Nacht eingeschaltet bereit - der Strom kommt ja nicht aus dem Reaktor, sondern aus der Dose...
Nun laufen der TU die Forscher weg und es herrscht ein Patt: Wann und ob der FRM II anlaufen darf, ist nach wie vor offen. Es ist zwar verständlich, dass die Wissenschafter das technische Optimum erzielen wollen - ein Kompromiss oder eine bessere politische Lösung bereits vor Jahren wäre aus heutiger Sicht jedoch nützlicher gewesen. Und auch hochkarätige Wissenschaftler können sich irren - sogar mehrfach!
Die Ängste von Politik und Bevölkerung sind deshalb nur zu verständlich, auch wenn die Blockade für die Physiker fatal ist: Weltweit werden Forschungsreaktoren wegen Überalterung stillgelegt und damit die Quellen für langsame Neutronen knapp.