Der Teufelskreis im Jemen
Von Nahrungsmittelknappheit bis zum Konsum hungerstillender Drogen
Die katastrophalen Umstände im Jemen spitzen sich weiterhin zu. Während in einigen Ländern Europas der Weg zu einer neuen Normalität geebnet wird und langsam die Grenzkontrollen aufgelockert werden, befürchten die wenigen medizinischen Hilfskräfte im Jemen, dass ihr Krieg gegen das neuartige Coronavirus gerade erst begonnen hat.
Der seit fünf Jahren andauernde Bürgerkrieg hat das Gesundheitswesen im Jemen erheblich zerstört. Mehr als die Hälfte aller Krankenhäuser wurde während des Krieges beschädigt oder komplett zerstört. Rund 80% der etwa 28 Millionen Jemeniten sind auf irgendeine Form von humanitärer Hilfe angewiesen.
Die Donald Trump-Regierung, die der Weltgesundheitsorganisation erst kürzlich wieder mit einem endgültigen Zahlungsstopp gedroht hat, hat Anfang dieses Monats Covid-19-Hilfe in Höhe von 500.000 US-Dollar für den Jemen zugesagt. Insgesamt hat die UNO jedoch einen Bedarf von 3,4 Milliarden US-Dollar für den Jemen in diesem Jahr veranschlagt, wobei erst ein Prozent dieses Betrags eingegangen ist, wie das Büro zur Koordinierung humanitärer Hilfe in Genf mitgeteilt hat.
Die Europäische Union hat nun ebenfalls angekündigt, 55 Millionen Euro bereitzustellen, um den Jemen bei seinem Kampf gegen Sars-CoV-2 zu unterstützen. Der Ausstieg der USA aus der WHO würde die Situation in Krisenländern umso schwerer machen, da das Land die höchsten finanziellen Beiträge leistet.
Kürzungen der Hilfe inmitten der Covid-19-Pandemie für eine Bevölkerung, die aufgrund der von den USA unterstützten saudischen Militärinvasion stark gefährdet ist und neben Covid-19 auch mit Massenhunger und dem größten Cholera-Ausbruch der Geschichte zu kämpfen hat, führt zu einem Weg, der ein katastrophales Ergebnis beschleunigt.
Das medizinische Personal muss um die eigene Existenz bangen
Für das medizinische Personal in der Stadt Aden ist es besonders schwierig, die eigene Existenz zu sichern. So gibt es Ärzte, die seit Monaten nicht bezahlt wurden und dazu gezwungen sind, woanders nach Arbeit zu suchen. Dies wiederum hat zur Folge, dass unqualifiziertes Personal die Arbeit der Facharbeiter ersetzen muss.
Die Non-Profit-Organisation "Save the Children" berichtet außerdem davon, dass es Weigerungen beim medizinischen Personal gibt, weiter zu arbeiten, da die notwendige Schutzausrüstung fehlt, um einigermaßen sichere Untersuchungen durchzuführen. Mehrere Krankenhäuser mussten deshalb schließen und die Menschen sterben, weil sie nicht behandelt werden können.
Adens Zivilschutzbehörde berichtet, dass die Zahl der Toten sich in den vergangenen Tagen verfünffacht hat. Laut der BBC gibt es nur 500 Beatmungsgeräte im Land sowie vier Labore, die auf das Coronavirus testen können. Ein anderes Mal spricht der britische Nachrichtensender in einem Videobericht sogar von nur 200 Beatmungsgeräten.
Die Zahl der bestätigten Corona-Infektionen und Todesfälle im Land ist mit großer Wahrscheinlichkeit weitaus größer, da es schlicht und einfach zu wenig Testmittel gibt, weshalb die offiziellen Zahlen nicht aussagekräftig sind.
Manchen ist der Tod an Corona lieber als zu verhungern
Die Hungersnot im Jemen ist eine weitere Katastrophe, die die Menschen zum Verzweifeln bringt. Die abgemagerten unterernährten Kinder, wie der kleine Abdo Saleh, bräuchten eigentlich das ganze Jahr über medizinische Betreuung, doch dies ist im krisengeplagten Land ein Ding der Unmöglichkeit.
Der dreijährige Junge wiegt lediglich fünf Kilogramm, also nicht einmal halb so viel wie ein durchschnittlicher Junge in seinem Alter. Um den Hungerbedürfnissen zu entkommen, konsumieren weite Teile der Bevölkerung die Volksdroge "Qat", eine Pflanze, die sowohl narkotisierende als auch hungerstillende Wirkungen hat. Dabei ist nicht nur die Suchtgefahr der Pflanze ein Problem.
Der Anbau der Droge benötigt Unmengen an Wasser und natürlich auch landwirtschaftliche Flächen, die eigentlich für den Anbau von Getreide und Gemüse dringend notwendig wären. Die gesundheitlichen Folgen von Qat sind ebenso fatal für die Konsumenten, da das stundenlange Kauen sehr häufig zu Mund- und in der Speiseröhrenkrebs führt.
In Zeiten von Corona, wo Vorerkrankungen einen zusätzlichen Faktor zwischen Leben und Tod ausmachen, ist der Konsum also umso folgenschwerer. 90 Prozent aller Männer in Sanaa kauen nach Schätzungen der Weltbank das Suchtmittel. Die Absurdität des Krieges zwischen Huthi-Rebellen und der von Saudi-Koalition unterstützten Exil-Regierung Abd Rabbuh Mansur Hadis hat nun einen weiteren Höhepunkt erreicht.
Nach fünf Jahren des Krieges haben die saudischen Behörden gefordert, dass die Beamten der international anerkannten jemenitischen Regierung Hadis und er selbst das Königreich verlassen müssen, da sie ihren Wohnsitz nicht mehr finanziell unterstützen können. Währenddessen ist kein Ende des Teufelskreises innerhalb der jemenitischen Bevölkerung in Sicht.