Der Traum vom klimafreundlichen Fliegen
Ziel: Fernreisen ohne "Flugscham" und Folgen für die Natur. Kann neue Technologie das Klimaproblem im Verkehrssektor lösen? Der Ausbau Erneuerbarer Energien müsste jedenfalls ehrgeiziger werden. Eine Annäherung.
Flugscham – 2020 wurde dieser Begriff in den Duden aufgenommen. Seine Bedeutung beschreibt die Online-Ausgabe so: "schlechtes Gewissen, das Klima beim Reisen mit dem Flugzeug (vor allem durch den hohen CO2-Ausstoß) zu belasten".
Doch vielleicht gibt es jetzt Hoffnung: Im Emsland wird jetzt Flugbenzin produziert, das klimafreundlich sein soll: "FairFuel" heißt das Projekt, bei dem Wasser per Elektrolyse zu Sauerstoff und Wasserstoff getrennt wird. Der energieintensive Prozess wird mit echtem Ökostrom betrieben, anschließend wird der Wasserstoff mit Kohlendioxid über Zwischenschritte zu Synthesegas und schließlich zu synthetischem Kraftstoff umgewandelt. Eine Raffinerie macht nördlich von Hamburg daraus dann Kerosin der Marke "Jet A1".
Gebaut wurde die Anlage nicht etwa von einer Fluggesellschaft oder einem Energiekonzern. Bauherr ist Atmosfair, eine gemeinnützige Organisation, die bisher einen Treibhausgasrechner-Rechner für Flugreisen und Kompensationsprojekte für die Klima-Schulden durchs Fliegen anbietet.
"Wir zeigen mit der Anlage in Werlte, dass klimaneutrales Kerosin machbar ist", sagt der umtriebige Geschäftsführer Dietrich Brockhagen. Zwar ist die klimafreundliche Antriebsvariante doppelt so teuer wie normales Kerosin. Die Lufthansa kauft es aber dennoch: "Mit dem nachhaltigen Kerosin 'made in Germany' bieten wir unseren Kunden ein innovatives Angebot für klimaschonendes Fliegen", erklärt Christina Foerster, Mitglied des Konzernvorstandes Deutsche Lufthansa.
"Klimaschonendes Fliegen" - dieses Etikett ist heiß begehrt: Weltweit ist der Flugverkehr für etwa zwei Prozent der Treibhausgase (so viel wie Deutschland) verantwortlich, trägt aber wegen Rußpartikeln, Wolkenbildung und anderen Schadstoffen zu etwa fünf Prozent des Klimawandels bei. "Flugscham" ist angesichts der weltweiten Verwerfungen im Wettersystem – allein in Pakistan starben in diesem Jahr 1.200 Menschen – die logische Konsequenz. Doch kann die neue Technologie unseren Lebenskomfort inklusive Fernreisen hoch über den Wolken retten?
"Wir haben überhaupt nicht so viel erneuerbare Energie"
Die Deutschen sind Reiseweltmeister – laut Tourismusindex verlebten wir im Vor-Corona-Jahr 2019 sagenhafte 1,7 Milliarden private Reisetage - fast 4,7 Millionen Reisejahre, wohlgemerkt in einem Jahr! "Wir haben überhaupt nicht so viel erneuerbare Energie, dass wir Fliegen auf diesem Weg klimaneutral machen können", urteilt Andreas Knie, Mobilitätsforscher und Professor für Soziologie an der TU Berlin.
Tatsächlich nämlich soll künftig mit Ökostrom geheizt werden (Wärmepumpe), mit Ökostrom Stahl hergestellt werden (Stichwort "grüner Wasserstoff"), mit Ökostrom die Industrie umgebaut werden (Chemiebranche, Maschinenbau), und nun soll mit Ökostrom auch noch die Mobilität am Himmel grün werden. "Wir haben aber erst 50 Prozent Ökostrom in unseren Netzen, ergo nichts übrig für andere Branchen", stellt Andreas Knie fest.
Tatsächlich lahmt der Ausbau besonders der Windkraft in den letzten Jahren erheblich – vor allen in den Bundesländern, die von der Union regiert werden. In Bayern wurden 2020 etwa ganze acht neue Windräder errichtet, im Saarland sieben, in Sachsen waren es drei. In Brandenburg gingen dagegen 70 neue Windenergieanlagen ans Netz.
"In diesem, im letzten und im vorletzten Jahr wurden so wenige Windräder neu ans Netz genommen wie nie zuvor in der jüngeren deutschen Geschichte", bilanziert Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Im ersten Halbjahr gingen 2022 nur 156 neue Windräder ans Netz, 2017 waren es noch dreimal so viele.
Die Folge: Mitte des Jahres 2022 schlossen in Deutschland die letzten beiden Fabriken, die Rotorblätter herstellen, für immer ihre Tore.
Aber könnte die grüne Technologie nicht der Schlüssel sein, wenn genug Ökostrom vorhanden wäre? "Man kann die 48 Millionen Autos, die es in Deutschland gibt, nicht einfach elektrifizieren", sagt Mobilitätsforscher Knie, zumindest nicht in jener Zeit, die für den Pfad der Klimaneutralität notwendig wäre. E-Autos in ihrer derzeitigen Anwendung nennt Knie "alte Mobilität mit neuem Antrieb".
Privatparkplätze im öffentlichen Raum, immer mehr Straßen, das Denken hinter den PKWs mit E-Antrieb – "das ist genau das Mobilitätssystem, das den Verkehr in Deutschland zum drittgrößten Verursacher von Treibhausgasemissionen gemacht hat." 20 Prozent stammen aus unserer Mobilität, nur die Industrie und die Energiewirtschaft sind für mehr verantwortlich. Allerdings gingen dort die Emissionen seit 1990 sehr stark zurück, anders als im Verkehrssektor, wo sie gestiegen sind.
Eine andere Mobilität ist möglich
Tatsächlich sei ein E-Auto über seinen Lebenszyklus hinweg bilanziert wesentlich klimafreundlicher als ein Verbrenner, sagt Knie. Er sagt aber auch: "Mit Technik allein werden wir das Klimaproblem im Verkehr nicht lösen". Carsharing, mehr Rad- und Fußverkehr in den Innenstädten, viel mehr öffentlicher Nahverkehr – notwendig sei eine andere Mobilität. "Dazu gehört auch ein Verzicht", so Knie. Beispielsweise auf die nächste Flugreise.
Das sieht Atmosfair genauso. Zwar kommt beim Verbrennen des "FairFuel"-Kerosins aus dem Triebwerk nur so viel Kohlendioxid, wie zuvor bei seiner Herstellung der Atmosphäre entzogen wurde. "Allerdings erzeugt auch E-Kerosin noch eine Reihe von anderen Klimaeffekten ähnlich wie fossiles Kerosin", erklärt Dietrich Brockhagen.
Dazu gehöre insbesondere die Bildung von Kondensstreifen und Ozon in großen Flughöhen, die das Klima sogar doppelt so stark erwärmen wie das reine CO2 des Kerosins. Deshalb empfiehlt der Hersteller des "FairFuels" auch: "Weniger fliegen ist besser für das Klima."
Immerhin vor sich hertreiben will Atmosfair die Luftfahrtbranche: "Wir zeigen, dass CO2-neutrales Kerosin machbar ist", sagt Atmosfair-Geschäftsführer Dietrich Brockhagen. Mit der gemeinnützigen Tochterfirma Solarbelt sind die Klimaschützer:nnen schneller als die großen Konzerne. Zwar werden sie lediglich 350 Tonnen klimafreundliches Kerosin pro Jahr produzieren können – weniger als ein Prozent des Bedarfs. Aber damit könne man den Großen der Branche "eine Messlatte vorgeben", wie Brockhagen sagt.
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