Der "Überlebensvorteil" des Bücherlesens

Charles-Amable Lenoir: Der Roman. Bild: public domain

Nach einer Studie sollen regelmäßige Bücherleser deutlich länger leben als Buchverächter

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Zusammenhänge können bekanntlich viele hergestellt werden. Viele wissenschaftliche Studien machen eben dies. Dabei kommt vornehmlich auf die Kontrolle von Faktoren an, die Korrelationen beeinflussen können. Je mehr Faktoren in ein Phänomen hereinspielen, desto ungewisser wird das Ergebnis. Wenn Wissenschaftler statistisch den Zusammenhang zwischen dem Lesen von Büchern und der Lebenserwartung herstellen wollen, kann man schon einmal vermuten, dass das Ergebnis vielleicht überraschend ist, aber nicht viel aussagt. So hatte etwa eine Studie herausgefunden, dass für die Bildung der Kinder die Zahl der Bücher ebenso aussagekräftig wie der Bildungsstand der Eltern sein soll. Man müsste also nur viele Bücher kaufen, damit die Kinder eine Universitätskarriere hinlegen (Der Schulerfolg wächst mit der Länge des Bücherregals Zuhause).

Tatsächlich wollen nun Wissenschaftler vom Laboratory of Epidemiology and Public Health der Yale University unter der Leitung der Epidemiologin Becca Levy einen Hinweis darauf gefunden haben, dass Menschen, die Bücher lesen, durchschnittlich 23 Monate länger leben als Buchverächter. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift Social Science & Medicine erschienen. Ausgewertet wurde dazu eine Langzeitstudie mit über 3600 Menschen im Alter von über 50 Jahren, die 12 Jahre lang verfolgt und in drei Gruppen eingeteilt wurden: Menschen, die keine Bücher lesen, solche, die bis zu 3,5 Stunden lesen, und solche, die mehr lesen.

Ein paar Faktoren wie Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Bildung, Einkommen oder Gesundheitszustand sollen berücksichtigt worden sein. Ergeben hat sich mit deren Berücksichtigung, dass Menschen, die mehr als 3,5 Stunden wöchentlich lesen, mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit von 23 Prozent innerhalb der Zeitspanne von 12 Jahren sterben als Nichtleser, wer bis zu 3,5 Stunden wöchentlich liest, reduziert danach sein Risiko um 17 Prozent. Insgesamt soll das Lesen von Büchern das Sterberisiko um 20 Prozent verringern.

Bücherlesen würde also, wie die Wissenschaftler meinen, ähnlich wie gesunde Ernährung oder körperliche Bewegung einen "signifikanten Überlebensvorteil" mit sich bringen, auch wenn man sich dabei nicht bewegt und vielleicht auch gesundheitlich Bedenkliches trinkt oder isst. Je mehr Zeit mit Bücherlesen verbracht wird, desto mehr steigt auch die Lebenserwartung. Wer nur liest, lebt also ewig?

Wer Magazine und Zeitungen liest, immerhin auch Printprodukte, soll einen deutlich geringeren "Überlebensvorteil" haben. Warum das so ist, geht aus solchen Korrelationsstudien nicht hervor. Allerdings lesen die Bücherliebhaber auch Zeitungen und Magazine - und widmen diesen mehr Zeit als den Büchern. Sollten die Ergebnisse repräsentativ und reproduzierbar sein, dann gehört vermutlich Bücherlesen zu einem Lebensstil, der "gesünder" ist. Man müsste raten, was Unterschiede zu Zeitungslesern sein könnten. Lesen die flüchtiger, schneller, en passant, während das Lesen eines Buches mehr Konzentration und Rückzug erfordert? Die Wissenschaftler glauben, dass Bücherlesen das "tiefe Lesen" fördert, ein "langsames und immersives" Lesen, das Verbindungen mit anderen Inhalten und der Welt außerhalb des Buchs herstellt und Fragen entstehen lässt. Aber das ist ebenso gut geraten wie These, dass das Bücherlesen eher "Empathie, soziale Wahrnehmung und emotionale Intelligenz" fördert.

Aber was heißt schon Buch? Dazu gehört Triviales ebenso wie anspruchsvolle Literatur oder wissenschaftliche Werke. Was gelesen wurde, wissen die Wissenschaftler nicht, gleichwohl meinen sie, dass der "Überlebensvorteil" mit der Kognition zu tun habe, und sie versichern: "Bücher schützen unabhängig vom Geschlecht, vom Alter, von der Bildung oder von der Gesundheit." Aber reicht es, erst mit 50 anzufangen oder muss man schon in frühen Jahren ein Bücherwurm sein? Wenn Lesen nicht gleich lesen sein soll, dann wäre auch interessant, ob das Lesen digitaler Bücher ähnliche "Überlebensvorteile" mit sich bringt. Und wie lange muss ein Buch oder ein Text sein, um für ein längeres Leben zu sorgen?