Der Vulkan erwacht
Golan-Höhen: Die Angst vor einer Eskalation in der Region
Die ersten 76 der 375 österreichischen Blauhelmsoldaten landeten am Mittwoch vergangener Woche in Wien; der Rest des Kontingents soll innerhalb der kommenden Wochen folgen. Die Entscheidung zum Rückzug wurde getroffen, nachdem die Lage auf der syrischen Seite der Waffenstillstandslinie immer unübersichtlicher wurde, und zwei Blauhelme verletzt wurden (vgl. Der syrische Krieg rückt Israel immer näher. Bei den Vereinten Nationen sucht man nun händeringend nach Ersatz, der aber schwer zu finden ist, zumal man in Israel zunehmend den Sinn der UNDOF bezweifelt. Dort mehren sich die Stimmen, die nach einem militärischen Eingreifen rufen.
Noch vor ein paar Monaten war der Golan nicht mehr als Peripherie: Bis zu sechs Stunden kann die Anreise mit dem Bus aus Tel Aviv dauern - wenn denn mal einer fährt, denn das ist nur ein paar Mal am Tag der Fall, denn kaum jemand will dort hin. 7000 Drusen leben dort, die, anders als die Drusen im israelischen Kernland, nicht den Staat Israel unterstützen, sondern sich als Syrer sehen. Und außerdem siedelten sich seit 1973 rund 7.000 israelische Siedler, die nahezu ausschließlich von Landwirtschaft leben, in dem Gebiet an.
Im Rest des Landes tauchte der Golan stets nur dann im Bewusstsein der Öffentlichkeit auf, wenn wieder mal ein Politiker darüber sinnierte, das 1981 einseitig, also völkerrechtlich nicht anerkannt, von Israel annektierte Gebiet im Gegenzug für einen Friedensschluss an Syrien zurückzugeben, was vor allem dann der Fall war, wenn jemand schnell eine außenpolitische Initiative zum Punkten brauchte.
Der Golan galt hier Jahre lang als die einfachste aller Optionen: Während es in Verhandlungen stets um Jerusalem und Flüchtlinge und die Frage, wo die Grenze verlaufen soll, geht, um Dinge also, die nur schwer kurzfristig lösbar sind, waren die offenen Fragen über das dünn besiedelte Gebiet im Nordosten überschaubar: Wie soll das mit dem Wasser und der Landwirtschaft nach der Rückgabe aussehen? Und wie soll garantiert werden, dass nach dem Abzug nicht das passiert, was vor dem Sechs-Tage-Krieg 1967 geschah, nämlich dass der Norden Israels ständig von den Golanhöhen aus beschossen wird?
Wobei niemand wirklich ernsthaft glaubte, dass dies wieder vorkommen würde: Zu gefestigt schien die Macht der Assad-Familie in Syrien, zu gering das syrische Interesse an einem weiteren Krieg mit Israel - schon die beiden Kriege 1967 und 1973 hatten das Land fast runiniert. Dass die Verhandlungen dennoch stets scheiterten, lag an Detailfragen, wie dem Zugang zum See Genezareth, teils machte Syrien einen Friedenschluss mit Israel auch von Fortschritten in der Palästina-Frage abhängig. Aber vor allem: Israels Rechte, die seit sehr langer Zeit das Zünglein an der Waage bei der Koalitionsbildung ist, spielte nicht mit.
Veränderte Situation
Heute sind selbst Linke erleichtert, dass diese Initiativen stets im Sande verlaufen sind, denn in diesen Tagen erinnert man sich daran, dass die Schilder, die vor Landminen warnen, die Aussichtsplattformen, von denen aus man bei gutem Wetter weit nach Syrien hinein schauen kann, die Zäune, keine Mahnmale an vergangene Zeiten sind und die Soldaten mit blauen Helmen und weißen Autos keine Museumswächter. Der schlafende Vulkan, der der Golan ist, erwacht.
Der Donnerhall der Gefechte zwischen Rebellen und Regierungstruppen auf der syrischen Seite ist auf der israelischen tagtäglich zu hören, und er kommt immer näher. Die Granaten, die jenseits der Zäune an der Grenze zur Sicherheitszone einschlagen, werden immer mehr. Und kürzlich nahmen die Rebellen den Grenzposten Kuneitra ein, für kurze Zeit nur zwar, aber während der Kämpfe wurden zwei UN-Soldaten verletzt.
Es war dieser Zwischenfall, der Österreichs Regierung dazu bewogen hat, sich aus der Beobachtermission der Vereinten Nationen (UNDOF) auf den Golanhöhen zurückzuziehen. Und damit zum dritten Land innerhalb weniger Monate wurde, das diesen Schritt geht.
Im Dezember 2012 hatte zuerst Japan seine 47 Soldaten abgezogen; im März folgte dann Kroatien mit rund 130 Soldaten, wobei beides von der Öffentlichkeit recht unbemerkt über die Bühne ging. Der Beschluss der österreichischen Bundesregierung hingegen stellt die Beobachtermission als solche in Frage, denn nun geht immerhin rund ein Drittel der zuletzt 911 Mitglieder umfassenden UNDOF.
Es gehe einzig und allein um die Sicherheit der Soldaten, heißt es im Verteidigungsministerium in Wien, und die sei eben in der aktuellen Situation nicht mehr gewährleistet. Denn: Die Angehörigen der UNDOF dürfen nur sich selbst verteidigen, nicht aber in Kampfhandlungen eingreifen, wobei sie allerdings ohnehin mit ihrer leichten Bewaffnung nichts gegen Granaten, Panzer und Maschinengewehre ausrichten könnten. Ihre Aufgabe ist es, zu beobachten und zu berichten. Geregelt ist das im Anhang B des Waffenstillstandsabkommens zwischen Syrien und Israel vom 5. Juni 1974.
UNDOF ein wichtiges Instrument, um die Eskalation wenigstens einzugrenzen
Allerdings: Schon seit langem blieb die Stärke des militärischen Personals weit hinter der eigentlich im Abkommen vorgesehenen Personaldecke von 1250 Soldaten zurück; Angehörige der Mission beklagten sich schon vor Jahren, eine effiziente Überwachung des Waffenstillstandes sei kaum möglich, weil das Personal fehle. Mit dem Näherrücken des Bürgerkrieges, sagen UNDOF-Leute nun, sei die Arbeit auf der syrischen Seite dann absolut unmöglich geworden.
Die eigentlich vorgeschriebenen Kontrollen der militärischen Präsenz auf beiden Seiten, die mindestens alle 15 Tage stattfinden sollten, wären auf der syrischen Seit schon seit Monaten ausgeblieben, sowohl das syrische als auch das israelische Militär operierten mittlerweile ganz offen dort, wo sie laut Waffenstillstand nichts zu suchen haben - von den Rebellen, die sich an internationale Abkommen nicht gebunden fühlen, von den wiederholten israelischen Luftschlägen auf syrischem Terroritorium, von den Granateneinschlägen, die immer wieder dazu führen, dass Israels Militär Stellungen auf der syrischen Seite beschießt, ganz zu schweigen.
Man beobachte die Lage mit "größter Sorge", sagen Sprecher der Vereinten Nationen. Dort gibt man sich davon überzeugt, dass die UNDOF ein wichtiges Instrument ist, um die Eskalation wenigstens einzugrenzen - und sucht deshalb händeringend nach Ersatz für die Österreicher.
Das russische Angebot, einzuspringen, mussten die UN ablehnen: Das Waffenstillstandabkommen schließt eine Teilnahme von ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates an der Mission aus. Zwar wollen die Fidschi-Inseln rund 150 Soldaten schicken, doch das ist viel zu wenig, um die ursprünglich rund 1050 Angehörige umfassende UNDOF am Laufen zu halten, zumal die Philippinen ebenfalls über einen Abzug nachdenken.
Die Hisbullah und israelische Ängste
In Israel werden indes immer öfter Zweifel am Sinn dieser Mission geäußert. Die jüngsten Entwicklungen hätten gezeigt, dass man sich nicht allein auf die internationale Gemeinschaft verlassen könne, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu. Und sein Verteidigungsminister Mosche Ja'alon erklärte, es gebe Anzeichen dafür, dass die Regierungstruppen auf der syrischen Seite des Golan die Oberhand gewinnen.
Eigentlich ist es das, was sich Israels Sicherheitsapparat wünscht: Man kennt die Regierung, kann sie einschätzen, anders als die andere Option, also jene, bei der Assad stürzt, und die Rebellen die Regierung bilden. Niemand kann bisher sagen, wie das künftige Syrien dann aussehen würde.
Die größte Befürchtung: Dass dann jenseits der Waffenstillstandslinie bewaffnete Gruppen stehen, die den Menschen im Norden Israels das Leben zur Hölle machen. Denn sicher ist: Die Golanhöhen haben die ursprüngliche Pufferfunktion, um deren Willen sie ursprünglich von Israel besetzt wurden, weitgehend verloren.
Der Gazakrieg im November 2012 hat gezeigt, dass mittlerweile auch kleine Gruppen Zugriff auf große Raketen haben, die Distanzen von Dutzenden Kilometern überwinden können.
Doch auch die Assad-Option hat für Israel reichlich an Reiz verloren, und daran ist Israels Regierung womöglich selbst Schuld: Die angekündigte Vergeltung nach den israelischen Militärschlägen auf syrischem Gebiet ist zwar ausgeblieben, doch Präsident Assad spricht in letzter Zeit immer öfter von der Fortführung des "Widerstandes", ein Wort, dass in der politischen Sprache Syriens auf den Kampf gegen Israel gemünzt ist.
Bislang wurde dies in Israel vor allem als Rhethorik gewertet - bis vor einigen Wochen die Hisbollah in Syrien auf Seiten des Militärs aktiv wurde, und deren Anführer Hassan Nasrallah in die Rhethorik mit einstimmte. Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass dieses Engagement eine Folge der israelischen Militäreinsätze Bomben ins Blaue) ist. Und zeichnen ein Szenarium, in dem die Hisbollah auf der syrischen Seite des Golan präsent bleibt.
Allerdings: Dabei wird wird immer gerne von der Prämisse ausgegangen, dass die Hisbollah komplett auf den Kampf gegen Israel ausgerichtet ist, und die Chance dazu nützen würde, Israel auch von der syrischen Seite aus unter Beschuss zu nehmen.
Offene Diskussion über Einmarsch und die Errichtung einer Sicherheitszone
Die andere Interpretation sieht so aus, dass die Hisbollah vor allem aus der Not heraus in Syrien aktiv wird: Stürzt Assad, fällt damit nicht nur der Hauptunterstützer, sondern auch der Weg aus, auf dem der militärische und finanzielle Nachschub zu der libanesischen Organisation findet, die sich seit einigen Jahren darum bemüht, sich vor allem als politische Kraft im Libanon zu etablieren.
Welches der beiden Szenarien stimmt, lässt sich nicht zufriedenstellend sagen. Tatsache ist allerdings, dass sich der syrische Bürgerkrieg dadurch regionalisiert: Ein militärisches Eingreifen könnte dazu führen, dass Israel auch vom Süd-Libanon aus unter Beschuss gerät - eine Situation, mit der das wirtschaftlich stark angeschlagene Land nur schlecht umgehen könnte.
Was allerdings die militärische Option deshalb nicht unwahrscheinlicher macht: Seitdem die Krise der UNDOF offensichtlich geworden ist, wird in Israel offen über ein Eingreifen diskutiert - einen Einmarsch und die Errichtung einer Sicherheitszone beispielsweise, wie es sie bis 2000 im Südlibanon gegeben hat. Die hohen Verluste, die dies über die Jahre hinweg verursacht hat, scheinen dabei bei manchen in Vergessenheit geraten zu sein.
Man hoffe, eine solche Eskalation verhindern zu können, heißt es bei den Vereinten Nationen, wo man alle Beteiligten zur Zurückhaltung mahnt. Allerdings: Man sei sich auch bewusst, dass die UNDOF in ihrer derzeitigen Form nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Man suche, so der Sprecher, nach Wegen, der Beobachtermission die Mittel an die Hand zu geben, die sie braucht, um die Lage an der Waffenstillstandslinie effizient zu deeskalieren.
Gefunden habe man sie noch nicht.