Der Y-Mann in Syrien

Irak: "Wir sind nicht mit einem Plan dort einmarschiert, sondern mit einer Theorie"

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Die Sonntags-Ausgabe des Guardian nennt es eine Tandem-Strategie: hier die verstärkte militärische Offensive auf Rebellenhochburgen, vor allem Falludscha, dort "diplomatische Bemühungen", um den "Zufluss an Geld und Personal" für die "Aufständischen" aus dem Nachbarland Syrien abzuwürgen. Welche Aktivitäten sich hinter den "diplomatischen Bemühungen" der USA gegenüber Syrien verbergen, bleibt indes noch im Dunkeln; dafür wurde von Geheimdienstquellen ein neuer "Big Man" des irakischen Widerstands bekannt gegeben: Mohammed Yunis al-Ahmed, früher ein ranghohes Mitglied der irakischen Baath-Partei, gegenwärtiger Aufenthaltsort Syrien, Verdacht: Yunis al-Ahmed ist ein wichtiger Strippenzieher des Widerstands im Irak.

Zwischen 20 und 50 ehemalige Parteigrößen der irakischen Baathpartei sollen sich nach Informationen von "westlichen Geheimdiensten" in Syrien versteckt halten und von dort aus den "Guerilla-Krieg" im Nachbarland organisieren. Als Schlüsselfigur wird Mohammed Yunis al-Ahmed, aka "Khadr al-Sabahi" genannt. Viel mehr wurde von dem neuen Big Man bislang nicht bekannt gegeben; bisher tauchte er nur auf US-Fahndungslisten von ehemaligen hochrangigen Mitgliedern des Saddam Hussein-Regimes auf, ohne Foto, ohne nähere Angaben; eine Million Dollar ist zu seiner Ergreifung ausgesetzt.

Ganz offensichtlich soll mit der Bekanntgabe der syrischen "Zellen" der Alt-Baathisten Druck auf Syrien ausgeübt werden; entsprechend wird der Y-Mann, Yunis, als wichtiger Strippenzieher propagiert, der eine noch stärkere Rolle für den irakischen Widerstand spielen soll als der Z-Mann, Zarqawi (vgl. Der Z-Mann), dessen Gruppe Tawid wal Jihad am Wochenende in einer noch unbestätigten Erklärung auf einer Internetseite bekannt gab, dass man sich künftig den Orders des al-Qaida-Chefs Osama Bin Laden unterstellen werde.

Während sich nach Angaben des Guardian die Beweise dafür verdichten, dass sehr viel "destabilisierende Einmischung in irakische Angelegenheiten" von den Nachbarländern kommt, genannt wird neben Syrien und Iran auch Saudi-Arabien, und der Irak als "Hauptschlachtfeld im Kampf gegen den Terrorismus" (Bush) tatsächlich mehr und mehr "Dschahidi-Guerillas" anzuziehen scheint, liefern kritische amerikanischen Medien gegenwärtig immer neue Berichte darüber, wie schlecht die US-Führung auf einen vorhersehbaren Guerillakrieg vorbereitet war.

Eine große Überraschung sind die Erkenntnisse dieser Berichte nicht, es war allzu offenkundig, dass die Koalitionstruppen zwar über eine effiziente Strategie für die im Nachhinein so genannten "Hauptkampfhandlungen" bis zur Einnahme Bagdads im April letzten Jahres hatten, aber keine für die Zeit danach. Dabei, so zeigt dies der Bericht der Iraq Survey Group unter der Leitung des Chefs der Waffeninspektoren, Charles A. Duelfer, hätte man wissen können (unterstellt wird, dass es zumindest der CIA auch wusste), dass schon Saddam Husseins Strategie gegen den übermächtigen Gegner darin bestand, auf Zeit zu setzen und auf einen Partisanenkrieg. Der Ausbruch des Widerstands im Irak war demnach keine "zufällige Konsequenz eines Kriegsplans, der ausgezeichnet funktionierte", wie es Präsident Bush in seinen Reden darstellt, sondern von langer Hand auf lange Sicht vorbereitet, wie es der Duelfer-Bericht nahe legt.

In der Bush-Regierung dachte man offensichtlich kurzfristiger. Für die Zeit nach dem Eroberungsfeldzug hatte man keinen Plan, wie ein ausführlicher und detaillierter Bericht der Knight Ridder demonstriert. Nach Recherchen von Dokumenten und Interviews mit Entscheidungsträgern, die direkt in die Vorbereitung und Durchführung der Operation zur "Befreiung" des Irak involviert waren und es zum Teil noch sind, kommen die amerikanischen Reporter des für seine Unabhängigkeit und Genauigkeit seiner Recherchen berühmten Knight Ridder-Teams zum Ergebnis, dass die US-Regierung ohne jeden "umfassenden Plan zur Sicherung und Wiederaufbau des Landes" Truppen in den Irak einmarschieren ließ, denen, anders als von Generälen gefordert, etwa 100.000 Mann fehlten, um Sicherheit und Ordnung im Land zu gewährleisten und damit eine Basis für den Wiederaufbau zu schaffen.

Noch im März des Jahres 2003, wenige Tage vor Beginn des Kriegs, so verdeutlicht eine Anekdote, hatte man bei einer Präsentation der Kriegsstrategie für die "Phase 4 C", welche für den Wiederaufbau stand, nur ein leeres Blatt mit der Notiz "Wird später geliefert". Zu diesem Zeitpunkt hoffte man noch, dass die meisten US-Soldaten im September 2003 wieder aus dem Irak abziehen könnten. Den damals vorherrschenden Mix an Ignoranz – keiner aus der Regierung interessierte sich für die Pläne für die Zeit danach, die z.B. vom National Intelligence Council des CIA oder von USAID vorgelegt wurden - , Wishful Thinking und Bigger than life- Selbstbewusstsein illustriert der Satz eines Mitarbeiters des Außenministeriums:

Wir marschierten nicht mit einem Plan los. Wir gingen da mit einer Theorie hinein.