Der Zustand der Welt

Arktisches Eis. Bild: USGS

Klima- und Energiewochenschau: Von der weiterhin gefährlichen globalen Klimaerwärmung und der Zwei-Grad-Grenze

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Weil das Thema Klimawandel schon so lange die Medien beherrscht, mal mehr mal weniger, gerät manchmal seine Dringlichkeit in Vergessenheit. Schließlich hat der Spiegel schon vor über 20 Jahren den Kölner Dom im Meer versinken lassen - damals wie heute eine blödsinnige Visualisierung der drohenden Gefahren. Die große Katastrophe ist bisher ausgeblieben.

Dass derlei Wahrnehmung irreführend, sogar fatal irreführend ist, führt uns dieser Tage der neueste Bericht des Washingtoner World Watch Institute vor Augen. Bill Hare vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung entwickelt darin eine radikalisierte Sicht auf das Problem. Mit Berufung auf einen relativ neuen Diskussionsstrang in den Klimawissenschaften, argumentiert Hare, dass zwei Grad globaler Erwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau bereits deutlich zu viel sind. Von der EU und einigen weiteren Staaten wird dieser Wert als gerade noch unbedenklich angesehen, und wurde daher als Messlatte eingeführt, die nicht gerissen werden darf.

Formal völkerrechtlich anerkannt ist diese Zwei-Grad-Grenze allerdings bisher nicht. In der UN-Klimaschutzrahmenkonvention wird nur festgeschrieben, dass die Treibhausgaskonzentrationen auf einem Niveau stabilisiert werden sollen,

auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Ein solches Niveau sollte innerhalb eines Zeitraums erreicht werden, der ausreicht, damit sich die Ökosysteme auf natürliche Weise den Klimaänderungen anpassen können, die Nahrungsmittelerzeugung nicht bedroht wird und die wirtschaftliche Entwicklung auf nachhaltige Weise fortgeführt werden kann.

UNFCCC, Artikel 2

Zwei Gruppen der am stärksten von Klimawandel gefährdeten Entwicklungsländer, nämlich die Gruppe kleiner Inselstaaten AOSIS und die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder, haben daher bereits mehrfach in den Verhandlungen deutlich gemacht, dass sie das Zwei-Grad-Ziel keineswegs für ausreichend halten, diesen Auftrag der 1992 verabschiedeten Rahmenkonvention zu erfüllen.

Bill Hare teilt diese Einschätzung. Schon bei weniger als zwei Grad drohten schwere Ernteschäden im subsaharischen Afrika, enorme Probleme mit der Trinkwasserversorgung in manchen Trockenzonen des Planeten und ein gefährlicher Anstieg des Meeresspiegels. Letzteres ist zum einen die Folge der wärmebedingten Ausdehnung des Meerwassers, die immerhin im Laufe der kommenden Jahrhunderte bei zwei Grad globaler Erwärmung schlimmsten Falls etwas mehr als einen Meter ausmachen könnte (0,4 bis 1,2 Meter verteilt über mehrere Jahrhunderte bei zwei Grad globaler Erwärmung).

Gravierender ist allerdings die Rolle der großen Eisschilde auf Grönland und in der Westantarktis, in denen genug Wasser gespeichert ist, um den globalen Meeresspiegel um durchschnittlich etwa sechs Meter im Falle Grönlands und noch einmal etwa fünf Meter im Falle der Westantarktis ansteigen zu lassen (die Ostantarktis, wo noch deutlich mehr Eis auf Land liegt, wird von den meisten Wissenschaftlern für relativ stabil gehalten).

Hare verweist darauf, dass es für die Eisschilde einen Schwellenwert gibt. Wird dieser überschritten, tauen die Eismassen unaufhaltsam ab, weil sich selbstverstärkende Prozesse in Gang gesetzt wurden. Im Falle Grönlands liegen die von Hare zitierten Abschätzungen für diesen Schwellenwert zwischen 1,9 und 4,6 Grad globaler Erwärmung. Eventuell könnte der unheilvolle Prozess also schon angestoßen werden wenn, die vermeintlich sichere Zwei-Grad-Grenze erreicht wird.

Abweichung der regionalen Jahresmitteltemperatur vom örtlichen Normalwert (Durchschnitt der Jahre 1951 bis 1980) für 2008 links bzw. für den Zeitraum 2001 bis 2007 rechts. Deutlich zu sehen ist, dass 2008 der tropische Pazifik und Teile des Nordpazifiks ungewöhnlich kühl waren. Das war Folge eines so genannten La-Nina-Ereignisses, das 2008 den globalen Durchschnitt, wie Link auf /tp/blogs/2/120557, gedrückt hatte. Interessanter ist aber im Zusammenhang mit der Stabilität des grönländischen Eisschildes, dass sich die hohen nördlichen Breiten, wie seit längerem bekannt und in guter Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Klimamodelle, überdurchschnittlich erwärmen, und dass dieser Trend offensichtlich auch 2008 ungebrochen war. Bild: Nasa GISS

Der US Geological Survey gibt in einer jüngsten Literaturstudie über die Arktis einen leicht höheren Wert an. Doch angesichts der enormen Gefahren, die ein Verlust des grönländischen Eisschildes mit sich bringen würde, macht der von Hare und dem World Watch Institute verfolgte Ansatz Sinn, dass die Menschheit das Klimasystem möglichst weit entfernt von diesen kritischen Schwellenwerten halten sollte.

Bild: USGS

Umso mehr, als sich das Abtauen zwar über mehrere Jahrhunderte hinziehen, aber immer noch sehr rasch von statten gehen würde, gemessen an dem enormen Aufwand, der für Umsiedlungen, Küstenschutz und ähnliches betrieben werden müsste. In der letzten Warmzeit vor etwa 130.000 Jahren ist der Meeresspiegel vermutlich bei vergleichbaren Temperaturen um immerhin 1,6 Meter pro Jahrhundert gestiegen. Zu jener Zeit waren unsere Vorfahren allerdings noch als hochmobile Horden von Jägern und Sammlern unterwegs und haben nicht dichtgedrängt in flachen Deltaregionen des Mekongs, des Nils oder des Brahmaputras gesiedelt oder hinter hohen Deichen auf Land, das schon jetzt unterhalb des Meeresspiegels liegt, wie in Teilen der Niederlande.

Selbst wenn man der pessimistischen Sicht Hares nicht folgen mag, liegt doch für ernsthafte Beobachter die gebotene Eile auf der Hand: Schon jetzt hat sich der Planet im globalen Mittel um fast 0,8 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau erwärmt. Die Messlatte hängt also in Wirklichkeit nicht mehr bei zwei Grad, sondern bei etwas über 1,2 Grad Celsius. Hinzu kommt, dass weitere rund 0,6 Grad Celsius bereits in der Pipeline sind. Umso viel wird sich das träge reagierende Klimasystem noch aufgrund der aktuellen Treibhausgaskonzentration erwärmen, wenn wir heute alle Emissionen einstellen würden und es sich in einigen Jahrzehnten in ein neues Gleichgewicht eingependelt hat.

Bleiben also nur noch 0,8 Grad Celsius Spielraum, oder gar deutlich weniger, wie Hare und andere meinen. Auf jeden Fall aber muss der weitere Anstieg der Emissionen schon in den nächsten zehn Jahren angehalten, und die globalen Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf höchstens 50 Prozent des 1990er Niveaus, wie die große Mehrheit der Klimaforscher meint, oder fast Null, wie Hare und zum Beispiel auch der renommierte US-Klimawissenschaftler Jim Hansen sagen, heruntergefahren werden. Hare und Hansen plädieren für die Zeit nach 2050 für Maßnahmen, die den CO2-Gehalt der Atmosphäre langfristig, als Aufgabe für mehrere Generationen wieder auf da vorindustrielle Niveau absenken.

Verkehr: Korrektur und Aktualisierung

In der letzten Wochenschau (Viel Geld, wenig Zukunft) war die Rede davon, dass die Allianz pro Schiene sich gegen die Privatisierung der Bahn engagieren würde. Das war leider falsch, wie ein Leser anmerkte. In der "Allianz" sind diverse Berufs- und Umweltverbände sowie auch Unternehmen zusammengeschlossen, die sich für eine Förderung des Schienenverkehrs einsetzen. Einige davon befürworten die Bahnprivatisierung. Gegen die Bahnprivatisierung engagieren sich hingegen vor allem die gewerkschaftliche Basisinitiative Bahn von unten und das Bündnis Bahn für alle.

Schiene expandiert, Straße stagniert. Trotzdem fließen wesentlich mehr Subventionen in den Automobilsektor als in die öffentlichen Verkehrssysteme

Bei der Gelegenheit eine Aktualisierung zum Thema Verkehr: Inzwischen hat das statistische Bundesamt die neuesten Zahlen zur Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und des Bahnfernverkehrs herausgegeben. Demnach haben 2008 bundesweit, wie die Berichte aus einigen Ballungszentren bereits erwarten ließen, Fahrgastzahlen und Verkehrsleistung im ÖPNV zugelegt, und zwar um 0,9 bzw. um 1 Prozent. Besonders deutlich ist der Nahverkehr der Bahn mit 3,9 Prozent gewachsen. Insgesamt hätte der ÖPNV vielleicht sogar noch ein bisschen mehr zugelegt, wenn nicht bei den Stadtbahnen die Leistung um 0,4 Prozent zurückgegangen wäre. Das, so heißt es bei den Statistikern, sei vor allem das Ergebnis eines mehrwöchigen Streiks in Berlin. Immerhin 12 Prozent des deutschen ÖPNV-Verkehrs wird nämlich in der Bundeshauptstadt abgewickelt.

Im Schienenfernverkehr nahm die Zahl der Fahrten um 4,5 Prozent und die der Personenkilometer (Fahrgastzahl multipliziert mit der jeweils zurückgelegten Strecke) um 4,3 Prozent zu.