Der alte Todesdrang der Neuen Rechten
Seite 4: Avantgarde der Barbarei
Die Zumutungen, die Anforderungen des Systems steigen, die Gratifikationen fallen weg: Die autoritäre Aggression, die das spätkapitalistische System mit zunehmender Dichte der repressiven Vergesellschaftung ausbrütet, schlägt in der Tendenz in gesellschaftliche Desintegration um, wie Adorno in der "Erziehung nach Auschwitz" prophezeite. Die kapitalistischen Gesellschaften würden, während sie sich immer mehr integrierten, zugleich "Zerfallstendenzen" ausbrüten.
Diese Zerfallstendenzen sind, dicht unter der Oberfläche des geordneten, zivilisatorischen Lebens, äußerst weit fortgeschritten. Der Druck des herrschenden Allgemeinen auf alles Besondere, die einzelnen Menschen und die einzelnen Institutionen, hat eine Tendenz, das Besondere und Einzelne samt seiner Widerstandskraft zu zertrümmern. Mit ihrer Identität und mit ihrer Widerstandskraft büßen die Menschen auch die Qualitäten ein, kraft deren sie es vermöchten, dem sich entgegenzustemmen, was zu irgendeiner Zeit wieder zur Untat lockt.
Theodor W. Adorno
Diese Zerfallstendenzen treten nun offen zutage - gerade die vom Kapital verehrten und "entkernten" Subjekthüllen, die sich in der Neuen Rechten sammeln, sind Träger dieser Bewegung. Geschichte wiederholt sich nämlich nicht: Das, was die rechte Krisenideologie, die von einer Reanimierung der verwesenden völkischen Leichen des frühen 20. Jahrhunderts träumt, reell vorantreibt, ist nicht die nationale Formierung der Gesellschaft, sondern deren soziale Desintegration.
Mögen gerade die Mitglieder der extremen Rechten von einer nationalen Erneuerung eines rassereinen Deutschland träumen, ihre konkrete Praxis erinnert jetzt schon an die Milizbildung in den "failed States" der Zusammenbruchsgebiete des Weltmarktes.
Das von Todessehnsucht getriebene islamistische Racket ist hier auch ganz konkret Vorbild für die unzähligen "Prepper" innerhalb des Staatsapparates, die plötzlich anfangen, die Machtmittel und die Infrastruktur des Staates zu nutzen, um sich auf den Massenmord im Gefolge des gesellschaftlichen Zusammenbruchs vorzubereiten.
Diese rechtsextremen Kreise, die doch nur ihr "Deutschland" zu retten glauben, leisten somit ironischerweise dem Staatszerfall Vorschub, indem sie den Staatsapparat zum Kampffeld von Partikularinteressen machen. Und eben dieser Prozess stand am Anfang des Staatszerfalls in den ökonomisch am Weltmarkt gescheiterten Staaten der Peripherie.
Diese rechtsextremen Seilschaften sind somit ganz konkret Exekutoren der gesellschaftlichen Desintegration, von dem sie beständig im Zuge der Flüchtlingskrise fabulieren. Die Neue Rechte ist nicht mehr in der Lage, "im Gleichschritt zu marschieren", wie es Robert Kurz formulierte. Dominant sind nicht national organisierte Terrortruppen nach dem Vorbild der SA, sondern lokale Netzwerke und Gruppen, die "ihre" Territorien erobern und halten wollen.
Die "Prepper" mit ihrer Abkapslung und ihren Todeslisten, die Nazis, die sich in Ostdeutschland in Wehrdörfern organisieren, um sich separatistischen Spinnereien hinzugeben - sie sind Avantgarde der objektiv aus der kapitalistischen Systemkrise entsprungenen gesellschaftlichen Zerfallstendenzen.
Während die Klimakrise geleugnet und nach Kräften weiter angeheizt wird, bereitet sich die Neue Rechte auf den molekularen Bürgerkrieg vor, den sie beim nächsten Krisenschub entfachen will. Deutschlands Nazi-Rackets wollen somit das realisieren, was die islamistischen Zusammenbruchsmilizen in der Peripherie des Weltmarktes schon längst praktizieren.
Es ist, als ob die extreme Rechte die postapokalyptischen Produkte der Kulturindustrie für bare Münze nehmen würde, als ob man im Mecklenburg-Vorpommern oder im Erzgebirge als Mad Max zu sich selbst kommen möchte. Während der Verwertungszwang des Kapitals die Welt buchstäblich verbrennt, greift eine faschistische Milizlogik in der Neuen Rechten um sich, die Massenmord an politischen Gegnern mit der Eroberung lokaler Enklaven kombiniert, um so die Bühne zu bereiten für einen apokalyptischen molekularen Bürgerkrieg.
Objektiv verkommen die Akteure dieser rechtsextremen Szene zur Avantgarde der Barbarei, die dem Krisenprozess innewohnt.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.