Der alte Todesdrang der Neuen Rechten
- Der alte Todesdrang der Neuen Rechten
- Klimakrise als faschistisches "reinigendes Hitzegewitter"
- Das Unbehagen am Kapitalismus
- Avantgarde der Barbarei
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Wie der Zivilisationsprozess in der sozioökologischen Krise des Spätkapitalismus in rechte Barbarei umzukippen droht. Kleine Psychopathologie der Neuen Rechten
Die Schicksalsfrage der Menschenart scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden. In diesem Bezug verdient vielleicht gerade die gegenwärtige Zeit ein besonderes Interesse. Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkräfte so weit gebracht, daß(!) sie es mit deren Hilfe leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie wissen das, daher ein gut Stück ihrer gegenwärtigen Unruhe, ihres Unglücks, ihrer Angststimmung.
Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur
Wer Menschheit sagt, der will betrügen.
Carl Schmitt, 1932, Der Begriff des Politischen
Die Effizienz kapitalistischer Vergesellschaftung, derer sich deren Apologeten rühmen, stellt eine bloße Oberflächenerscheinung dar. Im Kern ist das System irrational, widersprüchlich und hochgradig instabil. Der irrationale, fetischistische Selbstzweck der kapitalistischen Produktionsweise, die blinde und uferlose Akkumulation in der Warenproduktion verwerteter abstrakter Arbeit, wird nur mit rationalen, immer weiter perfektionierten Methoden vorangetrieben.
Irrationaler Verwertungszwang
An der konkreten Oberfläche der Gesellschaft scheint alles im Sinne der funktionellen kapitalistischen Rationalität geregelt zu sein, doch in ihrem real-abstrakten Inneren wird die Mehrwertmaschine durch einen irrationalen Verwertungszwang befeuert.
Diese immer weiter perfektionierte, kalte Effizienz der scheinrationalen kapitalistischen Warenproduktion, die der irrationalen Dynamik des Akkumulationsprozesses des Kapitals unterworfen ist, treibt in einem historischen Prozess auch dessen innere Widersprüche auf die Spitze. Dem Kapital als realabstraktes, nicht konkret greifbaren gesellschaftliches Produktionsverhältnis dient die konkrete Welt - Mensch, Natur, Maschinerie - als Material zur besagten tautologischen Selbstvermehrung durch Lohnarbeit.
Aus Geld soll mehr Geld werden, das wiederum noch mehr Geld produzieren soll - wobei das "Mehr" letztendlich nur durch Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in der Warenproduktion akkumuliert werden kann. Die fetischistische Realabstraktion Kapital verheizt in einem tautologischen, uferlosen Verwertungsprozess konkrete Menschen, Rohstoffe und Energieträger als bloßen Rohstoff, um immer größere Quanta abstrakter Arbeit zu akkumulieren.
Doch zugleich untergräbt dieser durch Marktkonkurrenz durchgesetzte Zwang zur Rationalisierung und Automatisierung der Warenproduktion deren irrationalen Selbstzweck, indem er die Masse verausgabter Lohnarbeit immer weiter abschmelzen lässt. Die Folge ist das Aufkommen einer ökonomisch überflüssigen Menschheit, insbesondere in den unterlegenen Zusammenbruchgsebieten der Peripherie, in den "Failed States", die die Ursprungsregionen der gegenwärtigen Flüchtlingskrise bilden.
Dieser derzeit zur historischen Reife gelangende innere Widerspruch des Kapitals (sein Drang zur "Entsubstanzialisierung"), der die innere Ursache der gegenwärtigen ökologischen wie ökonomischen Krisen bildet, lässt die dem System innewohnenden destruktiven und barbarischen Momente, die in Zeiten relativer Stabilität und Prosperität latent bleiben, offen zutage treten: Der Destruktionsdrang des Kapitals als unkontrollierbare fetischistische Dynamik, seine Flucht in Selbst- und Weltzerstörung, wird in der gegenwärtigen Krise manifest. Dies nicht nur in ökonomischer, sondern - vor dem Hintergrund der Klimakrise - vor allem in ökologischer Hinsicht.
Die konkrete Welt dient dem Kapital als bloßes Material, um in einem effizient organisierten Verwertungsprozess diese buchstäblich zu verheizen, damit der wesenseigene Wachstumszwang möglichst lange bei zunehmenden ökonomischen und ökologischen Friktionen aufrechterhalten werden kann.
Die Welt mag buchstäblich verbrennen und unbewohnbar werden, Generationen mögen in den Burnout getrieben werden, ganze Regionen mögen ökonomisch kollabieren, doch das Geld, das zu mehr Geld werden muss, ist als unkontrollierbare gesamtgesellschaftliche Dynamik diesen eskalierenden Krisenprozessen gegenüber blind. Es wird - allen Klimagipfeln zum Trotz - damit bis zur Weltzerstörung fortfahren, sollte es nicht bewusst emanzipatorisch überwunden werden.
Ein Überleben der Gattung Mensch ist nur jenseits des kapitalistischen Wachstumswahns denkbar, der letztendlich ein globales System effizienter Ressourcenvernichtung errichtet hat. Das Festhalten am Bestehenden, das im Zerfall begriffen ist, kommt somit einem Suizid nahe, einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod des Kapitals.
Globale "Selbstmordsekte"
Nicht nur die "Nebenwirkungen" der "Entäußerungsbewegung" des realabstrakten Kapitals sind ökologisch und sozial verheerend, gerade der leere Selbstzweck des Kapitals treibt mit zunehmender Produktivität die konkrete Welt in den sozialen wie ökologischen Kollaps, wie der Krisentheoretiker Robert Kurz ausführte. Dem individuellen Amoklauf auf der Mikro-Ebene entspreche die Gesamtbewegung der widerspruchsgetriebenen Krisendynamik:1
Wenn jedoch der Verwertungsprozess an Grenzen stößt, wenn die realmetaphysische "Entäußerungs"-Bewegung nicht mehr gelingt und in der realen Welt kein regulärer Aggregatzustand des Kapitals mehr dargestellt werden kann, erscheinen die realen physischen und sozialen Gegenstände als lästige, ja feindliche Umwelt für diese Realmetaphysik. Nicht der leere Selbstzweck des Kapitals, sondern die Welt soll verschwinden, nämlich sich endgültig in das "leere Prinzip" auflösen. Mit anderen Worten: Dieselbe Logik, die sich der Ebene von individuellen Amokläufern im Mikro-Bereich äußert, lauert auch auf der Makro-Ebene des Gesamtverhältnisses. Kapitalismus ist nicht nur ein schleichendes Weltvernichtungsprogramm durch seine Nebenwirkungen, sondern läuft auf eine finale Vernichtung und Selbstvernichtung durch seine eigenen Institutionen zu. Der subjektlose Vernichtungswille im leeren Zentrum des Kapitalverhältnisses, der sich auf verschiedenen Ebenen in das Zerstörungshandeln von individuellen und institutionellen Subjekten übersetzt, hat sich schon in der Vergangenheit periodisch in den kapitalistischen Gesellschafts- und Weltkatastrophen entladen. Da in der dritten industriellen Revolution die "Entäußerung" der Wertabstraktion in die reale Welt endgültig an ihre Grenzen stößt, wird zwangsläufig das Weltvernichtungsprogramm ebenso final abgerufen.
Robert Kurz
Der oberflächliche Augenschein, die Reproduktion der spätkapitalistischen Gesellschaften erfolge gemäß rationeller Macht-, Klassen- oder Herrschaftsinteressen, trügt folglich gewaltig. Die Gesellschaft ist unter dem Kapital nur ein rationell organisiertes Mittel, das einen tautologischen, irrationalen Zweck höchstmöglicher Kapitalakkumulation perpetuiert, der - blind gegenüber allen sozialen und ökologischen Folgen seiner Verwertungsdynamik - den Spätkapitalismus immer als eine Form finsterer säkularisierter Religion als eine Art globaler "Selbstmordsekte" (Robert Kurz) erscheinen lässt.
Der dem Kapital latent innewohnende, in seiner letalen Krise manifest zutage tretende Todestrieb will die Welt ins Nichts überführen, in die gähnende Leere, die die konkrete Substanz der Realabstraktion Wert bildet. Es ist ein subjektloser Nihilismus, der sich krisenbedingt entfaltet: Die Welt soll dem schwarzen Auge der Wertform gleichgemacht werden, das sich im Zentrum des die Welt seit rund 300 Jahren verheerenden Wirbelsturms uferloser Akkumulation toter Lohnarbeit befindet.
Alles, was nicht in die Warenform gepresst und durch Verkauf auf dem Markt verwertet werden kann, wird folglich in Krisenzeiten eher der Vernichtung anheimgegeben, als dass der Zugriff der Weltwertungsmaschine auf Mensch und Natur gelockert würde. Die Vernichtung unverkäuflicher Waren in Krisenzeiten, von Autos, Statussymbolen, bis zu Lebensmitteln, die inzwischen immer öfter auch durch entsprechende rechtliche Regelungen dem Zugriff verarmter Menschen entzogen werden (etwa durch Gesetze gegen das "Containern"), bildet nur den offensichtlichen Ausfluss dieses Selbstvernichtungsdranges.
Hinzu kommt die soziale, in der Tendenz auch physische Vernichtung all jener anwachsenden Menschenmassen, insbesondere in der Peripherie des Weltsystems, die ökonomisch überflüssig sind - und die aus den Zusammenbruchgebieten des Weltmarktes in die Zentren zu fliehen versuchen.
Die dem System innewohnende, durch eskalierende innere Widersprüche angefachte Tendenz zur Selbstzerstörung manifestiert sich inzwischen auf allen Ebenen im Überbau der Wertvergesellschaftung - vom individuellen Amoklauf bis zum abermals drohenden globalen Weltenbrand. Es sind blinde Gewaltausbrüche, in denen der systemische Zug in die Autodestruktion sich manifestiert, wobei die Täter oftmals in der Grauzone zwischen rechten oder islamistischen Extremismus und manifester psychischer Erkrankung verfangen sind.
Unterm Kapital ist eher das Ende der Menschheit denkbar als das Ende des Kapitals. Die spätkapitalistische Kulturindustrie schwitzt die unbewusste Ahnung der binnenkapitalistisch unlösbaren, sozioökologischen Krisendynamik in einer Flut apokalyptischer Unterhaltungswaren aus, die nicht nur die Filmproduktion, sondern vor allem das Computerspiel als dem technisch avanciertesten Produkt fest dominieren - die Postapokalypse als Setting des Computerspiels ist längst zum Standard geworden.
Neue Rechte: Selbstvernichtung als politisches Programm
Im Folgenden soll argumentiert werden, dass mit der Neuen Rechten sich derzeit in den meisten kapitalistischen Kernländern eine politische Strömung etabliert, die diese krisenbedingte Tendenz des Spätkapitalismus zur Selbstvernichtung zu ihrem politischen Programm erhoben hat. Es ist ein Extremismus der Mitte, der seine Dynamik, seinen evidenten Erfolg der Überführung der eskalierenden sozialen Widersprüche in potenziell genozidale Ideologie verdankt.
Der dem System aufgrund seiner zunehmenden inneren Widersprüche objektiv innewohnende Selbstzerstörungsdrang, er findet somit in Krisenzeiten ideologisch verblendete Subjekte, die ihn im "Überbau" der spätkapitalistischen Gesellschaften vollziehen, ihn in politische Taten "umsetzen".
Das Festhalten am bestehenden Wachstumswahn ist angesichts der ökologischen Weltkrise einfach irre. Diese manifest werdende Irrationalität des Systems, der evidente Drang in die Selbstvernichtung, sie spülen auch das entsprechende Politpersonal nach oben. Schon der erste Augenschein auf die politische Borderliner wie Donald Trump, wie Bolsonaro, Duterte, Strache, Kaczynski, Orbán oder einem Großteil der AfD-Spitze lässt den um sich greifenden gesellschaftlichen Wahn erahnen, der sie trägt. Sie wirken wie gemeingefährliche Clowns, die einem Horrorfilm entsprungen sein könnten.
Die Rechte ist somit das von einer unbewussten Todeslust getriebene politische Subjekt, das unter Aufbietung von Krisenideologie diesen systemischen Weltvernichtungsdrang des Kapitals zu exekutieren bestrebt ist - diese These soll in den kommenden Ausführungen begründet werden. Die Rechte propagiert ein Festhalten am falschen Bestehenden, das krisenbedingt in Auflösung befindlich ist - auch um den Preis des Todes, der Weltvernichtung.
Der besagte Begriff des Extremismus der Mitte, der den durchschlagenden Erfolg der konformistischen Revolte des Faschismus in Krisenzeiten erhellt, kommt zu sich selbst, er tritt offen zutage: Das Verharren im Bestehenden, der Versuch, trotz Klimakrise an Ideologie und Praxis des fossilen Kapitalismus festzuhalten, er führt aus der Systemlogik heraus in die Barbarei, letztendlich in die Selbstvernichtung.
Überall, wo sie an die Macht kommen, setzten Rechtspopulisten und Rechtsextremisten alle Hebel in Bewegung, um die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen der Menschheit zu beschleunigen, das Bewusstsein über die Klimakrise zu verwirren und jedwede sinnvollen klimapolitischen Maßnahmen zu torpedieren.
In den USA führt die Trump-Administration einen regelrechten Kleinkrieg gegen die Klimawissenschaft. Brasiliens Rechtsextremist Bolsonaro geht gerade daran, den Amazonas zu vernichten, der als die grüne Lunge der Welt unersetzlich ist für die globale Klimastabilität - und das Fortbestehen der menschlichen Zivilisation. Ohne Untertreibung kann konstatiert werden, dass das Bolsonaro-Regime hier de facto einen ökologischen Vernichtungsfeldzug gegen die Menschheit führt.
In Europa sind es ebenfalls Akteure der Neuen Rechten, die den Klimakollaps vorantreiben. Schon bei ihrem Wahlsieg kündigten Polens Rechtspopulisten an, Initiativen zum Klimaschutz auf europäischer Ebene zu torpedieren - dies in inoffizieller Kooperation mit der industriehörigen Merkel-Regierung.
Die Neue Rechte mag sich zwar der üblichen ideologischen Rationalisierungen bedienen, mit denen die Klimazerstörung legitimiert wird, doch glaubt angesichts der offensichtlichen klimatischen Verwerfungen, der atemraubenden Dynamik des Klimaumschwungs, kaum noch jemand wirklich an diese Parolen. Alle bösartige, binnenkapitalistische Scheinrationalität ("Unser Land zuerst!", "Die Wirtschaft muss brummen!", "Rettet die Arbeitsplätze!", "Grenzen dicht!", "Ausländer raus!"), derer sich Rechtspopulisten und Rechtsextremisten gerne bedienen, fungiert somit nur als ideologische Verkleidung des unbewusst wirkenden irrationalen Aggressions- und Todesdrangs, der in diesem Milieu um sich greift.
Und es sind geradezu die krisenbedingt zunehmenden Widersprüche der kapitalistischen Vergesellschaftung, die in all jenen autoritär fixierten Individuen den unbewussten Todesdrang aufkommen lassen, die sich ein Auflehnen gegen die im Sterben lebende Welt nicht vorstellen können.
Manchmal tritt dieser dunkle, unbewusste Todesdrang der neuen Rechten grell zutage - etwa 2018 beim sogenannten Sommerinterview des ZDF mit dem AfD-Führer Alexander Gauland. Als er auf den Klimawandel angesprochen wurde, erklärte der AfDler, dass dieser nicht menschengemacht sei - und man folglich hier "keine Lösungsvorschläge bringen" könne, da es schon immer Heißzeiten und Eiszeiten gegeben habe. Außerdem könne die Bundesrepublik da ohnehin nicht viel tun: "Wenn Sie sich Deutschland anschauen, dann sind wir für zwei Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich."
Der Schutz von Menschen vor dem Klimawandel sei folglich "nicht machbar", so der AfDler wörtlich. Was Gauland seinen "Volksgenossen" angesichts der Klimakrise somit de facto ans braune Herz legt, ist die Resignation, es ist letztendlich die für den Faschismus charakteristische Hingabe an den Tod. Wie sehr muss man "sein" Land insgeheim hassen, um so etwas zu wollen? Die Neue Rechte muss in den Menschen alle Hoffnung zerstören, die drohende Barbarei abzuwenden, um sie zur barbarischen Enthemmung zu konditionieren.
Allein schon der stumpfe Drang zur Regression in den nationalen Mief des 19. und 20. Jahrhunderts, der charakteristisch ist für die geistigen Absonderungen der Neuen Rechten, ist angesichts der globalen Klimakrise nur noch irre.
Diese Absurdität der von Todessehnsucht angetriebenen Ideologie der Neuen Rechten, die einerseits die anachronistische Rückkehr zur Nation propagiert, um dann jegliche wirksamen Klimaschutzmaßnahmen gerade unter Verweis auf die beschränkten Mittel nationaler Politik zu verwerfen, fällt auch kaum einem jener Journalisten und Meinungsmacher mehr auf, die verschiedentlich ein kumpelhaftes Verhältnis zu ihren rechten Partygästen pflegen.
Letztendlich sollen Resignation und Apathie angesichts der ungeheuren Dynamik des Klimawandels geschürt werden, um die Menschen zur Hinnahme des im Zerfall befindlichen Bestehenden, der krisenbedingten Faschisierung, der sich abzeichnenden Barbarei in einer buchstäblich aus den Fugen geratenen Welt zu bringen. Der drohende, genozidale Krieg gegen die künftigen Klimaflüchtlinge des globalen Südens, er kann von der Neuen Rechten des globalen Nordens nur dann durchgesetzt werden, wenn jede Hoffnung auf ein Abwenden der Klimakatastrophe von ihr zerstört wurde.
Es ist ein üblicher ideologischer Umbruch, ein dialektischer Umschlag, der sich hier abzeichnet. Die verbissene Leugnung des Klimawandels geht in Fatalismus und die Bereitschaft zum molekularen Bürgerkrieg, zum Kampf gegen alles "Artfremde" über: heute sind es die "Wirtschafts-", morgen die Klimaflüchtlinge.