Die subjektlose Herrschaft des Kapitals
- Die subjektlose Herrschaft des Kapitals
- Fetischismus: Die Selbstbewegung des Kapitals
- Die Frage von Schuld und Verantwortung im Kapitalismus
- Klassenkampf als Verteilungskampf
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Wer trägt die Schuld an den zunehmenden Widersprüchen und Verwerfungen spätkapitalistischer Gesellschaften - und was kann dagegen getan werden?
Wer herrscht im Kapitalismus? Der erste Augenschein scheint das zu bestätigen, was zumeist den Grundbestandteil linker Theoriebemühungen oder Ideologie bildet: Es ist die Klasse der Kapitalisten, der Besitzer von Produktionsmitteln, die die Fäden der Macht in der Hand zu halten scheint - und somit den gegenwärtigen Zustand des kapitalistischen Weltsystems zu verantworten hat.
Bisher im Rahmen der Serie "Die Krise des Kapitals" erschienen:
Die Ursprünge der Krise
Diese Schlussfolgerung erscheint auch erst mal berechtigt angesichts der absurden sozialen Spaltung zwischen Arm und Reich, zwischen der Masse der Lohnabhängigen und den "Happy Few" der Milliardärskaste, die durch die neoliberale Wirtschafts- und Finanzpolitik der vergangenen Dekaden immer weiter forciert wurde.
Die Daten zu der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich wirken nur noch bizarr: Inzwischen besitzen die 26 reichsten Milliardäre Vermögen in einem Nennwert, der den Habseligkeiten der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung entspricht - das sind rund 3,8 Milliarden Menschen. In den USA sind es die vermögendsten 20 Superreichen, deren Vermögenswerte dem Hab und Gut der verarmten Bevölkerungshälfte entsprechen.
In der Bundesrepublik wiederum liegt diese Relation zwischen Milliardären und Mittellosen bei 45 zu 41 Millionen. 45 Megareiche Kapitalisten besitzen genauso viel wie die untere Hälfte der Bevölkerung, wobei die Spaltung bei den Einkommen in der Bundesrepublik inzwischen sogar stärker ausgeprägt ist als in den Vereinigten Staaten.
Diese Spaltung der spätkapitalistischen Gesellschaften mitsamt der Herausbildung einer weitgehend abgekapselten Kaste von Milliardären geht mit einer verstärkten, immer offener praktizierten Durchsetzung von Interessen der Kapitalistenklasse einher. Dieser erfolgreiche Lobbyismus schlug sich nicht zuletzt in der Finanz- und Steuerpolitik der letzten Dekaden nieder, die nahezu ausschließlich die Superreichen und die Großkonzerne begünstigte.
US-Milliardäre wie die berüchtigten Koch-Brüder finanzieren eine regelrechte Politmaschine, die ihre reaktionären Interessen in Washington in Gesetzesform bringt. Inzwischen wird darüber debattiert, ob die USA nicht zu einer Oligarchie verkommen sind, die durch wenige Milliardäre dominiert wird.
In der Bundesrepublik hingegen lassen schon mal die BMW-Milliardäre aus dem berüchtigten Quandt-Klan der CDU direkt Spenden zukommen, bevor die Bundesregierung mal wieder CO2-Grenzwerte zugunsten der deutschen Autoindustrie aushöhlt. Hinzu kommt - mit dem Aufstieg der Neuen Rechten - die direkte Finanzierung von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten durch Milliardäre, wie etwa im Fall von US-Präsident Trump und der deutschen AfD.
Dasselbe gilt für die Untätigkeit der Politik angesichts der eskalierenden Klimakrise. Die entsprechenden Lobbygruppen der fossilen kapitalistischen Wirtschaft haben erfolgreich jedwede ernsthafte Maßnahme zur Bekämpfung des Treibhauseffekts über Jahrzehnte mit Millionenbeträgen torpediert - sowohl in den USA als auch in Deutschland.
Kapitalisten, Klassenkampf und Krise
Angesichts dieser informellen Machtfülle der Kapitalistenklasse, die ihre wirtschaftlichen Interessen mühelos durch ihre Lobbymaschinen in Gesetzesform gießen kann, scheinen sich insbesondere der Linken die Ursachen der gegenwärtigen Krise klar abzuzeichnen: Es ist die zunehmende sozioökonomische Spaltung der Gesellschaft, die gerade durch die anscheinend hinter den Kulissen herrschende Klasse der Milliardäre, der Kapitalisten, verursacht wurde. Die grenzenlose Gier oder der unersättliche Machthunger der Kapitalistenklasse führte den Kapitalismus in die Krise.
Ähnlich scheint es sich mit der ökologischen Krise zu verhalten: Die Gier der Konzernbosse der Öl- und Autoindustrie, ihr Einfluss auf die Politik, scheint dafür verantwortlich zu sein, dass der Klimawandel allen Sonntagsreden zum Trotz durch beständig steigende CO2-Emissionen weiter angefacht wird.
Die ökonomische Stagnation, der jahrzehntelange soziale Abstieg großer Teile der Bevölkerung in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems, sie erscheinen als eine Folge der Politik der Klasse der Superreichen, die einen regelrechten Klassenkrieg gegen die arbeitende Bevölkerung führe, wie es etwa der Milliardär und Spekulant Warren Buffet formulierte:
There’s class warfare, all right, … but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.
Warren Buffet
Für gewöhnlich wird der Beginn dieses "Klassenkrieges" in der neoliberalen Wende der 1980er Jahre verortet, die - nach dem blutigen Vorspiel 1973 in Chile - zuerst in den USA und in Großbritannien von Ronald Reagan und Margret ("There is no such thing as Society") Thatcher durchgesetzt wurde.
Inzwischen haben die Verelendungsschübe nach dem Platzen der Immobilienblasen 2008, die etwa die US-Mittelklasse verheerten, auch zur Formierung einer starken, klassenkämpferischen Linken beigetragen. Diese sozialistische Linke ist insbesondere in Großbritannien und den USA inzwischen stark genug, um die Option einer linken Regierung in den Bereich des Möglichen rücken zu lassen - auch wenn dieser "Linksruck" im angelsächsischen Raum weiterhin unbeständig und prekär ist und von reaktionären und antisemitischen Momenten überschattet wird.
Der Hetze gegen Minderheiten, die die Neue Rechte nach dem Krisenschub 2008 forcierte, wird von der Linken in den USA und Großbritannien die Option des Klassenkampfes entgegengestellt, bei dem der von den Superreichen geführte Klassenkrieg nun auch den von "Unten", von den Lohnabhängigen bewusst - vermittels politischer Mobilisierung - beantwortet würde. Die Klimakrise soll wiederum durch ein massives keynesianisches Investitionsprogramm, durch den Green New Deal, überwunden werden.
Politiker wie Jeremy Corbyn, Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez plädieren somit für eine Umverteilung von Oben nach Unten, für eine strikte Besteuerung großer Vermögen und für eine Beschneidung der informellen politischen Machtfülle der Superreichen, um vermittels großer Investitionsprogramme den Kapitalismus aus seiner ökologischen wie ökonomischen Krise zu führen.
Angesichts dieser Renaissance eines linken Klassenkampfes, die auch Frankreich erfassen könnte, scheint sich somit möglicherweise ein fortschrittliches Gegengewicht zur reaktionären Welle der Neuen Rechten zu formieren.
Ein falscher Ansatz und eine falsche Prämisse
Und dennoch handelt es sich bei diesem Erklärungsansatz des Krisengeschehens, der in der Dichotomie von Proletariat und Bourgeoisie verbleibt, um ein verzerrtes Bewusstsein, das letztendlich nicht radikal genug ist, um den Krisenprozess adäquat zu erfassen. Die Krise ist mehr als die Summe des krisenbedingt eskalierenden Klassenkampfes. Die Prämisse, die dem altlinken Klassenkampfdenken innewohnt, wonach es eine Gruppe von Menschen gebe, die die gesellschaftliche Reproduktion bewusst kontrollierten, ist falsch.
Die Realität kapitalistischer Krisenentfaltung ist viel erschreckender als alle Schreckgespenster einer hinter den Kulissen des Politbetriebes ablaufenden, allmächtigen Herrschaft von superreichen Generalbösewichten - so abstoßend und verwerflich die einzelnen egomanischen Akteure in diesen exklusiven Zirkeln auch agieren mögen.
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