Der amerikanisch-britische Stützpunkt Diego Garcia verstößt gegen das Völkerrecht
Nach einer rechtlich nicht bindenden Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs muss Großbritannien die Chagos-Inseln mitsamt Diego Garcia Mauritius zurückgeben
Die Chagos-Inseln im Indischen Ozean sind den meisten wahrscheinlich nur deswegen bekannt, weil das einzige bewohnte Atoll Diego Garcia ist. Bewohnt suggeriert, dass hier Einheimische leben könnten, aber auf dem Atoll mit einer Landfläche von 27 Quadratkilometer leben neben wenigen britischen Soldaten nur ein paar tausend amerikanische Soldaten und Pentagon - sowie Geheimdienst-Mitarbeiter auf einem US-Stützpunkt mit einem Militärflugplatz und einem kleineren Hafen, der geostrategisch wegen seiner Lage zwischen Afrika und Australien sowie der arabischen Halbinsel, Indien, Vietnam, Myanmar und Malaysia wichtig ist.
Diego Garcia war ein wichtiger Stützpunkt für den Afghanistan- und die Irakkriege und dient als Stützpunkt für Operationen im Indischen Ozean und Persischen Golf. 70 Prozent der Öltransporte und die Hälfte des Containerschiffsverkehrs gehen durch den Indischen Ozean. Jetzt ist der Stützpunkt vor allem wichtig im Konflikt mit dem Iran, wo die US-Regierung ebenso wie in Venezuela einen Regime Change betreibt, der möglicherweise in einen militärischen Konflikt münden kann. Auch für China und Nordkorea ist Diego Garcia für das US-Militär bedeutsam.
Die USA haben den Stützpunkt allerdings von Großbritannien nur gepachtet, das sich die Chagos-Inseln wegen seiner strategischen Lage 1965, kurz vor der Unabhängigkeit der britischen Kolonie Mauritius 1968, gesichert hatte. Die Briten hatten bereits einen Luftstützpunkt auf Diego Garcia eingerichtet und kauften von ihrer Kolonie die Atollgruppe, die dann zum British Indian Ocean Territory (BIOT) erklärt wurde. Im Hintergrund standen bereits die USA, die hier ebenfalls einen Stützpunkt einrichten wollten. Es kam zu einem Vertrag, der den USA die Nutzung bis 2016 garantiert hatte und dann auf 2036 verlängert wurde.
Auf Diego Garcia gab es zwar keine Ureinwohner, aber die dort teils seit Generationen lebenden Menschen, die Chagossianer, wurden zwangsweise umgesiedelt, um ungestört den Marine- und Luftwaffenstützpunkt aufzubauen, auf dem Langstreckenbomber, Atomwaffen, U-Boote, Kampfflugzeuge und -schiffe etc. stationiert sind und der als logistische Basis dient. Auch Flugzeugträger können den Hafen nutzen.
Auf Diego Garcia gab es nach dem Beginn des Afghanistankriegs auch ein Geheimgefängnis, in dem 2002 und 2003 des Terrorismus verdächtige Personen im Rahmen des Rendition-Programms der CIA festgehalten, verhört und gefoltert wurden. Großbritannien kam deswegen unter Druck, da die damalige Regierung abstritt, an dem Programm beteiligt gewesen zu sein, obwohl sich herausstellte, dass das Geheimgefängnis in Kooperation mit UK betrieben wurde.
Schon 1998 klagten die Chagossianer, eine Gruppe lebt auch in Großbritannien, um für die Vertreibung entschädigt zu werden und wieder auf Diego Garcia zurückkehren zu können. Der High Court of Justice urteilte, dass die Vertreibung illegal war. Die britische Regierung schritt dagegen ein, es entwickelte sich ein langer Rechtsstreit. Eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte blieb erfolglos.
Die Chagossianer zogen 2010 vor den Ständigen Schiedshof in Den Haag, schließlich verabschiedete die UN-Vollversammlung mehrheitlich die Resolution 71/292, mit der der Internationale Gerichtshof zu einem beratenden Urteil (advisory opinion) beauftragt wurde, um zu klären, ob nach mehreren Resolutionen völkerrechtlich die Dekolonialisierung und die weitere britische Verwaltung sowie die Verhinderung einer Wiederansiedlung legal waren bzw. sind. Erwartungsgemäß hatten Großbritannien und die USA, aber auch Australien, Neuseeland und Frankreich dagegen gestimmt, die meisten EU-Länder, auch Deutschland, enthielten sich der Stimme. Der Weg über die Vollversammlung war notwendig, weil Großbritannien und die USA eine für sie negative Entscheidung mit einem Veto verhindert hätten.
Großbritannien muss völkerrechtlich die Inseln so schnell wie möglich zurückgeben
Gestern verkündete der Internationale Gerichtshof seine Entscheidung, die mehrheitlich 13:1 zustandekam, nur der britische Richter stimmte dagegen. Danach ist die Annexion der Chagos-Inseln völkerrechtlich illegal. Die britische Regierung wird aufgefordert, die Inseln schnell wieder an Mauritius zurückzugeben. Grundlegend dabei ist das unveräußerliche Recht der Menschen auf Souveränität und die Integrität ihres nationalen Territoriums und die UN-Erklärung zur Unabhängigkeit von Kolonien aus dem Jahr 1960, nach der jeder Versuch der Störung der nationalen Einheit mit den UN-Prinzipien unvereinbar ist. 1965 gab es auch eine entsprechende Resolution in Bezug auf Mauritius. Die Abtrennung des Archipels habe nur eine neue Kolonie geschaffen.
Die Meinung ist rechtlich nicht bindend. Zu erwarten ist, dass Großbritannien und die USA den geostrategisch wichtigen Stützpunkt nicht wegen völkerrechtlicher Verletzungen räumen werden, aber sie werden unter Druck geraten und möglicherweise versuchen, ein neues Abkommen mit Mauritius auszuhandeln. Die Isolation dürfte dabei verloren gehen, denn die Rückkehr der einstigen Bewohner und /oder ihrer Nachkommen müsste wohl ebenso gewährleistet sein wie deren Rechte auf Land, auf Fischen oder Suche nach Bodenschätzen auf den Atollen und im Meer. Und da die Chagos-Inseln wegen des Stützpunkts weitgehend eine intakte Natur aufweisen, könnten sie auch für den Tourismus interessant werden.
Das britische Außenministerium machte schon einmal Widerstand deutlich. Die Meinung sei kein Urteil. Man werde sie sich genau ansehen, aber sie sei rechtlich nicht verbindlich. Und der Stützpunkt auf dem British Indian Ocean Territory sei notwendig, um "die Menschen in Großbritannien und auf der ganzen Welt von terroristischen Bedrohungen, organisierter Kriminalität und Piraterie zu schützen". Nicht nur Großbritannien, sondern die ganze Welt wird also auf Diego Garcias verteidigt. Da soll Mauritius nichts zu sagen haben.
Auf Mauritius wurde die Entscheidung des Gerichts als "historisch" gefeiert. Pravind Jugnauth, der Ministerpräsident von Mauritius, gab der Hoffnung Ausdruck, dass Großbritannien, "das immer seinen Respekt für internationale Institutionen gezollt hat", die Entscheidung anerkenne und die "Dekolonialisierung von Mauritius schnellstmöglich" umsetze. Es sei höchste Zeit, die letzte Kolonie Afrikas zu beenden. Dazu müsse von Großbritannien und der USA anerkannt werden, dass Mauritius die Souveränität über die Inseln habe. Der Stützpunkt müsse aber nicht aufgelöst werden, die Amerikaner müssten nur anerkennen, dass die Inseln Mauritius gehören.
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