Der braune Spuk von Strasbourg
Rechtsextreme Parteien gründen heute im Europäischen Parlament eine Fraktion
Corneliu Vadim Tudor ist für seine Auftritte berüchtigt. Als Rumäniens Präsident Traian Basescu bei einer Parlamentssitzung in Bukarest Mitte Dezember gegen das "kriminelle und illegitime Regime" während des Sozialismus wetterte, hielt der Chef der rechtsextremen "Großrumänenpartei" (PRM) aus Protest ein Transparent mit einem Bild Basescus hinter Gittern hoch. Dass der Rechtsextremist die sozialistischen Regierungen verteidigt, zählt zu einem der vielen Paradoxa einer neuen Rechten, die sich in ganz Europa formiert - und die zugleich gegen die Europäische Union zu Felde zieht. Gestern haben sich Rechtskonservative, Rechtsextremisten und Neofaschisten im EU-Parlament zu einer neuen Fraktion zusammengeschlossen. Es war unter anderem Tudors PRM, die das ermöglicht hat.
Nach dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens am 1. Januar erfüllt die extreme Rechte erstmals wieder die Voraussetzungen, eine Fraktion im Straßburger Parlament zu gründen. Nach dessen Geschäftsordnung müssen sich mindestens 19 Abgeordnete aus fünf Staaten zusammenfinden. Nun sind 20 zusammen gekommen. Neben Tudors PRM hat sich die bulgarische Rechtspartei Ataka der neuen Parlamentariergruppe angeschlossen. Es wäre die zweite, seit das EU-Parlament 1979 erstmals gewählt wurde: 1984 bis 1994 existierte schon einmal eine rechtsextreme Fraktion.
An der Schwelle zur bürgerlichen Rechten
Neben den beiden osteuropäischen Parteien PRM und Ataka gehören zum harten Kern der geplanten Fraktion die französische Front National und die belgische Separatistenpartei Vlaams Belang. Hinzu kommen zwei Abgeordnete aus Italien. Auch die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) hat an dem Bündnis gestrickt. Ihr einstiger Chefideologe Andreas Mölzer äußerte sich vor der Gründung der Parlamentsgruppe vorsichtig optimistisch:
Es ist keine Fraktion, die am Minimum dahinkrebsen wird. Es ist Potential da.
Andreas Mölzer, FPÖ
Der Europaabgeordnete der rechtspopulistischen Partei verweist auf Sympathisanten aus Italien und Polen. Denn schließlich, so Mölzer, gebe es in Strasbourg eine weitere europakritische Fraktion. Gemeint ist die Gruppe "Unabhängigkeit und Demokratie" (Ind/DEM), eine von sieben schon existierenden Fraktionen.
Tatsächlich besteht die Gefahr des neuen rechtsextremen Parlamentsbündnisses in der diskursiven Nähe zu konservativen Kreisen. So soll auch der britische Abgeordnete Ashley Mote in die neue Gruppe eintreten, die den sperrigen Namen "Identität/Tradition/Souveränität" (ITS) trägt. Mote gehörte ursprünglich der UK Independence Party an, einer rechtskonservativen Gruppe, die London drängt, alle Verbindungen zur EU abzubrechen. Die "Unabhängigkeitspartei" unterhält enge Kontakte zu den konservativen Tories. Mitglied in der Ind/DEM-Fraktion ist aber auch die neofaschistische Lega Nord, die bereits Vertreter in einer italienischen Regierung platzieren konnte. Und schließlich unterhalten Mölzer und andere Planer der neuen Rechtsfraktion in Strasbourg Kontakte zur Liga Polnischer Familien (LPR). Auch diese rechtskonservative Partei stellt mit Roman Giertych einen Minister. Giertychs Kontakte zum rechtsextremen Milieu sind nachgewiesen.
Neue Rechte: Gegen Europa und Juden
Wie fließend der Übergang zwischen dem konservativen Lager und den Rechtsextremen ist, zeigt der Blick auf das (dürftige) Programm der geplanten IST-Fraktion. Mölzer sieht den Minimalkonsens zwischen den Bündnispartnern vor allem in der Ablehnung eines Beitritts der Türkei zur Europäischen Union. Gleichsam wollen die Rechten eine Ausweitung der Befugnisse der EU verhindern, die sie zum Sündenbock für Sozialabbau und Arbeitslosigkeit machen. Und sie wenden sich gegen "Massenzuwanderung". Alle drei Punkte finden sich auch bei konservativen Mitgliedsgruppen der Europäischen Volkspartei wieder.
Im konservativen Gewand getarnt droht die neue ITS-Fraktion zugleich zum Sammelbecken für einen offenen Antisemitismus zu werden. Während die rumänische PRM 2002 für einen Skandal sorgte, als sie den Geburtstag des faschistischen Diktators Ion Antonescu feierlich beging, tritt der PRM-Europaabgeordnete Dumitru Dragomir offen dafür ein, "Juden zu Seife zu verarbeiten". Der designierte Vorsitzende der Fraktion, Bruno Gollnisch von der Front National, steht im französischen Lyon derzeit wegen Leugnung des Holocausts vor Gericht. Und der Chef der Partei Ataka - in Bulgarien immerhin die viertstärkste parlamentarische Kraft - ist durch mehrere Bücher bekannt geworden, in denen er vor einer "globalen Verschwörung der Juden" warnt.
Hilflosigkeit im Umgang
Die Rechten "nutzen die Ängste der Menschen vor den Folgen der Globalisierung" aus, sagte ein Mitarbeiter des deutschen SPD-Europaabgeordneten Martin Schulz (www.martin-schulz.info) im Gespräch mit Telepolis. Die Aufgabe der demokratischen Parteien müsse es daher sein, den Menschen diese Ängste zu nehmen. Die Sozialdemokraten würden jedenfalls alles dafür tun, dem Spuk ein Ende zu bereiten.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Solange die so genannten Volksparteien etwa in der Zuwanderungsdebatte nicht davon ablassen, sich in populistischer Manier aus dem gleichen Fundus zu bedienen wie die Rechtsextremen, wird das Problem an Brisanz gewinnen. Zumal die Grenze zwischen beiden Lagern mit der Regierungsbeteiligung der extremen Rechten in mehreren europäischen Staaten verwischt: Italien nach 1994, Österreich nach 2000 und Polen seit 2006.
Nichtregierungsorganisationen, die den Rechtsextremismus an der Basis bekämpfen, warnen daher eindringlicher vor einer Zunahme rassistischer Gewalt. Es gebe einen "nicht zu unterschätzenden Anteil der Bevölkerung", der entsprechende politische Vorurteile hat, sagt Michael Teupen vom Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte mit Sitz in Köln. Der Zusammenschluss der Rechten auf europäischer Ebene könne mittelfristig auch in Deutschland zu mehr Problemen führen, weil sich die Beteiligten eines "Grundkonsens' des Stammtischs" bedienten.