Der doppelte Lauterbach

Seite 2: Pandemiepolitik muss ständig und transparent neu bewertet werden

Tobias Tenenbaum, der Vorsitzende der genannten Fachgesellschaft, wies auf junge Patientinnen und Patienten hin, "die mit Fieber, vermehrtem Husten oder auch verstärkter Atemnot in die Klinik kommen. Und wenn die dann relativ krank sind, müssen sie stationär aufgenommen werden und benötigen teils eben auch Sauerstoff." Einige bräuchten unter Umständen sogar eine Atemunterstützung und "auch mal eine Beatmung."

Dennoch hielten die Unions-SPD-Regierung und später die Ampel-Koalition noch monatelang an der Lockdown-Strategie fest. Wer sie infrage stellte, setzte sich dem Verdacht aus, der sogenannten Querdenker-Bewegung nahezustehen, Verschwörungstheoretiker zu sein, ein "Schwurbler", womöglich sogar ein Rechter.

Wenn Bundesminister Lauterbach nun plötzlich im Querdenker-Jargon "Einsperrmaßnahmen" kritisiert, nachdem er gegen alle Kritik einen "harten Lockdown" ins Spiel gebracht hatte, belegt das gar nicht mal unbedingt fachliche Defizite, wohl aber politisches und kommunikatives Unvermögen.

Denn die Corona-Politik folgte von Beginn an vermeintlichen Wahrheiten, die auf Biegen und Brechen verteidigt wurden – bis sie von ihren Vertretern in Bundes- und Landespolitik fallengelassen wurden.

Wer sie bis dahin hinterfragte, setzte sich der Gefahr der politischen Isolation aus. Querdenker, Epidemiologen, rechter Ideologe, Virologe – es gab keine Unterschiede mehr im Feindbild einer Pandemiepolitik, deren Vertreter das Beharren auf offensichtlich überholte Instrumente und Parameter mit politischer Stärke oder gar Größe verwechselten.

Sollte sich das Pandemiegeschehen zum Herbst hin wieder verschärfen, muss diese Erkenntnis beherzigt werden: Es gibt in einer Pandemie selten die eine Wahrheit. Und Maßnahmen, die zum Zeitpunkt ihrer Etablierung oft unweigerlich einen experimentellen Charakter haben, müssen im Sinne eines effektiven Katastrophenmanagements stets offen debattiert und neu bewertet werden.

Der Bundesgesundheitsminister hätte Größe bewiesen, wenn er dies bei seinem jüngsten Kurswechsel eingestanden hätte und auf die zugegangen wäre, die schon früher für eine flexiblere Krisenpolitik geworben und das Beharren auf eine Lockdown-Politik kritisiert haben.