Der ewige Soros
Ungarns skandalumwitterter Wahlkampf im Bann xenophober und antisemitischer Verschwörungstheorien
"Im Bild des Juden, das die Völkischen vor der Welt aufrichten, drucken sie ihr eigenes Wesen aus." Dialektik der Aufklärung
Ungarns regierende rechtspopulistische Partei Fidesz scheint den kommenden Urnengang für sich entscheiden zu können. Bei aktuellen Umfragen führt die Partei des international umstrittenen Regierungschefs Viktor Orban, die gemeinsam mit ihren christdemokratischen Bündnispartnern der KDNP antritt, mit rund 32 Prozent.
Den zweiten Platz - mit 14 Zählern - belegte bei der Umfrage die rechtsextreme Partei Jobbik, die sich im Wahlkampf zunehmend bemüht, gemäßigt aufzutreten und eine dezidiert nationalsozialistische Linie zu verfolgen. Die neoliberalen Sozialdemokraten der MSZP-Párbeszéd kamen mit 9 Prozent auf den dritten Platz. Rund 30 Prozent der Befragten gaben an, noch keine Wahlentscheidung getroffen zu haben.
Inzwischen muss aber die Fidesz um ihre absolute Mehrheit bangen. Selbst unter den Wählern, die ihre Wahlentscheidung bereits getroffen haben, sinkt die Zustimmung zu der Partei beständig: von 52 Prozent im Dezember, über 50 Prozent im Januar, bis aktuell 47 Prozent. Von den Verlusten der Fidesz konnten vor allem die - nun zurückhaltend auftretenden - Rechtsextremisten der Jobbik profitieren, deren Unterstützung binnen eines Monats um vier Prozentpunkte anstieg.
Man habe Viktor Orban "viele seiner Ideen" gegeben, erklärte der Pressesprecher Jobbiks gegenüber der Washington Post. Die rechtsextreme Partei sei wegen ihrer antisemitischen und ausländerfeindlichen Rhetorik berüchtigt, so die Post, doch inzwischen steuere sie ins politische Zentrum, indem sie sich für ihre "vorurteilsvolle Vergangenheit entschuldigte" und sogar Rufe nach sozialer Gerechtigkeit in ihre Rhetorik einbaue.
Kurzfristig schien sogar eine Allianz zwischen kleineren linksliberalen Parteien, den neoliberalen Sozialdemokraten MSZP-Párbeszéd und den Nationalen Sozialisten der Jobbik denkbar. Die Gespräche über eine gemeinsame Kandidatenliste der Opposition, die eine kleine Chance auf das Brechen der absoluten Mehrheit der Fidesz sieht, scheiterten erst am 20. März. Inzwischen hofft man in der Opposition, dass eine hohe Wahlbeteiligung von mehr als 70 Prozent der Fidesz ihre absolute Mehrheit nehmen wird.
Im Februar gelang es gar einem gemeinsamen Oppositionskandidaten, sich bei einer Nachwahl in Hodmezovasarhely gegen Orbans Fidesz durchzusetzen. Die beständige Erosion der Wählerzustimmung in den Umfragen ist den zahlreichen Skandalen geschuldet, in die korrupte Fidesz-Politiker verwickelt sein sollen. Die Oppositionsparteien, allen voran die rechtsextreme Jobbik, haben sich gerade auf diese Korruptionsaffären der Regierungspartei eingeschossen. Orban reagierte darauf mit einer scharfen Rechtswende, indem er seine Wählerbasis mit einer ausländerfeindlichen und implizit antisemitischen Kampagne mobilisierte.
"Mafia-Staat", finanziert durch EU-Mittel
Der Pester Lloyd bezeichnet Ungarn als einen Mafia-Staat, bei dem sich Parteigrößen der über zwei Legislaturperioden regierenden Fidesz inzwischen weitgehend ungeniert bedienen würden. Es scheint alles in der Familie zu bleiben: Die Brüder und der Vater von Viktor Orban, die alle längst erfolgreiche "Unternehmer" sind, profitierten massiv von öffentlichen Ausschreibungen, so der Pester Lloyd:
Die Unternehmen von Orbáns Brüdern generieren, laut eigenen Angaben, mehr als 2/3 ihrer Umsätze durch öffentliche, EU-finanzierte Ausschreibungen. Über diese Ausschreibungen befindet in letzter Instanz - und im Unterschied zu dem von der EU gewünschten Verfahren - das Amt des Ministerpräsidenten. Ein klarer Fall von Interessenskonflikt. Die Unternehmen von Orbáns Vater (Gyözö Orbán, u.a. Dolomit Kft.) traten hingegen nie direkt als Gewinner von EU-finanzierten Ausschreibungen in Erscheinung, jedoch stets als exklusiver Zulieferer für Gewinner solcher Ausschreibungen. Den Bewerbern wird also unmissverständlich klar gemacht, was zu tun ist, um den Zuschlag zu erhalten. Die Unternehmen von Orbáns Intimus (Strohmann, Gutsverwalter...) Mészáros profitierten nach dem gleichen System, in Größenordnungen über 600 Mio. EUR in den vergangenen zwei Jahren.
Pester Lloyd
Eigentlich finanzieren sich diese Seilschaften im "Mafiastaat" Ungarn durch EU-Mittel, schlussfolgerte der Pester Lloyd. Auch der Vizeparteichef der Fidesz, Lajos Kósa, soll öffentliche Millionenbeträge an die Firma seiner 82-jährigen Mutter verschoben haben. Das Ausmaß der mafiösen Familienwirtschaft im Staat des rechten Saubermanns Orban erinnert somit an die Korruptionsexzesse in der offen faschistischen Türkei Erdogans.
Mix aus Ausländerfeindlichkeit, Antiislamismus und Antisemitismus
Diese Korruptionsskandale will die Fidesz mit einer massiven Hetzkampagne übertönen, in der Ausländerfeindlichkeit, Antiislamismus und Antisemitismus zusammenfließen. Hierbei dürfte es sich somit um die "vielen Ideen" handeln, die Fidesz von Jobbik übernahm. Die Angst vor einer "Invasion" von Migranten hat die Stammwählerschaft der Fidesz mobilisiert.
Orban betonte im Wahlkampf, in klarer völkischer Rhetorik, die Wichtigkeit einer "ethnisch homogenen" ungarischen Gesellschaft, die durch finstere äußerer Mächte bedroht sei. Ungarn stehe diesen Überfremdungsplänen im Weg, weshalb die ungarische Opposition damit beauftragt sei, "die Macht zu ergreifen und einen großen Plan umzusetzen: Ungarn zu brechen, dass den Migranten im Weg steht", so Orban wörtlich auf einer Veranstaltung am 15. März.
Wer steckt hinter diesen Plänen? Der ewige Soros, offensichtlich. Ein in die Tausende gehendes "Söldnerheer" arbeitet in diesem Augenblick im Geheimen unermüdlich daran, Ungarn zu zersetzen, hieß es aus der Fidesz. Dieses sei von George Soros finanziert und aufgestellt worden, behauptete Orban kürzlich. Der jüdische Milliardär ungarischer Abstammung, der einstmals Viktor Orban seine Ausbildung finanzierte, gilt inzwischen als Staatsfeind Nr. 1 in Budapest.
Der Hass auf Flüchtlinge, den der durch Korruptionsskandale bedrängte Orban schürt, wird durch einen nur oberflächlich kaschierten Antisemitismus begleitet. Die Juden, konkret der jüdische Milliardär George Soros, werden als die Hintermänner der Flüchtlingskrise halluziniert. Dieses Wahngebilde ist auch unter polnischen Rechtsextremisten weit verbreitet.
Soros: "Einer der größten Feinde Ungarns", der "kein Heimatland kennt"
Inzwischen sieht die ungarische Regierung hinter jeden Stein einen Soros hervorkriechen. Ungarns Parlamentspräsident etwa warnte kürzlich vor einer "Weltregierung", die "Gesellschaften ohne Identität erschaffe" und die "Köpfe der Menschen" besetze. Die Proteste in der Slowakei nach dem Mord an einem Journalisten - sie seien ebenfalls von der Soros-Verschwörung gesteuert. Soros stünde in der Slowakei "schon vor der Tür", so der ungarische Spitzenpolitiker. Orban selber kommentierte die demokratischen Proteste nach dem Journalistenmord als "von den Kreisen gesteuert, die ein Interesse daran haben, stabilen Regierungen zu schaden".
Bei einer Massenveranstaltung Mitte Märzrief Orban seinen einstigen Gönner gar zu einem der größten Feinde Ungarns aus, gegen den er als Regierungschef unermüdlich ankämpfen wolle. Man werde das "Soros-Imperium" und die "internationalen Kräfte", die hinter ihm stünden, unermüdlich bekämpfen, tönte Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef. Dabei soll laut Orban der liberale Milliardär nur Teil einer ominösen Weltverschwörung sein, die die natürliche nationale Ordnung bedrohe. Orban, vor zehntausenden Anhängern, wörtlich:
Wir kämpfen gegen einen Gegner, der anders ist als wir. Der nicht offen erkennbar ist, sondern sich versteckt; nicht geradlinig, sondern listig; nicht ehrlich, sondern gemein; nicht national, sondern international; der nicht an Arbeit glaubt, aber mit Geld spekuliert; der kein Heimatland hat, aber spürt, dass ihm die Welt gehört.
Viktor Orban
Hierbei handelt es sich offenbar um nichts anderes als eben jenen nationalsozialistischen Antisemitismus, den die Jobbik jahrelang propagierte - nur dass der Name des Juden nicht fallen darf. Hierfür hat Ungarns Rechte eben ihren ewigen Soros. Alle Elemente ordinären NS-Anstisemitismus sind hier zu finden. Der listig im Verborgenen global agierende Gegner, der kein Heimatland kennt, die verhängnisvolle Gegenüberstellung von der nationalen Arbeit und der internationalen Spekulation, die unfassbare Allmacht, die ihm zugesprochen wird.
Nur der Name der Verantwortlichen, für den Soros als ein billiges Substitut fungiert, der darf nicht fallen - so viel haben selbst die dümmsten Antisemiten verstanden. Soros selber sei als Drahtzieher der Islamisierung Europas eine Marionette "höherer Kräfte", erklärte ein Orban-Anhänger gegenüber Journalisten der Washington Post. Er wolle aber keine Namen nennen.
Diese implizit antisemitische Weltverschwörung mit ihrem Soros-Wahn, die in Ungarn von einem Randphänomen zur offizieller Regierungsideologie avancierte, bringt einerseits die Ohnmacht zu Ausdruck, die durch die alltäglich erfahrene Heteronomie im Kapitalismus befeuert wird. Zunehmend sind die Menschen einer unkontrollierbaren Kapitaldynamik zunehmender Widerspruchsentfaltung ausgeliefert, die sie selber unbewusst als Marktsubjekte hervorbringen.
Die ohnmächtig erfahrenen Verwerfungen (von der Euro- zur Flüchtlingskrise), resultierend aus den eskalierenden inneren Widersprüchen des Kapitalverhältnisses, werden - da der Kapitalismus als eine natürliche Gesellschaftsordnung erscheint - auf den Juden als deren Verursacher projiziert. Insbesondere die abstrakte Seite des gesamtgesellschaftlichen Prozesses der Kapitalverwertung wird im antisemitischen Denken abgespalten und der konkreten, nationalen Arbeit entgegengestellt - dabei sind ja die Krisenursachen gerade in den Widersprüchen der Lohnarbeit zu verorten (Die Krise kurz erklärt).
Eine weitere Projektion leisten die korrupten Funktionseliten der Fidesz, die diese implizit antisemitischen Wahngebilde im Wahlkampf propagieren. Im Bild des ewigen Soros werden all jene Charaktereigenschaften abgespalten, die der korrupte Fidesz-Funktionär unbewusst an sich selbst als negativ empfindet. Es scheint fast schon lächerlich evident, dass hier die klassische, mit mafiösen, korrupten Seilschaften versetzte rechtspopulistische Partei bei Soros die Geldgeilheit, die Korruption und Verschlagenheit anprangert, die gerade ihren Spitzenpolitikern vorgeworfen wird.
Während die korrupten Fidesz-Seilschaften gierig veruntreuen und öffentliche Gelder zusammenraffen, wird in der Fidesz-Propaganda ihre Gier und Verschlagenheit auf das antisemitische Hassbild des ewigen Soros projiziert. Wenn man in den innersten Kern des Rechtspopulismus blicken will, muss man nur seine Feindbilder studieren - gerade in Ungarn als einem Land, in dessen öffentlichen Diskurs längst völkisches Denken hegemonial geworden ist (Kultur des Faschismus).