Ungarn: "Kultur des Faschismus"
Ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Magdalena Marsovszky über den völkischen Ungeist in Ungarn
Die ungarische Regierungskoalition von Fidesz und KDNP verabschiedete jüngst eine neue Verfassung, die sie aufgrund ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit durchs Parlament bringen konnte. Die Regierung um Ministerpräsident Viktor Orban will das Land mit diesem "Nationalen Glaubensbekenntnis" auf ein "neues Fundament" stellen. Es ist da viel von "Magyarentum", "Nation", "Gott", "Familie" und der "Ehre der Arbeit" die Rede. Besteht aus demokratischer Sicht Grund zur Sorge? Sind innerhalb dieses Verfassungswerkes undemokratische, völkische, oder ins Rechtsextreme abdriftende Passagen zu finden?
Magdalena Marsovszky: Es besteht auf jeden Fall Anlass zur Sorge. Diese Verfassung wurde am Ostermontag feierlich vom Staatspräsidenten unterschrieben. Der Festakt wurde überall in den Medien übertragen. Es besteht deswegen Anlass zur Sorge, weil diese Verfassung in der Tat ein "nationales Glaubensbekenntnis" ist. Man sagt vielfach, dass diese Verfassung einen Rückgriff auf die christliche Tradition, einen Rückgriff auf eine teilweise monarchistische Tradition darstellt. Aber ich widerspreche diesen Annahmen und behaupte, dass das ein Rückgriff auf die völkische Tradition des Landes ist. Das heißt, dies ist ein Rückgriff auf das 19. Jahrhundert, da am Ende des 19. Jahrhunderts diese völkische Tradition nicht nur in Deutschland, sondern auch in Ungarn sehr lebendig geworden ist. Damit ging die Zunahme des Rassismus und Antisemitismus in Ungarn einher, genauso wie in Deutschland. Die völkischen Bewegungen in beiden Ländern verliefen parallel.
An diese Zeit wird nun angeknüpft, wobei ich nicht von den Ungarn spreche, weil dies ein republikanischer Begriff ist, sondern vom Magyarentum. Das heißt, hier wird im ethnischen Sinne das Volk als "Volkstum" verstanden, als ein homogenes magyarisches Volkstum, das nicht nur eine kulturelle Zusammengehörigkeit aufweist, sondern auch eine blutmäßige Abstammungsgemeinschaft bilden soll. Das kann man aus der Kommunikation der Fidesz Bürgerlichen Union, und seines Koalitionspartners, der Christlich Demokratischen Volkspartei (KDNP), ableiten.
Die Präambel der neuen Verfassung ist beispielsweise deswegen so problematisch, weil dort das Wort Republik gestrichen wurde. Es ist dort nicht mehr von der Republik Ungarn, sondern nur noch von Ungarn die Rede. In der Präambel kommt das Wort Republik kein einziges Mal vor, und auch im gesamten Verfassungstext nur ein einziges Mal als Bezeichnung der Staatsform. Zudem wird dieses nationale Glaubensbekenntnis mit der ersten Zeile der ungarischen Nationalhymne eingeleitet, in der es wortwörtlich heißt: "Gott segne den Magyaren." Das ist alles in Allem ein ganz deutlicher Rückgriff auf die völkische Tradition.
Die Nation wird als etwas Sakrales angesehen
Die Minderheiten in Ungarn - etwa die Roma - finden in der Präambel keine Erwähnung?
Magdalena Marsovszky: Auf keinen Fall. Die Integration von Minderheiten wird einfach als gegeben unterstellt, in der öffentlichen Kommunikation heißt es dann seitens der Regierung immer, es sei so natürlich und selbstverständlich, dass man die Minderheiten unterstütze, dass diese in der Verfassung nicht vorkommen müssten. In dieser Frage findet ein permanentes Ausweichen und Herauswinden der Regierung, wie auch der Kommission statt, die die Verfassung ausgearbeitet hat. Minderheiten werden nicht erwähnt, genauso wie Minderheitenrechte.
Ich bin gerade dabei, den Punkten nachzugehen, die im Verfassungstext als problematisch gelten. Es gibt Wissenschaftler, die sagen, dass es 60 solcher sehr problematischer Passagen gibt, die den europäischen Werten widersprechen. Manche Wissenschaftler sagen wiederum, es gibt 200 solcher Punkte, die mit der europäischen Tradition nicht vereinbar sind. Auf jeden Fall trifft es zu, dass in der Verfassung verankert wurde, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau anerkannt wird. Gleichgeschlechtliche Ehen werden nicht anerkannt. Problematisch ist auch, dass die lebenslangen Haftstrafen, statt nach 25 Jahren zu enden, in echte lebenslange Haftstrafen umgewandelt werden.
Es ist aber vor allem diese völkische Tradition, die ich als sehr problematisch ansehe. Unter Berücksichtigung der gesamten öffentlichen Kommunikation - insbesondere in den so genannten national gesinnten Medien - kommt der völkische Charakter dieser Verfassung klar zum Vorschein. Diese Verfassung tendiert sehr deutlich in Richtung eines völkischen Staates, in eine Richtung, in der die Kultur des Faschismus immer mehr dominiert.
Den Begriff definiere ich nach dem Faschismusforscher Roger Griffin als Kultur des Faschismus in Reinform. Das ist ein "revolutionärer Nationalismus", in der ständig von der "Erneuerung und Wiedergeburt der Nation" gesprochen wird, in der eine gesunde, organisch gewachsene Gemeinschaft entstehen soll, die nicht nur von der Kultur, sondern auch von der gemeinsamen, blutsmäßigen Abstammung zusammengehalten wird.
Wichtig ist auch, dass die Nation als etwas Sakrales angesehen wird, daher auch die erste Zeile der Präambel: "Nationales Glaubensbekenntnis". Das politische Leben ist übrigens äußerst stark durch Symbole durchdrungen, das so genannte symbolische Politisieren ist äußerst verbreitet. In diesen organischen Nationalismus passen natürlich keine Personen oder Gruppen, die mit physischer oder moralischer Dekadenz, oder aber mit "Entartung" assoziiert werden. Das sind eben z.B. die Roma aber auch die Armen und Obdachlosen und ebenso die als "fremdbestimmt" angesehenen Sozialisten und Liberale. Diese werden immer antisemitisch angegriffen.
Können Sie die Grundzüge der Ideologie der Fidesz darlegen? Was ist das Spezifische an der ungarischen Rechten, wo liegen die Gemeinsamkeiten mit anderen europäischen Rechtsgruppierungen?
Magdalena Marsovszky: So wie ich das sehe, liegen all diesen Strömungen völkische Ideologien zugrunde. Das bedeutet in Deutschland ein Besinnen auf das Germanentum oder auf ein homogenes Volkstum der Deutschen, wenn man sagt: "Deutschland den Deutschen", in Ungarn auf das Magyarentum, wenn dort z.B. gesagt wird, wir wehren uns gegen alles, was fremd ist. Man sucht nach dem Urvolk der Magyaren oder nach der Urreligion, und man besinnt sich auf die Reinheit der Sprache. Das sind die Ziele dieser Parteien.
Seit über zehn Jahren verfolge ich die Kommunikation dieser ungarischen Rechtsparteien, und Fidesz folgt immer mehr diese völkische Tradition, die auch mit einer zunehmend biologistischen Sprache einhergeht. Da geht es vor allem um die Blutsverwandtschaft, die sehr stark betont wird. Die Blutsverwandtschaft unter den Magyaren. Der stellvertretende ungarische Ministerpräsident bezeichnete beispielsweise die außerhalb der Landesgrenzen lebenden Magyaren als seine "Blutsbrüder", der Ministerpräsident nannte sie "Nationsbrüder".
Die deutsch-ungarische Kulturwissenschaftlerin und freie Publizistin Magdalena Marsovszky forscht und publiziert über völkische Traditionen, Antisemitismus und Rechtsextremismus in Ungarn - zuletzt u.a. im Sammelband Die Dynamik der europäischen Rechten. Sie ist im Vorstand des Villigster Forschungsforum zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus tätig.
Traum von Großungarn
Aus dieser völkischen Ideologie erwächst auch der Anspruch Ungarns, als ein Vertreter der "Auslandsungarn" aufzutreten. Ist das die ideologische Grundlage für diese regionalen Konflikte, etwa zwischen Ungarn und der Slowakei?
Magdalena Marsovszky: Ja, das ist die Grundlage für diese Konflikte. Sofort nachdem Fidesz und KDNP an die Macht kamen, wurde ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz verabschiedet, das sich nach dem ius sanguinis (Recht des Blutes), dem Abstammungsprinzip, richtet. Ungarischer Staatsbürger ist nun derjenige, dessen Vorfahren aus dem historischen Ungarn stammen.
Das Gesetz ist bestimmt vor allem für die drei Millionen Menschen, die nach dem Friedensvertrag von Trianon seit 1920 in der Slowakei, Serbien, Rumänien oder der Ukraine leben. Diese Menschen können seit dem 1. Januar ohne weiteres ungarische Staatsbürger werden. Dieses Gesetz wurde von der derzeit herrschenden Koalition als Erstes verabschiedet. Die Minderheitenmagyaren in den Nachbarländern gelten - selbst noch nach 90 Jahren - als der ethnisch definierten magyarischen Kulturnation zugehörig, und jetzt können sie vollwertige ungarische Staatsbürger werden, ohne dass sie ihren Wohnsitz nach Ungarn verlegen müssen.
Von 2005 bis zum August 2010 bekleidete László Sólyom das Amt des ungarischen Präsidenten. Dieser Staatspräsident hat beispielsweise alle großen ungarischen Nationalfeiertage im Ausland verbracht, und nicht in Ungarn. Er verbrachte sie demonstrativ in eben diesen "großungarischen" Gebieten. Das bedeutet, er hat demonstrativ ungarische Feiertage in den ehemaligen Gebieten Großungarns gefeiert. Ungarn mischt sich mit diesen Akten ganz deutlich in die inneren Angelegenheiten der Nachbarländer ein. Budapest achtet nicht so sehr auf die Souveränität der betreffenden Staaten, als ob diese Gebiete immer noch zu Großungarn gehörten.