Der gute König Steinmeier: "Er kommt aus Brakelsiek"

Schloss Bellevue. Foto: A.Savin / CC BY-SA 3.0

Bundespräsidentenwahl: Gibt es tatsächlich keine Alternative zum ausgekarteten Kandidaten? Doch!

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Heribert Prantl galt mal als Inbegriff des kritischen Journalisten. Wenn man sein Interview liest, das er kurz vor der Bundespräsidentenwahl im Deutschlandfunk gegeben hat, könnte man denken, er hätte den Posten gewechselt und wäre nun Pressesprecher für den künftigen Bundespräsidenten Steinmeier.

Denn auch nur den Funken einer Kritik suchte man in Prantls Eloge auf den guten König Steinmeier vergeblich. Die interviewende Journalistin Ute Meyer bereitete mit ihren Fragen das Feld vor:

Meyer: Ein Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ist das gut für Deutschland?
Prantl: Ich denke, ja. Die Zeichen stehen ganz gut. Er ist jemand mit unglaublicher Kompetenz, …

Interview Deutschlandfunk

Nachdem Prantl ausführlich Steinmeiers angebliche außenpolitische Pluspunkte aufgezählt hat, den "Friedensvertrag von Minsk zur Rettung der Ukraine" erwähnte und zu Steinmeiers Rolle am Kiewer Maidan - wo ein Bündnis unter Einschluss von Faschisten eine autoritäre, aber demokratisch gewählte Regierung mit Gewalt stürzte - vornehm schwieg, kommt er zu dessen innenpolitischen Verdiensten:

Er muss im Innenpolitischen im eigenen Land ein Integrator sein, einer, der die Menschen vielleicht wieder zur Politik führt, der diejenigen, die sich für ausgegrenzt halten, wieder gewinnt für diese Demokratie.

Heribert Prantl

Am Ende wird Prantl ganz zum Lobredner auf den guten König Steinmeiner, wenn er ihn so anpreist:

Steinmeier ist ein Betatier. Betatiere ruhen in sich, und das ist bei Steinmeier keine Attitüde. Er ist so. Er ist jemand, der in sich ruht, und ich glaube, er wird ein ganz besonderer Präsidententyp, jemand, der durchaus den Menschen gefallen könnte, weil er so eigen ist, weil er nicht aufdreht, weil er nicht protzt, sich nicht in den Vordergrund spielt. Weil er ein bescheidener und sachkundiger Politiker ist.

Heribert Prantl

Wenn schon ein als kritisch geltender Journalist solche Elogen verfasst, muss es um die Distanz zu Staat und Macht dieser Profession schlecht bestellt sein. Jedenfalls weiß man bei dieser Passage nicht, ob es eine Kabaretteinlage ist, oder ob der Journalist Prantl nun jede kritische Distanz zum künftigen Bundespräsidenten verloren hat.

Er kommt auch aus kleinen Verhältnissen. Er kommt aus einem kleinen Kaff in Niedersachsen (tatsächlich in Nordrhein-Westfalen, Anm. d. Red.), das Brakelsiek heißt, im Kreis Lippe. Da ist er verwurzelt, auch in seiner Religion.

Heribert Prantl

Adbusting am Schloss Bellevue: kritische Punkte aufgespießt

Ein kritischer Journalist hätte das Interview vielleicht mit folgender Frage eingeleitet: Kurz vor der Bundespräsidentenwahl hat eine Gruppe unbekannter Streetart-Aktivisten und -aktivistinnen am Schloss Bellevue in Berlin-Tiergarten mit einer Adbusting-Aktion auf kritische Punkte in der politischen Vita des zukünftigen Bundespräsidenten Frank-Walter-Steinmeier aufmerksam gemacht.

In eine Werbeanlage direkt am Schloss Bellevue hängte die Gruppe ein Poster dem Slogan "Folter? Is mir egal" und einer Karikatur von Steinmeier mit Axt hinterm Rücken. Dann hätte man mit Prantl darüber diskutieren können, ob die Kritik berechtigt oder zu polemisch ist.

Die Fakten, die die Kritiker zur Grundlage ihrer Aktion gemacht haben, sind bekannt. Es ging um Murat Kurnaz, einen Mann mit türkischer Staatsbürgerschaft, der in Bremen lebte und unter Terrorismusverdacht nach Guantanamo gebracht wurde. Ein Untersuchungsausschuss der Europäischen Kommission fand heraus, dass sowohl deutsche als auch US-amerikanische Behörden bald wussten, dass Kurnaz der falsche Mann war.

Die USA hätten ihn freigelassen, wenn die BRD ihn hätte wieder einreisen lassen. Doch Steinmeier, der damals dafür zuständig war, weigerte sich und behauptete, nicht die deutsche, sondern die türkische Regierung sei für Kurnaz zuständig, der deshalb weiter in Guantanamo bleiben musste.

Steinmeier sieht in seinem Verhalten bis heute keinen Fehler und auch keinen Grund, sich bei Kurnaz zu entschuldigen. Vielmehr würde er in einem ähnlichen Fall wieder so handeln. Spätestens das hätte doch den kritischen Journalisten Prantl hellhörig machen müssen.

Doch darüber wurde in dem Deutschlandfunk-Interview kein Wort verloren, wie auch sonst in den Medien Schweigen dazu herrschte. Dabei war die Rolle Steinmeiers in der Causa Kurnaz in den Medien für einige Zeit durchaus ein Thema. Doch das ist lange her und vergessen. An Murat Kurnaz haben die Medien das Interesse längst verloren.

Die grüne Menschenrechtspartei hat kein Problem

Nun könnte man denken, zumindest die Grünen, die sich ja immer eindrücklich als die Menschenrechtspartei vorstellen, werden mit dem Präsidentschaftskandidaten Steinmeier wegen dessen Rolle im Fall Kurnaz, seiner Weigerung, sich zu entschuldigen, und seinem Bekenntnis, wieder so zu handeln, Probleme haben.

Doch schon kurz nach seiner Nominierung kam von der Menschenrechtspartei die Meldung, dass sie Steinmeier für einen respektablen Kandidaten hält.

Dabei gäbe es für die Grünen eine respektable Alternative, der von der Linkspartei aufgestellte Christoph Butterwegge träumt noch immer von der SPD, in die er als linker Juso in den 1970er Jahren eingetreten ist. Dass er die Schröder-SPD dann freiwillig verlassen hat, macht ihm zum respektablen Kandidaten, auch wenn es die SPD, der er nachtrauert nur in der Phantasie linker Jusos gegeben hat. Butterwegge könnte für die Grünen an Attraktivität gewinnen, weil er parteilos ist und auch es auch bleiben will.

Respektable Sozialdemokraten und die Grünen

Zudem hat sich Butterwegge mit Themen beschäftigt, die für die Grünen in ihrer Frühzeit mal interessant waren. Er ist ein scharfer Kritiker der Verarmungstendenzen großer Teile der hiesigen Gesellschaft. Aber er hat - und da sind wir auch bei den Gründen, warum die Grünen mehrheitlich heute Butterwegge nicht unterstützen - in der von ihnen mit auf den Weg gebrachten Agenda 2010 den Kulminationspunkt für diesen Verarmungsprozess ausgemacht.

Dass er dann mit Überschriften wie "Soziale Kälte in einem reichen Land" eher wie ein Pfarrer als ein Analytiker klingt, zeigt seine Eignung als Bundespräsident besonders, weil ein solcher einen großen Vorrat an Phrasen parat haben muss. Doch jenseits dieser Überschriften spricht Butterwegge an, was die Agenda 2010 bedeutet:

"Hartz IV" ist europaweit die berühmteste Chiffre für den Abbau sozialer Leistungen und gilt hierzulande als tiefste Zäsur in der Wohlfahrtsstaatsentwicklung nach 1945: Zum ersten Mal wurde damit eine für Millionen Menschen in Deutschland existenziell wichtige Lohnersatzleistung, die Arbeitslosenhilfe, faktisch abgeschafft und durch eine bloße Fürsorgeleistung, das Arbeitslosengeld II, ersetzt.

Christoph Butterwegge

Doch neben seinem Fokus auf die politisch gewollte und geförderte Verarmung hat Butterwegge noch einen wissenschaftlichen Schwerpunkt, mit dem er vielleicht bei den frühen Grünen punkten hätte können, aber nicht bei den aktuellen Grünen.

Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Bremischen Stiftung für Rüstungskonversion und Friedensforschung. Bei ihm dürfte man wohl erwarten, dass er nicht militärischen Einsätze in aller Welt das Wort reden würde. Das macht ihn aber einem grünen Milieu verdächtigt, das schon in helle Aufregung geriet, als noch nicht klar war, ob die neue US-Administration die Nato wirklich abschaffen wollte und damit eine Forderung verwirklicht hätte, die in den ersten 10 Jahren im Grünen Parteiprogramm stand.

Doch längst haben die Grünen die Bundeswehr und die Nato lieben gelernt und in ihrem Milieu wird schon mal diskutiert, ob und wann ein Krieg mit Russland denkbar wäre. Da kann ein Butterwegge, der mit der alten linken Parole "Gegen Sozialabbau und Rüstung" antritt, nur stören.

"Über 100 Stimmen"

Immerhin übt der demnächst aus dem Bundestag ausscheidende Christian Ströbele Kritik an Steinmeiers Uneinsichtigkeit im Fall Kurnaz. Er wird wohl wie auch die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann bei der Bundespräsidentenwahl für Butterwegge stimmen. Es wird sich zeigen, ob er noch weitere Stimmen aus diesem Lager bekommt.

Bei einer Veranstaltung im Taz-Cafe rechnete er kürzlich mit über 100 Stimmen, das wären fünf mehr, als die Linke hat. Dass die Piratenpartei vor ihrem Abschied aus der Bundespolitik nicht einmal zur Wahl von Butterwegge aufrufen und stattdessen mit einer Klamaukaktion ohne Inhalt von der Bühne geht, ist nicht überraschend. "Alles, nur nicht links", war schließlich der gemeinsame Nenner ihrer konfusen Politik.