Der "gute autoritäre Herrscher"
Al-Sisi bekommt teure deutsche Rüstung, obwohl er am Jemenkrieg teilnimmt und repressiv gegen Medien und Opposition vorgeht. Als Feind der Muslimbrüder ist er im richtigen politischen Lager
Man könnte im ehemaligen General al-Sisi ein role-model für die aktuell erfolgreiche Version eines autoritären Herrschers im Nahen Osten sehen. Dem ägyptischen Präsidenten wird zwar immer wieder mal vorgehalten, dass sein "neues Ägypten" noch repressiver sei als der alte Polizeistaat unter Alleinherrscher Mubarak. Aber die Vorwürfe, meist von Menschenrechtsorganisationen, verpuffen. Sie zeigen keinerlei Wirkung. Vor ein paar Tagen war im Spiegel zu lesen:
Die Bundesregierung hat einmal einen großen Rüstungsexport in den Nahen Osten erlaubt. Laut einer Liste mit den aktuellen Genehmigungen des Bundessicherheitsrats billigte das geheim tagende Gremium den Export einer Fregatte vom Typ Meko 200 an Ägypten.
Spiegel
Der Preis für die Fregatte: 500 Millionen Euro. Die Erlaubnis gab es, obwohl Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart haben, "keine Waffenlieferungen mehr an Staaten zu genehmigen, die am blutigen Jemenkrieg teilnehmen", so das Nachrichtenmagazin. "Ägypten gehört ganz offiziell zu dieser von Saudi-Arabien geführten Koalition und hat auch mit Kampfjets an Missionen über dem Jemen teilgenommen." Die Waffengeschäfte zwischen Deutschland und al-Sisi haben Tradition; 2017 war Ägypten "Top-Importeur deutscher Waffen".
Das Wahrnehmungsradar für Empörung unterlaufen
Das Verhältnis zwischen Merkel und al-Sisi wird vom ägyptischen Medium Madamasr als freundlich beschrieben, was damit begründet wird, dass al-Sisi ein "enthusiastischer Anhänger des internationalen Status quo ist: Weil er sich dem existenziellen Kampf des Westens gegen den Terrorismus anschließt und neoliberale Reformen anordnet".
Auch vom Besuch al-Sisis in Berlin, wo der "autoritäre Präsident für das (Fregatten-)Geschäft warb" (Spiegel), im vergangenen Herbst bleibt als Protest lediglich die Demonstration von Amnesty International vor dem Brandenburger Tor als Randnotiz übrig. Al-Sisi unterläuft das Wahrnehmungsradar, das bei anderen längst für Empörung gesorgt hätte.
So räumt das im vergangenen Jahr erlassene Gesetz zur Regelung von Medien, das Law 180, dem Staat eine enorme Machtfülle zur Kontrolle der Medien ein. Er kann mit dem Vorwurf der Fake News sämtliche unbequeme Stimmen leichterhand zum Schweigen bringen. Ohnehin werden mit dem Gesetz die Hürden, überhaupt als Publikation zugelassen zu werden, sehr hoch gesetzt.
Es ist pure Elitenpolitik. Im Parlament hieß es vonseiten der Opposition, dass mit dem Gesetz der letzte verbliebene Raum der Meinungsfreiheit konfisziert worden sei.
Auch Meldungen von Festnahmen Oppositioneller lassen die Öffentlichkeit in den westlichen Staaten nahezu unbehelligt. Die einzigen interessierten Leser dürften Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen sein.
Die Abneigung, weiter von Unordnung aus Ägypten hören zu wollen
Eine Erklärung dafür könnte darin liegen, dass sich niemand mehr von Ägyptens politischen Verhältnissen durcheinanderbringen lassen will. Die Freude im Westen über die Aufstände von 2011, die sämtliche Medien erfasst hatte, wurde bitter enttäuscht. Es kamen trotz aller Hoffnungen und Beteuerungen, dass dem genau nicht so sein würde (wie sie auch an dieser Stelle geäußert wurden), Islamisten im Gefolge an die Macht, die identitäre Politik machten und zum Dschihad in Syrien aufriefen. Und danach kam wieder die Armee. Die Revolution, die in den westlichen Medien so euphorisch gefeiert wurde, kam nie wieder.
Die größere Öffentlichkeit im Westen folgte nach der Enttäuschung in den Jahren danach der Maxime: Lieber nicht genau hinschauen, Hauptsache das große arabische Land bleibt stabil (und man kann dort wieder ohne Furcht urlauben).
Da die Regimegegner so gut wie immer den Muslimbrüder-Terroristen zugeordnet wurden, waren die Lager so geartet, dass al-Sisis Repression als kleineres und notwendiges Übel weiträumige Anerkennung fand. Die Situation für die Oppositionellen zur Militärherrschaft war schwierig - nur mehr eine Minderheit wollte sich über die Oberfläche hinaus für das Land interessieren. Al-Sisi hat die Rolle als Garant dafür übernommen, dass es reicht, sich nur für die Oberfläche zu interessieren.
USA: Al-Sisi vor Gericht des CBS
In den USA liegt die Sache etwas anders, wie schon der Einstieg in das CBS-Interview "60 Minutes" verdeutlicht. Angekündigt wird es mit dem Hinweis, dass jährlich 1,5 Milliarden US-Dollar an Steuergeldern nach Ägypten fließen, mehr als in jedes andere Land, mit Ausnahme Israels, heißt es in dem Interview mit al-Sisi, das für größere Aufmerksamkeit sorgte.
Das lag zum einen daran, dass bekannt wurde, die ägyptische Medienaufsicht, die mit Geheimdiensten verbunden ist, habe den ägyptischen Publikationen jede Berichterstattung über das Interview untersagt. Darüber hinaus soll auch der ägyptische Botschafter in den USA versucht haben, die Ausstrahlung des Interviews zu verhindern.
Zum anderen lag das daran, dass al-Sisi mit Fragen konfrontiert wurde, auf die er, anders als gewohnt, nicht vorbereitet war, weshalb er nicht die stabile Figur machte, die er für gewöhnlich präsentiert, wie es seine Kritiker beobachteten.
Gefragt wurde er beispielsweise nach politischen Gefangenen in Ägypten, was er grundlegend verleugnete, und nach dem so genannten Rabaa-Massaker im August 2013, bei dem 800 Menschen umkamen. Al-Sisi verneinte, dass es damals eine Anordnung seinerseits gab, begründete das brutale Vorgehen jedoch prinzipiell mit "tausenden bewaffneten Teilnehmern der Sit-ins", die eine Unsicherheit generierten, welche die Ordnungsmacht nicht zulassen konnte. In der Sendung wurde dies mit einem Video-Clip gekontert, der den damaligen Innenminister zitiert, wonach man nur ein Dutzend Waffen gefunden habe.
Internationale Schlagzeilen machte die militärische Kooperation zwischen Ägypten und Israel, die al-Sisi im Interview zum ersten Mal einräumte, allerdings in der harmlosen Form: Israel lasse ägyptische Jets, die gegen Terroristen auf den Sinai kämpfen, gelegentlich in seinen Luftraum. Zuvor war davon die Rede, dass die Zusammenarbeit auch israelischen Jets Freiheiten einräume und dass sie nicht nur die Sinai-Halbinsel, sondern auch Gruppen im Gazastreifen betreffen könnte. Solche Eingeständnisse wären für die ägyptische Öffentlichkeit allerdings ziemlich schwierig gewesen.
Kritische Beobachter, die nicht gut auf die Muslimbrüder zu sprechen sind, werfen der Sendung vor, dass sie mit Auftritten von Mitgliedern der ägyptischen Opposition und ehemaligen Mitarbeitern der Obama-Administration (Andrew Miller) ohne das Wissen al-Sisis so montiert wurde, dass er schlecht aussehen musste.
Aller Erfahrung nach wird dies aber nur ein kleiner Kratzer am Lack des "guten autoritären Herrschers" sein. Glänzen wird al-Sisi weiterhin als Gegner der Muslimbrüder, was für internationale Geschäfte, von denen die ägyptischen Armee gut profitiert, militärische Kooperationen, von denen die Armee gut profitiert, und den Empfang von Unterstützungsleistungen, von denen die Armee gut profitiert, eine sehr gute Basis ist.