"Der islamistische Fundamentalismus hat mit Faschismus nichts zu tun"
Ein Gespräch mit Moshe Zuckermann über die Situation im Nahen Osten, den islamischen Fundamentalismus, die israelische Politik und einen möglichen Einsatz deutscher Soldaten
Moshe Zuckermann wurde 1949 in Tel Aviv geboren. Mit seiner Familie kam er 1960 nach Deutschland und kehrte 1970 nach Israel zurück. Zuckermann Leiter des Instituts für Deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv. Seit langem setzt er sich für den Friedensprozess mit den Palästinensern ein und ist ein scharfer Kritiker der israelischen Politik. Veröffentlichungen u.a.: Israel – Deutschland – Israel. Reflexionen eines Heimatlosen (2006); Zweierlei Israel (2003); Gedenken und Kulturindustrie (1999); Zweierlei Holocaust (1998).
Es ist einfach zu benennen, wer der Verlierer des über einen Monat eskalierenden Libanonkrieges ist. Das sind zum einen große Teile der libanesischen Zivilbevölkerung, die teilweise vollständig ihr Hab und Gut verloren hat, es ist aber auch wegen des permanenten Raketenbeschusses durch die Hizbollah die israelische Bevölkerung im Norden des Landes. Wer könnte Gewinner dieses eskalierenden Konflikts sein, wer hatte überhaupt ein Interesse, diesen Konflikt vom Zaun zu brechen?
Moshe Zuckermann: Nun, wenn Sie das schon so formulieren, muss ich ergänzen, dass große Teile der Zivilbevölkerung Israels nicht nur wegen des Beschusses der Hizbollah Opfer sind, sondern auch weil sie als Geisel der israelischen Regierung und ihrer Gewaltpolitik fungierten. Die israelische Bevölkerung hat auch gelitten, sie musste nicht nur Tote verzeichnen, sondern auch große Teile der Bevölkerung im Norden sind Flüchtlinge im eigenen Land geworden und die israelische Regierung ist daran alles andere als unschuldig.
Wer das Interesse an dem Krieg hatte ist nicht schwer zu beantworten. Letztlich hatten alle beteiligten Parteien ein Interesse an ihm. Zuerst muss man von den unmittelbaren Kontrahenten ausgehen, das sind Israel und die Hizbollah. Letztere sehe ich nicht als Vertreter Libanons, sondern als verlängerten Arm Syriens und des Irans und ich würde sagen, dass mutatis mutandis auch die USA ein Interesse an diesem Konflikt hatten. Das heißt nicht, dass man sich genau auf das einlassen wollte, was nun dabei herausgekommen ist. Eine derartige Eskalation und ein solcher Verlauf des Krieges konnte niemand voraussehen. Aber dass eine Erhitzung an der Nordgrenze und eine Entfachung des Feuers etlichen Akteuren gelegen kam, scheint mir klar zu sein.
Zuerst zur Provokation durch die Hizbollah. Sie will sich in erster Linie in ihrem antiisraelischen Kampf im Libanon profilieren, sie agierte aber auch als ziemlich direkte Vertretung des Irans im Kontext der damals anstehenden G8-Konferenz, die mittlerweile vergessen ist. Auf ihrer Tagesordnung stand eine unmittelbare Bedrohung des Irans in der Nuklearfrage. Sobald dieser Konflikt sich auftrat, war die Bedrohung des Iran tatsächlich vom Tisch. Als weiterer Akteur ist Syrien zu nennen, das mit der Hizbollah recht stark verbandelt ist. Syrien hat das Problem, dass es sich noch nicht ganz entschieden hat, wie es sich in der neuen Blockpolitik zu positionieren hat – ist es im Westen oder im Osten? Syrien ist in der dominanten arabischen Welt weitgehend ausgegrenzt und hat ein starkes Interesse daran, wieder zu einem relevanten Akteur zu werden. Es könnte nun sein, dass Syrien bei künftigen Verhandlungen über das Endstadium des Libanon, aber auch bei der Frage, wie die Hizbollah in den Griff zu bekommen ist, zu einem relevanten Verhandlungspartner wird. Die am weitesten reichende Option wäre ja, dass Syrien längerfristig eine bessere Verhandlungsbasis gegenüber Israel in der Frage der Golanhöhen hat.
Die Amerikaner waren kein direkter Akteur, doch sie hatten ein Interesse daran, weil sie in der Hizbollah das erkennen, was es auch ist: der verlängerte Arm von Syrien und dem Iran. Das sind beides Vertreter dessen, was die USA die „Achse des Bösen“ nennen. Ich gehe auch davon aus, dass es früher oder später aufgrund der Geopolitik der USA zu einem Angriff auf den Iran, vielleicht auch auf Syrien kommt. Vor diesem Hintergrund wäre der Konflikt eine „Weichklopf-Aktion“, eine Vorstufe zu dem, was später kommen könnte. Die USA agieren unter dem vorgegebenen Zeichen von „Menschenrechten“ oder dem „Krieg gegen den Terror“ oder im Hinblick auf die Frage der Nuklearbewaffnung des Iran, doch weder der Krieg gegen den Irak noch gegen Afghanistan hatte etwas mit Menschenrechten oder gar mit Demokratisierung zu tun, sondern es geht um knallharte Hegemonialinteressen. Es wird von Seiten der USA versucht, eine Antwort zu geben auf die Frage, wie sich im 21. Jahrhundert die Blöcke bilden werden. Die Amerikaner haben angesichts dieser offenen Situation ein großes Interesse daran, sowohl die Golfregion als auch Zentralasien zu kontrollieren.
Die große Frage ist nun, welches Interesse hatte eigentlich Israel an diesem Krieg, vor allem an einem solchen Verlauf des Krieges, wie wir ihn am Ende kurz vor dem Waffenstillstand beobachten konnten? Man kann nämlich nicht davon ausgehen, dass Israel als „Gewinner“ aus diesem Krieg hervorgehen wird – viele Israelis denken ohnehin, dass dieser Krieg ein falsch geführter Krieg war. Nicht dass sie ihn prinzipiell abgelehnt hätten, aber die Ergebnisse empfinden viele Israelis als ganz und gar nicht befriedigend. Warum hat sich Israel also auf diesen Krieg eingelassen? Israel wollte in eine zweite Runde mit der Hizbollah gehen. Nach einem 18-jährigen Aufenthalt von 1982 bis 2000 ist der hastige Abzug der israelischen Armee aus dem Libanon unter Prämissen erfolgt, die eine ganze Menge offen ließ. Es war in der Tat der fluchtartige Rückzug, der in den letzten 6 Jahren die zunehmende Bewaffnung der Hizbollah und den Aufbau ihrer Infrastruktur im Süden Libanons ermöglichte – das wollte die israelische Regierung nochmals angehen. Ob diese Sache nun von Israel geplant war oder nicht, ist überhaupt nicht die Frage. In dem Moment, wo sich die Gelegenheit bot, wurde dieses objektive Interesse bedient. Doch in welcher Art und Weise dies erfolgte, steht auf einem anderen Blatt. Ich würde nämlich sagen, dass Olmerts Reaktion, spontan einen Krieg auszurufen, als wäre er von einer Tarantel gestochen, zeigt, dass hinter der von Israel dann weiter vorangetriebenen Eskalation auch eine gute Portion Affekt mit dabei war und nicht nur eine wenig wohlüberlegte politische wie militärische Planung.
Die Reaktion auf die Bedrohung war völlig überzogen
Israel hat sich aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen und hat den Libanon geräumt, trotzdem gehen die Angriff wie jetzt in Form der Hizbollah weiter. Ist das nicht ein unhaltbarer Zustand, auf den Israel nur mit Krieg angemessen reagieren kann?
Moshe Zuckermann: Der Rückzug aus dem Gaza und der Rückzug aus dem Libanon sind zwei unterschiedliche Dinge, auch wenn Hamas und Hizbolla zwei miteinander ideologisch verbündete Gruppierungen sein mögen. Der unilaterale Rückzug Israels aus dem Gaza-Streifen hat, obwohl er erst einmal zu begrüßen ist, das israelisch-palästinensische Problem mitnichten gelöst. Ganz im Gegenteil kann man sagen, dass eine neue Not im Gaza entstanden ist. Solange dieser Rückzug nicht damit verbunden ist, dass die Palästinenser auch ihren souveränen Staat bekommen, der als Staat natürlich auch die Westbank mit einschließen muss, ist das nur eine halbe Lösung. Die wichtigere Frage ist tatsächlich die des Rückzugs aus dem Westjordanland. Im Gaza-Streifen wurde ein neues Problem hinterlassen – ein Arbeitsmarktproblem, aber auch humanitäre Not. Die Hamas ist nun an der Regierung – und man muss sie als ein genuines Produkt der Politik Ariel Scharons begreifen, denn schließlich haben wir es ihm zu verdanken, dass die fundamentalistische Hamas bei den Palästinensern an die Regierung gelangt ist.
Der Israel-Palästina-Konflikt und der Rückzug aus dem Gaza haben eine ganz andere Einfärbung als der Konflikt im Libanon. Im Libanon gab es in der Tat eine Bedrohung der Grenzen und damit des Landes, doch die Reaktion auf diese Bedrohung war vollkommen überzogen. Ich will Ihnen realpolitisch ein mögliches anderes Szenario anbieten: Man hätte durchaus als erste Reaktion den Beschuss von Hizbollah-Stellungen, auch unter Zuhilfenahme der Luftwaffe, vornehmen können, um dann aber auf Verhandlungen über die entführten Soldaten, die ja der vorgebliche Anlass für die israelische Gewaltinitiative waren, umzuschwenken. Oder wenn man - eine andere Option - wirklich, aus welchen Gründen auch immer, Krieg machen wollte, hätte man ihn anders vorbereiten und durchführen, also seinen von Israel initiierten Beginn vertagen müssen. Was in den letzten Wochen jedoch stattgefunden hat, war eine chaotische Affekthandlung, in der unter Umständen schon gewisse Interessen Israels zum Ausdruck kommen, aber im Endeffekt war dieser Krieg für die Israelis schlecht. Selbst ich als großer Kritiker Ariel Scharons, den ich als einen Zerstörer der israelischen politischen Kultur ansehe, muss sagen, dass ihm dies nicht passiert wäre. Scharon hätte ganz anders operiert und hätte auch den Krieg weitaus konsequenter durchgezogen, als Olmert dies getan hat. Aber jenseits dieser immanenten Kritik gibt es natürlich auch eine ganz andere Möglichkeit: Man hätte sich einfach nicht von der Hizbollah provozieren lassen müssen. Die Entscheidung, dass man bei dem Angriff auf die Souveränität Israels gleich den großen Krieg entfacht, ohne die selbst gesetzten Ziele in diesem Krieg überhaupt erreichen zu können, ist genau das, was es zu hinterfragen gilt.
Am Anfang des Libanonkrieges schien sich nur ein sehr kleiner Teil der israelischen Linken gegen den Krieg auszusprechen. Was ist mit der Peace-Now-Bewegung, die sich anlässlich des Libanonkrieges 1982 gründete?
Moshe Zuckermann: Die zionistische Linke von Peace-Now spielt seit Anfang der 90er Jahre überhaupt keine Rolle mehr in der israelischen Öffentlichkeit, weil sie sich mit dem Aufstieg Rabins zur Macht schlafen gelegt hat. Sie meinte, dass nun ihr Mann an der Regierung sei und alles gut werde. Aus diesem Winterschlaf ist Peace-Now nicht mehr erwacht. Das ist ein ähnliches Phänomen, wie die Grünen in Deutschland, die als ehemalige Oppositionspartei mit Wurzeln im außerparlamentarischen Spektrum in dem Moment, als Fischer Außenminister wurde, meinte, dass sie nun ihre Ziele verwirklicht habe und "der Marsch durch die Institutionen" erfolgreich zum Abschluss gekommen sei. Peace-Now hat weder während der zweiten Intifada noch während des zweiten Libanonkrieges eine Rolle gespielt. Meines Erachtens ist die Bewegung ein totes Pferd, auf das man nicht mehr setzen kann.
Der Konsens hinter der Regierung war jüngst fast hundertprozentig, natürlich auch, weil der Gegner von fast allen Israelis gehasst wird. Auch als Kritiker meiner Regierung und Gegner dieses Krieges bin ich wahrhaft kein Anhänger der Hizbollah, weil ihre Krieger für meine Begriffe keine Freiheitskämpfer sind. Ideologisch steht die Hizbollah für finsterstes Mittelalter. Doch in dem Moment, an dem der Konsens in Israel anfing zu bröckeln, bröckelte es nicht von links. Auf dem linken Spektrum gibt es die nicht-zionistische Linke von Gush Shalom, das sind vier- bis fünftausend Leute, ein kleines Häuflein, das in Israel, ehrlich gesagt, nichts zu bestellen hat. Ich weiß das, denn auch ich gehöre diesem Spektrum an. Kurz vor dem Waffenstillstand waren kritische Stimmen zu Olmert und dem Kriegsverlauf von rechts zu vernehmen, die meinten, dass der Krieg nicht rabiat genug geführt wurde, nicht früh genug die Bodenoffensive eingeleitet worden sei, dass das Militär nicht so zum Zug kam, wie man es vom israelischen Militär in vergangenen Kriegen gewohnt war. Nun melden sich die Rechten wieder zurück, Leute wie Netanjahu, der sich zu Beginn des Krieges noch zurückgehalten haben, aber mit der Waffenstillstandsresolution vehemente Kritik äußern. Sie könnte auch zu größeren politischen Erosionen in Israel führen. Die Kritik richtet sich im Grunde an alle Seiten: sehr personalisiert in Richtung Olmert, der für diesen Job des kriegführenden Premiers als untauglich eingeschätzt wurde, und an den Verteidigungsminister, der als ehemaliger Gewerkschaftsführer als wenig kompetent fürs Militärische bezeichnet wurde. Auch Kritik am Generalstabschef ist zunehmend hörbar. Die zentrale Attacke kommt aus dem Umfeld der Rechten.
Wobei freilich hervorgehoben werden muss, dass im israelischen Parteienspektrum die Linke oder die Rechte ohnehin sehr eigentümliche Begrifflichkeiten sind. Olmert, der als Erbe Scharons die Abtrennung vom Gazastreifen durchgesetzt hat, gilt als links, sein Koalitionspartner ist die Arbeitspartei, die aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen auch als „links“ gilt. Dazu muss man aber auch wissen, dass es in der politischen Kultur Israels ein Paradox gibt: Wenn man Kriege gewinnen will, muss man die Arbeitspartei haben, wenn man Frieden haben will, muss der rechte Likud-Block (aus dem der Kern der Kadima-Partei hervorgegangen ist) am Ruder sein. Dann weiß man, dass die Opposition in dem Moment, in dem Krieg ist, auch mitzieht. Der jüngste Libanon-Krieg war ein relativ rabiater Krieg, weil ein großer Teil der Infrastruktur Libanons in Schutt und Asche gelegt wurde. Da konnte sich die Regierungspartei sicher sein, dass die rechte Opposition vom Likud, die ja für eine Hardliner-Position steht, in der heißen Phase kaum Einspruch erheben würde. Die Arbeitspartei selbst war im übrigen nie besonders pazifistisch.
Israel sollte eine Politik der Befriedung verfolgen
Halten sie denn eine pazifistische Position angesichts solcher Kräfte wie der Hizbollah für sinnvoll?
Moshe Zuckermann: Ich halte ohnehin nichts von einem Pazifismus per se. Solange wir in einer antagonistischen, konfliktgeladenen Welt leben, die von Gewalt bestimmt wird, ist Pazifismus um seiner selbst willen Unfug. Auch in einer Welt, in der ein Hitler agierte, war es nicht angeraten, dass die Sowjetunion oder die Bündnispartner des Westens diesem pazifistisch begegnen, sondern eine solche Figur galt es zu bekämpfen. Die große Frage dabei ist gleichwohl, wie es überhaupt dazu kommt, dass wir solche Kriege wie den gegen die Hamas oder die Hizbollah zu führen haben. Und da komme ich in meiner Diagnose zu Ergebnissen, die diametral dem entgegenstehen, was so einige deutsche Publizisten, die sich der Linken zugehörig fühlen, von sich geben.
Es gibt zwei Ebenen. Die eine ist die, dass wir es beim Iran mit einem ganz anderen Gegner Israels zu tun haben als mit einem "neuen Hitler". Die große Frage ist doch, bedroht der Iran Israel existenziell, kann er der Existenz wirklich Israels wirklich gefährlich werden? Meine Antwort ist: Nein. Wenn wir dieser Frage nachgehen, ist klar, dass der Iran Israel nur nuklear und nicht konventionell bedrohen könnte, und für dieses Szenario muss man einfach in Rechnung stellen, dass Israel, wie außerhalb Israels berichtet wird, ein hochgradig nuklear bewaffnetes Land ist. Es gibt heutzutage kein Land im Nahen Osten, das Israel bedrohen könnte, ohne seinen eignen Untergang damit festgeschrieben zu haben. Würde der Iran mit der existenziellen Bedrohung Israels ernst machen, würde er sich auch selbst existenziell bedrohen. Zur Zeit des Kalten Krieges hieß das "Gleichgewicht der Abschreckung" - und das gilt auch für den Nahen Osten, den Israel im äußersten Extremfalle eines Angriffs auf seine Existenz komplett in Schutt und Asche legen könnte. Insofern stellt der Iran ein Gefahrenpotential dar, aber es ist als solches nur dann bedrohlich, wenn man auf die Rhetorik des iranischen Staatspräsidenten fixiert bleibt. Eine existentielle Bedrohung stellt der Iran nicht dar. Zur Zeit schon gar nicht.
Die zweite Problemebene kann meines Erachtens entkernt werden. Auf dieser Ebene stellt sich die Frage, ob Israel bereit ist, sich darauf einzulassen, in der es unmittelbar umgebenden Region eine Politik in Richtung Befriedung zu verfolgen. Mit Ägypten und Jordanien hat man ja schon Frieden geschlossen. Nun kommt die große nächste Frage: Ist die israelische Regierung bereit, Verhandlungen um die Golan-Höhen zu führen, in denen man auch bereit ist, mit Syrien zu sprechen. Das wiederum hieße in letzter Konsequenz, auch Frieden mit dem Libanon erreichen zu können.
Die zentrale Frage ist aber nach wie vor die des Israel-Palästina-Konflikts. Es muss zu einer Beilegung dieses Konflikts kommen, und zum jetzigen Zeitpunkt heißt das, zu einer Zwei-Staaten-Lösung zu finden. Eine solche Zweiteilung müsste auch für Jerusalem als Hauptstadt beider Staaten gelten, zudem müsste eine symbolische Anerkennung des Rückkehrrechts der Palästinenser stattfinden. Symbolisch deshalb, weil nicht alle Exilpalästinenser nach Israel zurückkommen wollen und können, sondern ein gewisses politisch verhandelbares Quantum nach Israel zurückkehren soll. Am wichtigsten wäre dabei die Räumung der besetzten Gebiete. Sollte das alles gemacht werden, wäre das ein gewaltiger Schritt in Richtung Befriedung der Region. Endlich würden sich ganz andere Probleme stellen. Israel wäre dann zumindest nicht mehr instrumentalisierter Anlass für Kriege und Gewalteskalationen. In einigen arabischen Ländern wäre es sehr viel schwieriger, sich immer wieder auch auf Kosten der Palästinenser und ihrer Probleme Israel vorzuknöpfen, damit die Regimes soziale Spannungen abbauen können, indem Israel zum Sündenbock abgestempelt wird. Israel hat es in der Hand, mit den Palästinensern und mit Syrien einen Frieden zu schließen und dann wäre die Strategie des Irans meines Erachtens auch nicht mehr zugkräftig.
Man vergisst übrigens gerne, dass der fundamentalistische palästinensische Islam ein Ergebnis der Politik ist, die Israel verfolgt hat, um über Jahrzehnte die PLO zu schwächen, die eine säkulare Kraft und in ihrem Selbstverständnis demokratisch war, zumindest keinen theokratischen Staat anstrebte. Vor allem in den 70er Jahren hat Israel die religiösen Kräfte unter den Palästinensern gegen Arafat unterstützt, den man als „neuen Hitler“ darstellte. Und so hat Israel, dialektisch, ohne freilich zu wissen, was es tut, die Kräfte geschürt, die nun tatsächlich ein Problem darstellen. Der islamische Fundamentalismus ist darüber hinaus ja ein globales Phänomen. Wir müssen, um es zu verstehen, weit zurück in die Zeit des Kolonialismus und zu den Reaktionen auf diesen gehen, um zu begreifen, wie es zu dieser fundamentalistischen Kraft kommen konnte.
Einige Publizisten sprechen von einem „Islamofaschismus“. Auch George W. Bush hat jüngst wieder verkündet, der Westen befände sich im Krieg mit „Islamic fascists“.
Moshe Zuckermann: Das ist ein hanebüchener Ausdruck. Der islamistische Fundamentalismus hat mit Faschismus, betrachtet man die Analysen des Faschismus, die in den 60er Jahren geleistet wurden, gar nichts zu tun. Wenn wir unter Faschismus verstehen, was sich in einer bestimmten Epoche in Italien, Ungarn, Spanien, später dann als Nationalsozialismus in Deutschland in einer radikalisierten Sonderform formierte, so stellt dies etwas ganz anderes dar als die Bewegungen des radikalisierten Islam. Der Islam ist von ganz anderen Momenten angetrieben und hat ganz andere Zielsetzungen. Das hat nichts miteinander zu tun. Man muss schon den Begriff des Faschismus inhaltlich entleeren, um oberflächliche Ähnlichkeiten ausmachen zu können. Will man mit „Islamofaschismus“ nur ausdrücken, dass es sich um den Kult einer monolithischen Ideologie handelt? Dann muss man sich aber dennoch mit der Tatsache auseinandersetzen, islamische Fundamentalismus theokratisch ist, während der Faschismus tendenziell nicht- oder auch antireligiös war. Ich halte diesen Begriff für inhaltsleeres Gerede. Natürlich greifen auch einige europäische Linke das gerne auf, denn was wäre gerade für Linke attraktiver, einen Kampf gegen den "Faschismus" führen zu können. Der Primat des Staates, wie er im historischen Faschismus eine Rolle spielte, spielt beispielsweise im islamischen Fundamentalismus eher eine untergeordnete Rolle. Oder die Figur des monolithischen „Volksgenossen“ im Nationalsozialismus ist im Islam nicht anzutreffen. Auch die Vorstellung von „Gemeinschaft“ ist im Islam ganz anders als das, was im Begriff der "Volksgemeinschaft" anklingt. So kann beispielsweise die Ummah auch im Sinne der Diaspora verstanden werden. Von daher glaube ich, dass dieser Begriff eher polemisch als analytisch gebraucht wird. Die Tatsache, dass ihn Bush verwendet, ist im übrigen Grund genug, ihn nicht zu verwenden. Es drängt sich ja eine andere Frage auf, nämlich ob die zu weiten Teilen freiwillig erfolgte Gleichschaltung der USA im Kampf gegen den Fundamental-Islam nach dem 11. September, was die Presse und ähnliches betrifft, nicht als eine Faschisierung der Gesellschaft zu bezeichnen wäre.
Israel hat sich darauf spezialisiert, seine Grenzen zu verwischen
Sie haben sich mit Erinnerungspolitik in Israel und in Deutschland auseinandergesetzt, auch mit der Instrumentalisierung der Erinnerung. Der Historiker Dan Diner schrieb zum jüngsten Libanonkrieg: „ ...auf die Unverletzlichkeit seiner Grenzen von 1948 kann der jüdische Staat bei Strafe seines Untergangs nicht verzichten. Bei ihnen handelt es sich für das israelische Bewusstsein um die Grenze, die von Auschwitz gezogen wurde. Das einzige, was diese Grenzen zu schützen vermag, ist die Abschreckung.“ Ist das eine realitätsgerechte Beschreibung?
Moshe Zuckermann: Ich kenne diese Äußerung selbst nicht und in welchem Kontext sie steht, aber wenn jemand in Israel die Vorstellung präsentieren würde, dass die Unverletzbarkeit der Grenze auf Auschwitz zurückzuführen sei, dann würden alle in ein schallendes Gelächter ausbrechen. Bei aller Instrumentalisierung der Erinnerung und des Holocaust, die es sonst gibt, würde niemand in Israel auf die Idee kommen, zu einer solchen These zu greifen. Man braucht, um die Souveränität der eigenen Grenzen zu schützen, Auschwitz nicht. So weit geht die Instrumentalisierung von Erinnerung nicht einmal hier.
Aber es gibt doch ein ganz anderes Problem gerade im Hinblick auf die Souveränität der eigenen Grenzen: Israel hat sich die letzten 40 Jahren darauf spezialisiert, die eigenen Grenzen zu verwischen. Israel ist es, das überhaupt keine Vorstellung von seinen eigenen Grenzen hat, denn wenn man von der 48er-Grenze redet, dann darf man nicht vergessen, dass das die Grenze ist, die bis zum Jahr 1967 gehalten hat. Seit 1967, und vor allem seit Mitte der 70er Jahre, hat Israel durch seine Siedlungspolitik in der Westbank, aber auch im Gaza-Streifen, die nun beendet ist, den Begriff der Grenze selbst ins Nebulöse geraten lassen. Vor diesem Hintergrund wären die letzten, die auf eine Autonomie, sichererer Grenzen zu pochen hätten, die Israelis selbst. Auch der Ausbau der Mauer, die gerade in der Westbank errichtet wird und mit der man nun meint, Probleme des Terrors lösen zu können, geht mit einem alten israelischen Phänomen einher: mit dem Landraub. Israel nimmt den Palästinensern mit diesem Mauerbau nochmals 15-20 % Teile ihres Landes weg. Wenn es irgendein Land gibt, das vorgibt, Grenzen zu haben, aber diese Grenzen immer wieder expansionistisch überschritten hat und durch Okkupation ins Unbestimmte verrückt hat, dann ist das Israel. Wenn man nun sagt, ein solches Land musste sich gegen die Hisbollah-Provokation genau auf die Art und Weise wehren, wie es im Krieg geschehen ist, und bemüht dafür auch noch die Auschwitz als Erinnerung, dann halte ich das, gelinde gesagt, für dummes Geschwätz.
Deutsche Soldaten sollen nun Teil eines UN-Kontingents sein, das im Libanon stationiert wird. Auch diese Frage erfährt in Deutschland eine geschichtspolitische Aufladung. Einige Befürworter eines Auslandseinsatzes argumentieren, man müsse aus historischen Gründen zum Schutz Israels in den Libanon.
Moshe Zuckermann: Ich halte einen solchen Einsatz deutscher Truppen an Israels Grenze für ganz und gar nicht wünschenswert. Zunächst und vor allem, weil sich die allermeisten jüdischen Israelis mit einem solchen Gedanken nur schwerlich anfreunden könnten, viele andere eine Zustimmung der israelischen Regierung zu einem solchen Angebot für regelrecht schändlich erachten würden. Aber man muss sich auch selbst nur vorstellen, was es bedeuten würde, wenn es bei bestimmten Konstellationen, die nicht undenkbar wären, zu einem Schusswechsel zwischen israelischen und deutschen Soldaten und zu Toten kommen würde. Völlig unausdenkbar, was das für Emotionen auslösen würde, die auch politische Auswirkungen zeitigen dürften. Geschichtspolitische Aufladung erfährt diese Frage also nicht nur in Deutschland, sondern auch in Israel, wobei man freilich gestehen muss, dass es bislang nicht zur öffentlichen Debatte über dieses Thema kam, weil ja kein konkretes Angebot vorlag. Darüber hinaus möchte ich aber anmerken, dass es mir lieber wäre, wenn Deutschlands Bemühung um "Normalisierung" im internationalen Bereich nicht übers Militärische liefe. Ich habe deutsche Zurückhaltung auf diesem Gebiet immer für eine adäquate "Lehre" aus der katastrophischen deutschen Vergangenheit gehalten. Gerade die Durchbrechung dieses ehemaligen Tabus verheißt meines Erachtens keine begrüßenswerte Wende im deutschen Selbstverständnis.