Der italienische Michael Moore
Ein Blogger schafft es, einen Gesetzesvorschlag per Unterschriftensammlung einzubringen
Das parlamentarische System Italiens ist notorisch fragil, und die Wählerzufriedenheit niedrig. Jetzt macht sich ein Komiker und Blogger daran, das zu ändern.
Beppe Grillo ist ein öffentlichkeitsbewusster Komiker, der in den Achtzigern und Neunzigern in Fernsehshows politische Satire betrieb und damit öfters aneckte. In den letzten Jahren verlegte er seine Aktivität in einen Blog, der ganz außergewöhnlichen Erfolg hat – Technorati hatte ihn zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels auf Platz 10 - und er steht weitgehend allein in dieser Top-Liste als Site mit ccTLD.
Derzeit macht Beppe Grillo auch in den Printmedien Schlagzeilen - und das hängt mit seiner V-Day-Initiative zusammen. V steht dabei nicht für „Victory“, sondern für „Vaffanculo“, was die kontrahierte Form des Imperativs von „andare a fare in culo“ darstellt; die häufig verwendete deutsche Wiedergabe „Leck’ mich“ mag denselben Inhalt, aber kaum die Vulgarität des Originals transportieren.
Der V-Day fand am 8. September statt, und zwar in über 200 Orten gleichzeitig – die meisten davon in Italien. Aber auch in New York, Tokio oder Las Palmas konnte man der italienischen Politik den Stinkefinger zeigen. Außerdem sammelte Grillo Unterschriften für einen Gesetzesvorschlag. Er erhielt 332.225 – gereicht hätten 50.000.
Nun dürfen sich also die Abgeordneten mit der Initiative Grillos befassen, die aus drei Teilen besteht: Erstens sollen die Kandidaten, die zu Wahlen antreten, durch Vorwahlen von den Bürgern bestimmt werden. Dieser Teil wirft die wenigsten Kontroversen auf, ist aber gleichwohl problematisch. Wenn jeder bei jeder Partei mitbestimmen darf, würden die Kandidaten der kleinen Parteien vom Mainstream dominiert werden, was die Wähler der kleinen Parteien komplett ausgrenzen würde.
Viele Beobachter sehen deshalb in eine flexible Liste, bei der der Wähler in der Abstimmung die Personen verschiebt, die bessere Lösung. Eine andere Lösung wäre, dass sich Wähler nach Parteipräferenz registrieren, wie bei den amerikanischen Präsidentschaftsvorwahlen. Allerdings ließe sich argumentieren, dass, wer bei einer solchen „Vorwahl“ mitwirken will, schon jetzt einer Partei beitreten („Wählerregistrierung“) und bei der Kandidatenaufstellung („Vorwahl“) mitwirken kann – was ihn allerdings Geld kostet. Der Parteibeitritt sorgt potentiell dafür, dass die Leute grundlegende Informationen über die Kandidaten haben, über die sie direkt (als Delegierte) oder indirekt (als Wähler der Delegierten) entscheiden. Würde sich diese Vorauswahl auf den weniger engagierten Wähler ausdehnen, dann würden (Vor-)Wahlkämpfe möglicherweise noch medienintensiver und inhaltsleerer – siehe USA.
Der zweite Teil des Referendums zielt auf die Begrenzung der parlamentarischen Tätigkeit auf zwei Legislaturperioden. Im derzeit bestehenden Modell spielt "Erfahrung" eine so große Rolle, dass sich Abgeordnete innerhalb von acht Jahren kaum die "Kompetenzen" für Führungspositionen erarbeiten können. Allerdings lässt sich argumentieren, dass ein großer Teil der "Erfahrung" in der Politik nur deshalb notwendig wird, weil die Verweildauer von Politikern die Entstehung informeller Netzwerke ermöglicht. Würde diese Verweildauer nicht nur für einzelne, sondern für alle Abgeordneten begrenzt, könnte sich dies möglicherweise ändern.
Der dritte Teil der Gesetzesinitiative klingt gut, hat aber in den Details Haken: Wer „vorbestraft“ ist, soll nicht mehr ins Parlament dürfen. „Vorbestraft“ steht hier in Anführungszeichen, weil dieses Merkmal im italienischen Rechtssystem nicht unbedingt mit der deutschen Vorstrafe vergleichbar ist.
Fraglos hat Italien hier in größeres Problem als viele andere europäische Ländern. Derzeit sitzen massiv vorbestrafte Abgeordnete im italienischen Parlament: Unter anderem Steuersünder, Bestecher, Brandstifter und Bombenbastler - was nicht gerade das Bürgervertrauen stärkt. Auf der anderen Seite würde ein Gesetz in der von Grillo vorgeschlagenen Form auch Lino Januzzi betreffen, der in 60ern wegen „schwerer Verleumdung“ zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, als er als Journalist Pläne für einen Staatstreich aufdeckte und publizierte.
Auch Grillo selbst wäre nicht wählbar, da er 1980 einen schweren Autounfall und dadurch den Tod dreier Menschen verursachte, was ihm eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung einbrachte. Trotzdem will er demnächst auf einer Bürgerliste für ein Kommunalparlament kandidieren.