Der lange Weg nach Inisfree

The Birth of a Nation

John Ford zwischen Hollywood und Irland

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Vor vierzig Jahren, am 31. August 1973, starb der große Geschichtenerzähler John Ford, dem wir außerordentlich vielschichtige, unter der inneren Anspannung ihres Schöpfers und ihrer Helden fast zerberstende Filme verdanken, wie es sie heute nicht mehr gibt, weil Hollywood vergessen hat, wie sie gemacht werden. Aus diesem Anlass: Eine Erinnerung an einige seiner Meisterwerke und eine Annäherung an das, was Andrew Sarris das John-Ford-Film-Mysterium genannt hat.

... reitet für den Ku Klux Klan

Die Werbekampagne zu Django Unchained informierte uns nicht nur darüber, dass es in den USA die Sklaverei gegeben hatte und vor Quentin Tarantinos Rache-Opus angeblich keinen Film zum Thema, sie förderte auch schockierende Einsichten über John Ford zutage. "Um das Mindeste zu sagen", so Tarantino in einem Interview mit The Root, "ich hasse ihn." Warum? Nein, nicht wegen der "gesichtslosen Indianer, die er tötete wie Zombies". Das wohl auch, aber vor allem: John Ford spielte ein Mitglied des Ku Klux Klan in D. W. Griffiths The Birth of a Nation, war deshalb ein schlimmer Mensch und trug wissentlich dazu bei, den Irrglauben über die Überlegenheit der weißen Rasse zu verbreiten (was vermutlich irgendwie zu seinen Western führte). Diese Erkenntnisse wurden vom Internet und den traditionellen Medien dankbar aufgegriffen und reproduziert.

Tarantino arbeitete früher in einer Videothek. Bestimmt wusste er, was da für übles Zeug im Regal stand. Hier sollen daraus aber keine Rückschlüsse auf den Charakter dieses Regisseurs und den politischen Gehalt seiner Werke gezogen werden. Es soll auch nicht darüber spekuliert werden, ob es Tarantino dereinst gelingen wird, mehr als der Mann zu sein, der Themen und Repräsentationsformen des übel beleumundeten Exploitation- und Eurotrash-Kinos mainstream-kompatibel machte und dafür zum Liebling mancher Mainstream-Kritiker wurde. Vielmehr soll es um John Ford gehen, der - jenseits aller Modeerscheinungen - seinen Platz in der Filmgeschichte sicher hat. Bei Tarantino muss sich das noch zeigen. Wenn man sich wie er in die Zitate-Falle manövriert hat möchte man natürlich gerne originell sein. Er sei als erster auf den Gedanken gekommen, sagt Tarantino im Root-Interview, dass den Klan-Mitgliedern beim Reiten die Kapuze verrutscht sei und sie dann nichts mehr hätten sehen können. Offenbar trifft sogar für den Anekdotenschatz von Hollywood zu, was Sidney Lumet 1973 auch im Namen von Orson Welles, Ingmar Bergman, Frank Capra, Howard Hawks, Akira Kurosawa, Elia Kazan und Samuel Fuller über Fords Filme sagte: "Fast alles von dem, was einer von uns getan hat, kann man in einem John-Ford-Film finden."

Meines Wissens begann Ford in den 1960ern, die in verschiedenen Versionen überlieferte Anekdote zu erzählen, wie er 1914 nach Orange County fuhr, um zuzusehen, wie Griffith die Zusammenkunft der Klans drehte, wie er dann als Komparse mitritt und wie er mit einer Hand die Kapuze hochhielt, weil sie ihm sonst über die Brille gerutscht wäre. Tatsächlich gibt es ein Photo, auf dem einer der Klansmänner, ein nicht eindeutig als John Ford zu identifizierender Brillenträger, das so macht. Mae Marsh bestätigte die Geschichte später. Sie spielt in The Birth of a Nation eine der weißen Frauen, die von den außer Rand und Band geratenen Schwarzen mit Vergewaltigung bedroht werden, weshalb der Klan zu ihrer Rettung anrückt. Selbstverständlich ist der schwarze Vergewaltiger ein rassistisches Stereotyp und die Darstellung des KKK in The Birth of a Nation ein übler Fehlgriff. Weniger klar ist, warum Mae Marsh, ein Star des Films, bemerkt haben sollte, dass der zukünftige Regisseur John Ford in einer von den vielen Kutten steckte.

The Birth of a Nation

Interessanter als die Frage, ob die Anekdote stimmt oder nicht ist diese: Was brachte Ford dazu, sich auf dem Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung zu seiner Mitwirkung an der berüchtigsten Episode eines als rassistisch gebrandmarkten Films zu bekennen, diese womöglich sogar zu erfinden, während andere sie schamhaft verschwiegen hätten? Eine auf seine Biographie und sein Werk gestützte Antwort könnte in etwa lauten: Weil er aus seiner Bewunderung für Griffith - nicht als Apologeten des Ku Klux Klan, sondern als Filmpionier, ohne dessen ästhetische Innovationen das heutige Hollywood-Kino nicht denkbar wäre, auch das von Quentin Tarantino nicht - nie ein Hehl machte und weil er ein Rebell und ein Nonkonformist war, ein Mann mit einer Liebe zu hoffnungslosen Fällen und zum Kampf auf verlorenem Posten, der Leute vor den Kopf stieß, indem er das Gegenteil von dem sagte, was gerade opportun gewesen wäre. Das war der Ausdruck der sehr komplexen Persönlichkeit eines notorisch schwierigen Interviewpartners, der Fragesteller gern auflaufen ließ, um ihnen zu bedeuten, dass er seine Filme für sich sprechen lassen wollte, statt diese wortreich zu erklären.

The Birth of a Nation

In seinen letzten Lebensjahren wurde Ford von denen, die sich als die Opposition gegen das Establishment und den US-Imperialismus in Vietnam verstanden, als Reaktionär geschmäht, als Relikt aus dem Kalten Krieg. Im März 1973 überreichte ihm das American Film Institute bei einem insgesamt ziemlich peinlichen Gala-Dinner den ersten Life Achievement Award. Ehrengast war Richard Nixon. Im Saal wurde Ford von Kollegen aus allen politischen Lagern als größter amerikanischer Filmemacher seit Griffith gefeiert, Nixon zeichnete ihn mit der Freiheitsmedaille aus, der höchsten zivilen Ehrung des Landes, und die United States Marine Band spielte die Musik dazu. Vor dem Hotel hatten sich mehrere tausend Demonstranten versammelt, darunter Jane Fonda und ihr damaliger Lebensgefährte Tom Hayden (einer von den Chicago Seven), um gegen die Veranstaltung zu protestieren.

Sergeant Rutledge

Der krebskranke, bereits vom Tod gezeichnete Ford hatte vorher noch die Kraft aufgebracht, die Kontroverse durch einige Pro-Nixon-Bemerkungen anzuheizen. Bis heute hängt ihm das nach. Wer allerdings der Meinung ist, dass man einen Regisseur nach seinen Filmen beurteilen sollte, statt nach seinen Äußerungen oder Anekdoten mit Klan-Kapuzen, sehe sich Sergeant Rutledge (1960) an, Fords Film über eine militaristische Gesellschaft, über die von ihr propagierten Moralvorstellungen und darüber, wie eine solche Gesellschaft mit Abweichlern umgeht. Ein afroamerikanischer Soldat wird da zur Projektionsfläche und zum Sündenbock für die Mord- und Vergewaltigungsphantasien der Weißen. Die Rolle einer üblen Rassistin hat Ford mit Mae Marsh besetzt, die in The Birth of a Nation von lüsternen Schwarzen belagert wird. Auch das ist eine politische Aussage.

Mit Jimmy Stewart in Pappys Buchhandlung

Orson Welles antwortete einmal auf die Frage nach seinen Vorbildern, dass er besonders von den alten Meistern gelernt habe: Von John Ford, von John Ford und von John Ford. Ford wird auch da Respekt bekundet, wo man gar nicht damit rechnen würde. In Alfred Hitchcocks Vertigo gehen Ferguson und seine Freundin Midge in die Argosy-Buchhandlung von Pop Leibel, um mehr über die mysteriöse Carlotta Valdez zu erfahren. Vorbild war die Buchhandlung The Argonaut in San Francisco. Aber warum wurde im Film der Argosy Book Store daraus? Bei dem Namen denkt man vielleicht zuerst an das Schiff Argo, mit dem Jason sich aufmacht, das Goldene Vlies zu holen, womit wir wieder bei den Argonauten wären. Offenbar handelt es sich jedoch um eine Variante von ragusea, einem italienischen Begriff zur Bezeichnung eines großen Handelsschiffs (Shakespeare in The Taming of the Shrew und Melville in Moby-Dick verwenden das Wort argosy in dieser Bedeutung). Und was hat das mit John Ford zu tun, dem Western-Regisseur? Ganz einfach. Ford, der nie zugegeben hätte, ein Shakespeare- und Melville-Kenner zu sein und lieber die Rolle des ungebildeten und irgendwie primitiven Provinzlers spielte, war ein Vielleser und ein Intellektueller, ein begeisterter Segler und linguistisch interessiert. Als er Ende der 1930er mit Merian C. Cooper (einem der Schöpfer von King Kong) eine eigene Firma gründete, nannte er sie Argosy.

Vertigo

Pop Leibels Argosy Book Store in Vertigo ist Hitchcocks Hommage an Ford, den seine erweiterte Filmfamilie, also diejenigen, die regelmäßig mit ihm zusammenarbeiteten, "Pappy" nannte. In Pops Buchhandlung erfährt man Dinge, die nicht in den herkömmlichen Geschichtsbüchern stehen, so wie Pappy im Kino Episoden aus der amerikanischen Geschichte erzählt, die dem, was man in der Schule lernt, neue Facetten hinzufügen. Ford betont dabei den multikulturellen Charakter der amerikanischen Gesellschaft (auch ein Thema von Vertigo), was man so bei keinem anderen Regisseur finden wird, der wie er im auf das weiße angelsächsische Paar fokussierten Studiosystem von Hollywood arbeitete. Wer außer Ford hätte in den 1930ern einen Film gedreht, der nicht mit dem weißen Helden endet, sondern mit seinem schwarzen Freund und dessen Familie (The Prisoner of Shark Island)? Von heute aus betrachtet wirkt die Figur des schwarzen Buck wie eine peinliche Karikatur. Damals, 1936, war Fords Umgang mit den Schwarzen - auch und besonders in der Interaktion mit den Weißen - gewagter als alles, was ich in Django Unchained erkennen kann. Einer wie Ford öffnete die Türen, die Tarantino jetzt einrennt.

Bevor wir zu den Schwarzen und den Indianern kommen empfiehlt es sich, mehr über Ford und seine Art des Filmemachens in Erfahrung zu bringen. Kein schlechter Anfang ist The Quiet Man, mit dem er sich in das Land seiner Ahnen begab, die aus Spiddal in der irischen Provinz Connaught stammten. Ford beschäftigte sich nicht mit der Vergangenheit, um in diese zu entfliehen, sondern weil er der Überzeugung war, dass man sie kennen muss, um die Gegenwart zu verstehen. Ein Blick ins Geschichtsbuch kann also auch hier nicht schaden.

1641 brach in Ulster ein Aufstand los, der sich rasch ausbreitete und das Ziel verfolgte, Irland den Iren zurückzugeben. 1649 landete der Puritaner Oliver Cromwell mit einem bestens ausgerüsteten Heer von 12.000 Mann in der Nähe von Dublin, um die Insel wieder unter Kontrolle zu bringen. Cromwells von religiösem Fanatismus geprägter Eroberungsfeldzug war an Grausamkeit kaum zu überbieten. Auch finanzielle Erwägungen spielten eine Rolle: auf Kosten Irlands sollte die Staatskasse saniert werden. Menschen wurden massakriert oder sie verhungerten. Katholische Grundbesitzer wurden zu Gunsten von Protestanten enteignet und mussten sich fortan als Tagelöhner verdingen. Viele der Vertriebenen wurden in das Gebiet westlich des Shannon umgesiedelt, in die bis dahin fast menschenleere, wenig fruchtbare und landwirtschaftlich kaum erschlossene Provinz Connaught. Dort ging der Hunger weiter. Man schätzt, dass Irland unter Cromwells Gewaltherrschaft etwa die Hälfte seiner katholischen Bevölkerung verlor.

Ford, der mit bürgerlichem Namen John Martin Feeney hieß und am 1. Februar 1894 in Cape Elizabeth im US-Bundesstaat Maine geboren wurde, identifizierte sich sehr mit der alten Heimat und dem Schicksal seiner Vorfahren. Seine Eltern gehörten zu den Millionen von Iren, die im 19. Jahrhundert in die USA auswanderten und dort nicht eben mit offenen Armen willkommen geheißen wurden, obwohl man sie als billige Arbeitskräfte dringend brauchte, um den eigenen Wohlstand zu vermehren. Die Feeneys wussten genau, dass sich die Aktivitäten des Ku Klux Klan nicht auf die Verfolgung von Menschen mit dunkler Hautfarbe beschränkten. In Portland, wo Fords Vater einen Saloon betrieb, sah sich der Klan aufgerufen, die Interessen der alteingesessenen Yankees zu verteidigen, indem er Minderheiten terrorisierte, die sich durch die gemeinsam erlittene Diskriminierung verbunden fühlten: Katholiken aus Irland, jüdische Einwanderer aus Osteuropa, Afroamerikaner. Wenn Ford also - tatsächlich oder in einer von ihm erfundenen Anekdote - in eine Klanskutte schlüpfte, ritt da einer in der Maske des Feindes mit, der, ausweislich seiner Herkunft und seiner Filme, dem anderen Lager angehörte, was nicht bedeutet, dass es in diesen Filmen keine rassistischen Elemente gibt. Etwas anderes zu erwarten, wäre naiv. Ich möchte den Film sehen (oder eventuell auch nicht), den ein Quentin Tarantino in den USA der 1930er oder der 1940er gedreht hätte.

Ford verbrachte einen Teil seiner Kindheit im ländlichen Port Elizabeth, wo er lernte, was Diskriminierung ist, weil er und seine Geschwister zu den wenigen katholischen Kindern dort gehörten; und den anderen Teil in Portland, wo man sich als Katholik unter Katholiken geborgen fühlen konnte, dies jedoch mit einer Ghettoexistenz bezahlte. In den frühen 1920ern, als er längst in Hollywood lebte, dürfte er das Erstarken des Klans in Maine aufmerksam beobachtet haben. Der Zulauf, den der KKK damals erfuhr, wird gern Griffith und The Birth of a Nation angekreidet, weil der Rassistenverein da romantisiert wird. Tarantino stellt die Romanvorlage, Thomas Dixons The Clansman, auf eine Stufe mit Hitlers Mein Kampf. Das ist vermutlich polemisch gemeint, weckt aber auch Zweifel an der Fundiertheit seiner historischen Forschungen, weil sich solche Gleichsetzungen eigentlich verbieten. Ganz so einfach wie im Geschichtsbuch des Dr. Tarantino war es nicht. In Maine gelang es dem Klan, ein politisches Bündnis mit den Republikanern zu schmieden, indem er Stimmung gegen eine vermeintliche Überfremdung machte - dieses Mal nicht durch Schwarze, Iren oder Juden, sondern durch katholische Frankokanadier. Die Intoleranz lauert überall. Ford der Nonkonformist vergaß das nie. Seine Sympathie galt den Außenseitern. Ob er diese immer so darstellte, wie sie es selbst gern gehabt hätten oder wie es aus heutiger Sicht politisch korrekt wäre, steht auf einem anderen Blatt.

Mit Michael Collins in Irland

Im November 1921 brach Ford zu einer Europareise auf, die ihn auch nach Irland führte. Ungefährlich war das nicht. 1919 begann die IRA einen Guerrillakrieg gegen die britischen Besatzer, die ihrerseits mit brutalsten Unterdrückungsmaßnahmen reagierten und eine paramilitärische Polizeitruppe aufstellten, die "Black-and-Tans", deren Vorgehensweise mehr mit Todesschwadronen in südamerikanischen Militärdiktaturen als mit den Ordnungshütern eines demokratischen Staates zu tun hatte. In The Informer (1935) dringen die Tans ohne viel Federlesens und ohne richterlichen Beschluss in ein Haus ein, in dem sie den von Gypo Nolan verratenen Frankie McPhillip erschießen. Damals war den Amerikanern die Unverletzlichkeit der Wohnung noch wichtiger als heute, da alles erlaubt scheint, wenn es dem "Krieg gegen den Terror" dienen könnte. Darum hatte das eine stärkere Wirkung. Ford verarbeitete hier persönliche Erfahrungen.

The Informer

Als Ford in Irland eintraf, gab es seit einigen Monaten einen Waffenstillstand zwischen der Sinn Féin (der politische Arm der IRA) und der britischen Regierung. Was klingt wie eine typische Ford-Anekdote, wird durch die Recherchen von Joseph McBride bestätigt: Ford fuhr auf demselben Schiff nach Dublin, mit dem der IRA-Führer Michael Collins zurückkehrte, um die Ergebnisse der Londoner Friedensverhandlungen zu präsentieren. In der phantasievollsten Version von Fords Irland-Aufenthalt taucht der Regisseur ein halbes Jahr ab, um sich dem bewaffneten Freiheitskampf anzuschließen. McBride, Autor der besten Ford-Biographie, hat seinen Reisepass eingesehen und festgestellt, dass er im Dezember 1921 nur drei oder vier Tage in Irland gewesen sein kann.

The Informer

Ford fuhr nach Spiddal, wo die Black-and-Tans kürzlich einige Häuser seiner Verwandten niedergebrannt hatten, der Feeneys und der Thorntons (Erinnerungen daran schwingen immer mit, wenn in seinen Western die Indianer die Häuser der weißen Siedler anzünden, in Drums Along the Mohawk oder in The Searchers). Sein Cousin Martin Feeney hielt sich mit einem IRA-Kommando in den Bergen versteckt. Er berichtete später, dass Ford sich mit Geld und Verpflegung zu ihnen durchgeschlagen habe und dass ihn die Black-and-Tans verprügelt hätten. Die Behörden ließen den ungebetenen Besucher schließlich festnehmen und setzten ihn mit der Drohung in die nächste Fähre, ihn ins Gefängnis zu werfen, wenn er wiederkommen sollte. Das war kein Spaß. In irischen Gefängnissen wurde gefoltert, Menschen verschwanden spurlos oder kamen unter seltsamen Umständen zu Tode.

The Searchers, Drums Along the Mohawk

Diese drei oder vier Tage hinterließen bei Ford einen bleibenden Eindruck, politisch wie emotional. Irland war für ihn die zweite Heimat, und er versuchte immer wieder, sie auf die Leinwand zu bringen. Wenn es ihm trotz mangelnder Gegenliebe bei den Produzenten gelang, war oft ein wichtiger Karriereschritt damit verbunden. In Hangman's House (1928) paart sich das Studio-Irland mit dem deutschen Expressionismus (Murnau war eine wichtige Inspirationsquelle), man kann erkennen, dass Ford dabei ist, einen eigenen Stil zu entwickeln, und einmal ist ganz kurz der junge John Wayne zu sehen. The Informer, wieder mit Victor McLaglen in der Hauptrolle, wieder mit der IRA, mit Rache und Verrat, brachte Ford den ersten Oscar ein. Mit Famine, Liam O'Flahertys Roman über die große Hungersnot von 1845 bis 1852, durch die Irland ein Drittel seiner Bevölkerung verlor (eine Million Tote, zwei Millionen Auswanderer), ging er fast zwanzig Jahre lang bei den Hollywood-Studios hausieren, ohne eines von ihnen erweichen zu können (zu unkommerziell). Zu scheitern drohte auch das Irland-Projekt, das ihm am meisten am Herzen lag und aus dem er einen seiner persönlichsten Filme machte: The Quiet Man.

Familienausflug

Maurice Walshs Geschichte um den irisch-amerikanischen Boxer, der nach Irland zurückkehrt, sich im Unabhängigkeitskrieg der IRA anschließt, eigentlich aber nicht mehr kämpfen will und dies doch erneut tun muss, weil seine Angebetete einen Schläger zum Bruder hat, erschien 1933 in der Saturday Evening Post und 1935, in erweiterter Form, im Erzählband Green Rushes. Ford erwarb 1935 eine Option auf die Filmrechte, konnte aber keinen finden, der Geld in das Projekt stecken wollte. Als er und Cooper nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Produktionsfirma wiederbelebten, die Argosy Pictures Corporation, geschah dies nicht zuletzt in der Absicht, die Geschichte nun endlich zu verfilmen. Dem stand allerdings eine andere von Fords Herzensangelegenheiten im Wege. In The Fugitive spielt der fehlbesetzte Henry Fonda einen katholischen Priester in einem atheistischen Staat, der nicht mehr saufen und mit Frauen schlafen darf wie im Roman von Graham Greene (The Power and the Glory), weil das der Production Code nicht erlaubte. Der Film ist entweder einer von Fords schlechtesten, nämlich eine mit Religionskitsch und preziöser Schwarzweißphotographie vollgestopfte Expressionismus-Orgie, oder er ist ein faszinierendes formales Experiment, eines der abstraktesten Werke, das je ein wichtiger Hollywood-Regisseur hervorgebracht hat. Vielleicht ist er beides. Ein finanzielles Desaster, von dem sich die Argosy nicht mehr erholte, war er in jedem Fall. Ford und Cooper waren deshalb zu einer Kooperation mit dem für sein Banausentum berüchtigten Herbert J. Yates gezwungen.

The Fugitive

Der geschäftstüchtige Yates war Präsident der auf Billigwestern spezialisierten Republic, hatte John Wayne unter Vertrag und den Ehrgeiz, das Sortiment seines Studios mit einigen prestigeträchtigen Produktionen anzureichern, die etwas mehr kosten durften (aber nicht zu viel). Das Geld für The Quiet Man genehmigte er unter der Bedingung, dass Ford ihm zuvor einen gut vermarktbaren Western lieferte, zur Verringerung des finanziellen Risikos. Rio Grande (1950) ist auf einer von mehreren Ebenen ein Militaristenepos für Hurrapatrioten und Verehrer des von Präsident Truman gefeuerten General MacArthur und trotzdem ein schöner Film, weil es außer dem Kampf gegen die Roten noch die Beziehung zwischen Kirby Yorke und seiner Gattin gibt, von der er entfremdet ist, seit er im Bürgerkrieg ihre Plantage niederbrennen musste. The Quiet Man sollte Fords erste Liebesgeschichte werden. In Rio Grande übte er schon mal mit Maureen O'Hara und John Wayne, die bei The Quiet Man auf einen Teil ihrer üblichen Gage verzichteten, weil Pappy Fords Herzensprojekt sonst nicht zu realisieren gewesen wäre, oder zumindest nicht mit den von Yates bewilligten 1,5 Millionen Dollar.

Rio Grande

Hätte Ford The Quiet Man 1935 drehen können wie erhofft, wäre wohl ein explizit politischer und die IRA in den Vordergrund rückender Film daraus geworden. Inzwischen hatte er als Chef der Field Photo Unit den Zweiten Weltkrieg miterlebt (mehr über seine Kriegs-Dokus ein anderes Mal), war selbst verwundet worden und bei der Landung der Alliierten in der Normandie dabei gewesen. Im Januar 1951 flog er nach Korea, um im Auftrag der Navy den dort stattfindenden Krieg zu dokumentieren. In This is Korea! trifft ein propagandistischer, stramm rechtskonservativer Off-Kommentar auf Bilder, aus denen Fords Desillusionierung spricht. Schon wieder wird gekämpft und gestorben, nun aber, ohne dass ein tieferer Sinn erkennbar wäre. Im Sommer 1951 reiste er auf die grüne Insel, um - so will es scheinen - einen hemmungslos eskapistischen Film zu drehen, eine Romanze fürs Gemüt und die konservative Geisteshaltung, in der einer seine widerspenstige Frau zum Gaudium reaktionärer Dorfbewohner (und Kinozuschauer) durch die Gegend prügelt, was mit einem großen kommerziellen Erfolg belohnt wurde. Da wir es aber mit einem Werk von John Ford zu tun haben, ist die Sache doch nicht ganz so einfach.

This is Korea!

The Quiet Man ist, oberflächlich betrachtet, wie ein Familienausflug in eine bessere Zeit. John Martin Feeney alias John Ford, der gern von sich behauptete, er sei als Sean Aloysius O'Fearna zur Welt gekommen (oder in einer anderen gälischen Variante seines Namens), nannte seinen Helden Sean Thornton, nach ihm selbst und seinen irischen Cousins. Die Heldin, Mary Kate Danaher, trägt die Vornamen der beiden Frauen, die Ford in seinem Leben am meisten liebte: seiner Frau Mary und von Katharine "Kate" Hepburn, für die er Mary in den 1930ern beinahe verlassen hätte. Begleitend zur Geschichte von Sean Thornton, der nach Irland heimkehrt und das Haus kauft, in dem er geboren wurde, stattete der vermeintliche Sean O'Fearna Spiddal einen Besuch ab und erzählte Reportern, wie bewegend es gewesen sei, das Zimmer und das Bett zu sehen, in dem sein Großvater geboren worden sei.

This is Korea!

Das mit dem Bett war natürlich eine Erfindung. Trotzdem kann man sich gut vorstellen, wie emotional diese Heimkehr in das Land der Ahnen für den Regisseur gewesen sein muss. In John Ford: Dreaming The Quiet Man, einem schönen Dokumentarfilm von Sé Merry Doyle, zeigen zwei Verwandte die Ruine des alten Feeney-Hauses. Am Schluss der Besichtigung gehen die beiden Herren durch dieselbe Türöffnung, durch die Fords Vater ging, als er Irland verließ und in die USA auswanderte. Die Außenaufnahmen zu The Quiet Man entstanden allerdings ein Stück von dem Platz entfernt, an dem das imaginäre Bett von Opa Feeney stand. In Mayo und Galway war die Landschaft weniger rau und mehr so, wie man es sich von einem Garten Eden erwartet. Darum macht heute der malerische Ort Cong das Geschäft mit den Fans von The Quiet Man, die man dort in Bussen hinkarrt. Ford zelebrierte auch in Cong die Wiedervereinigung mit der Familie, indem er jeden, den er mochte, zu seinem Cousin erklärte.

John Ford: Dreaming The Quiet Man

"Familienausflug" ist ganz wörtlich zu verstehen. Lord Michael Killanin, später Präsident des IOC und mit Ford verwandt, fungierte als inoffizieller Produktionsleiter. Ford, der ein Vater-Sohn-Verhältnis mit John Wayne hatte und seinen biologischen Kindern, Pat und Barbara, bei der Herstellung des Films Jobs besorgte, vergab wie üblich Nebenrollen an seinen Bruder Francis und an Ken Curtis, seinen baldigen Schwiegersohn (Curtis, der es später als Hilfssheriff Festus Haggen in Rauchende Colts zu TV-Ruhm brachte ist der Mann, der bei Ford immer Lieder singt und Gitarre oder Akkordeon spielt). Wayne, ein Kommilitone von Ward Bond (Pfarrer Lonergan), brachte seine Kinder mit (Fords Patenkinder), die beim Pferderennen neben Maureen O'Hara sitzen. Einer von O'Haras Brüdern, Charles FitzSimons, spielt den IRA-Mann Forbes, der andere, James FitzSimons (auf der Besetzungsliste als James Lilburn geführt), ist Pater Paul. Arthur Shields (Reverend Playfair) war ein Veteran des Aufstands von 1916 und der Bruder von Barry Fitzgerald (Michaeleen Óg Flynn). Beide waren alte Bekannte der Ensemble-Mitglieder des Dubliner Abbey Theatre, die für kleinere Rollen besetzt wurden. Andy, der Sohn von Victor McLaglen ("Red" Will Danaher), arbeitete als Regieassistent.

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