Der lange Weg zu Hope and Change für 11 Millionen "Illegale"

Im US-Senat wird über Reformvorschläge für das Einwanderungsgesetz debattiert. Selten standen die Chancen für einen Erfolg so gut, doch Kritik ist vorprogrammiert

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Seit Donnerstag ist es endlich soweit: im Justizausschuss des US-Senats wird über den Reformvorschlag des US-Einwanderungsgesetzes der so genannten "Achterbande" diskutiert. Die Arbeitsgruppe hatte sich kurz nach der Wahl vergangenen Jahres aus vier demokratischen und vier republikanischen Senatoren zusammengetan, darunter der ehemalige Präsidentschaftskandidat 2008 John McCain. Es sollten Kernpunkte herausgearbeitet werden, mit denen beide politische Lager leben und zu einem Kompromiss finden könnten. Das Ergebnis: Der 844-Seiten lange Border Security, Economic Opportunity, and Immigration Modernization Act, der vor gut vier Wochen offiziell vorgestellt wurde.

Die Generalüberholung des "kaputten" Einwanderungsgesetzes war eines von Obamas Wahlversprechen 2008. Es zu reparieren, so Obama, sei sowohl eine wirtschaftliche Notwendigkeit als auch unumgänglich für die nationale Sicherheit. Doch sein zweites Prestigeobjekt neben der Gesundheitsreform stockte in der ersten Amtperiode durch Widerstand der Republikaner. Gleichwohl stehen die Chancen nach zahlreichen gescheiterten Versuchen in den vergangenen acht Jahren, illegalen Einwanderern einen Weg zu einer Aufenthaltserlaubnis zu eben - darunter die McCain-Kennedy Bill 2005 und zuletzt der umfangreiche Immigration Reform Act of 2007 - selten so gut wie dieses Jahr.

Obamas erneuter Wahlsieg im November funktionierte darin als lang überflüssiger Augenöffner für die GOP: In den wichtigen Battleground-Staaten wie Nevada oder Florida erntete Obama den Zuspruch der dort ansässigen Latino-Bevölkerung und durfte dafür vier weitere Jahre ins Weiße Haus. Für die Republikaner ließ sich danach die demographische Realität nicht weiter ignorieren. Ohne das Vertrauen des stetig wachsenden Latino-Wählerblocks ist schlicht keine Präsidentschaft mehr zu gewinnen.

Neben McCain sitzt auch Marco Rubio, Senator aus Florida, Sohn kubanischer Einwanderer und damit heiß gehandelter Präsidentschaftskandidat für 2016, in der parteiübergreifenden Arbeitgruppe. Das Papier lässt sich in drei Hauptaspekte aufteilen: Einbürgerung, Visa-Vergabe an Fachkräfte, Eindämmung der illegalen Grenzüberschreitung.

Hart, aber fair

So sollen den etwa 11 Millionen Menschen, die gegenwärtig ohne Papiere leben und vor dem 31.12.2001 ins Land kamen, ein "harter, aber fairer" Weg zur US-Staatsangehörigkeit eröffnet werden. Demnach könnten sie bereits sechs Monate nachdem die Änderung von Obama abgezeichnet wurde, provisorische Papiere erhalten. Sie müssen dafür Englisch lernen, in Arbeit stehen sowie eine Strafe von 1.000 US-Dollar und Steuern nachzahlen. Nach zehn Jahren dürfen sie sich für die Greencard bewerben, drei Jahre danach um die Staatsbürgerschaft.

Um den Beigeschmack der "Amnestie" zu verhindern und Kritikern der Reform den Wind zumindest etwas aus den Segeln zu nehmen, wurden zwei weitere Maßnahmen aufgenommen: die Überholung des Einwanderungssystems sowie eine verstärkte Grenzkontrolle.

Mehr Visa

Die Einreisemodalitäten ausgebildeter Arbeiter dürfte dabei zu einem der integralen Punkte gehören. Für Unternehmen in einer postindustriellen Welt haben Innovation, Fachkräfte und ständiger Zufluss an kreativem Nachwuchs oberste Priorität. Wohl auch deshalb hob Facebook-Gründer Zuckerberg kürzlich ein politisches Action Committee namens "fwd.us" (Ausgesprochen "Forward Us") aus der Taufe, mit Lobbyfokus auf Bildung und Immigration: "Es ist eine Einwanderungspolitik, die ungeeignet für die heutige Welt ist", sagte Zuckerberg.

Der Reformvorschlag der Achterbande sieht daher eine Verdopplung der Anzahl der H1-B-Visas für Hochqualifizierte vor. Von gegenwärtig 85.000 auf zukünftig bis zu 185.000 - die Milliardenwirtschaft des Technologiestandorts Silicon Valley wird die Aussicht auf neue Talente mit Genugtuung aufnehmen. Allein dieses Jahr wurde die 85.000-Obergrenze innerhalb von fünf Tagen erreicht, berichtete die L.A. Times.

Das Ministerium für Innere Sicherheit soll für die Verbesserung der Grenzsicherheit 3 Milliarden Dollar bekommen. Auf dem Einkaufzettel stehen Überwachungs-Drohnen und 3.500 zusätzliche Zollagenten, dazu gibt es noch einmal 1.5 Milliarden für das Abzäunen der über 3000 Kilometer langen Grenze nach Mexiko. Dadurch, so der Plan, sollen innerhalb von fünf Jahren eine 100-prozentige Überwachung gewährleistet und 90 Prozent illegaler Grenzüberschritte an Hochrisiko-Sektoren vermieden werden (Einwanderungsreform wird an absurde Grenzsicherung gebunden).

Absehbare Probleme

So günstig die Sterne für eine parteiübergreifende Überholung des Einwanderungsgesetzes auch stehen und so drängend sie durch den demographischen Wandel der US-Gesellschaft erscheint, die Initiative muss nach wie vor den politischen Alltag überstehen. Alle reden mit, Demokraten, Republikaner, Bürgerrechtsaktivisten, Denkfabriken.

Konservative Politiker etwa forderten als Folge der Bombenanschläge während des Boston-Marathons Mitte April bereits eine sofortige Aussetzung der Debatte. Man müsse zunächst den Fehler im gegenwärtigen Einwanderungsgesetz aufdecken, durch den die beiden Täter ins Land kamen. Erst dann könne man über Änderungen nachdenken.

Anfang letzter Woche schwang die konservative Denkfabrik The Heritage Foundation die 6,3-Billionen-Dollar-Keule - das sei der Preis über die kommenden 50 Jahre, den der Steuerzahler für die Überholung des Einwanderungssystems zahlen müsse, hieß es. Denn soviel würden rechtwidrige Immigranten nach Abzug von Steuern insgesamt an staatlichen Zuwendungen eintüten.

Ein weiterer Diskussionspunkt könnte das im 844-Seiten Papier erwähnte E-Verify-System werden. Das Programm, das erst in einer Handvoll Staaten läuft und bei dem per Datenbank abgeglichen wird, ob der Angestellte eine Arbeitserlaubnis besitzt, soll bundesweit verbindlich werden. Dabei ist es nicht nur aus Datenschutzgründen umstritten, sondern auch, weil durch die Implementierung auf kleine Firmen geschätzte Zusatzkosten von bis zu 2.6 Milliarden Dollar zukämen. In der Kritik steht es jedoch vor allem, weil das System nicht fehlerfrei arbeitet: Zwar liegt die Fehlerquote nur bei knapp einem Prozent. Im ganzen Land eingesetzt beträfe das aber über 150 Millionen Arbeiter. Laut einer Studie der progressiven Denkfabrik Center for American Progress könnten durch falsche Angaben damit bis zu 770.000 legale Arbeitnehmer ihren Job verlieren.

Gefahr für Obamas zweites Großprojekt lauert außerdem in der Frage bezüglich der Rechte für Homosexuelle. Ihnen wird eine rechtliche Gleichstellung im Gesetzentwurf versagt - eine bewusste Entscheidung der Verfasser, um nicht vorab rechtskonservative Kreise oder die einflussreiche Kirchenlobby aufzuscheuchen. Schwulenaktivisten laufen Sturm. Der ganze Sachverhalt Immigration aber wäre schon ohne diese Frage mehr als problematisch, erklärte Rubio in einem Interview: "Sollte das Thema in die Gesetzesvorlage eingefügt werden, wird der Vorschlag scheitern und die Koalition, die diesen Kompromiss ausgearbeitet hat, auseinander fallen."

Für Gegner der Reform gibt es also ausreichend Angriffsflächen. Man kann es daher mitunter schon als Fortschritt verbuchen sollte es fünf Jahre nach dem letzten Versuch der "Border Security, Economic Opportunity, and Immigration Modernization Act" tatsächlich schaffen, eine Mehrheit im US-Senat zu erreichen. Danach allerdings wartet auf den Kompromissvorschlag der Achterbande das Repräsentantenhaus. Und dort haben nach wie vor die Republikaner das Sagen, und nicht alle denken an die Präsidentschaftswahl 2016. Sondern an die eigene Wiederwahl nächstes Jahr bei den Mid-Term Elections für den US-Kongress.