Der mobile Kunde im Visier
Ein jetzt veröffentlichter Städte-Atlas macht Passanten-Werbung zielgenau
In einem fast drei Jahre dauernden Entwicklungsprozess und geschätzten Projektkosten von über einer Million Euro erstellten das Fraunhofer Institut für Autonome Intelligente Systeme (AiS) und der Fachverband Außenwerbung (FAW) einen „Frequenzatlas“ für die großen Städte Deutschlands. Mit ihm lässt sich sehr genau feststellen, wie viele Konsumenten sich an welchem Punkten der Stadt bewegen.
Der Atlas vereinigt eine Fülle von Daten: So fließen kommunale Verkehrszählungen ebenso mit ein wie Angaben über die Bevölkerungsdichte, Einkommensstruktur, Kfz-Aufkommen, Theater oder Restaurants. Basierend auf den Kartendaten der Firma „NavTeq“ existieren für jeden Straßenabschnitt in großen deutschen Städten nach Fahrtrichtung getrennte Frequenzklassen für die Bewegungen von Fußgängern, Kraftfahrzeugen und Öffentlichen-Personennahverkehrsmitteln.
Mit einer Software lassen sich aus der Datenflut die für den jeweiligen Anwender interessanten Daten extrahieren und auf einer Karte darstellen. Derzeit enthält das Data-Mining System 84 Städte ab 100 000 Einwohnern, Mitte 2006 kommen die Städte ab 50 000 Bürgern dazu. Für Frankfurt am Main, Düsseldorf und Hamburg lässt sich die Funktionsweise des Atlas' auf der Homepage des FAW testen.
Der Konsument, das flüchtige Wesen, bewegt sich trotz TV und Internet vor allem tagsüber in der Reichweite von Plakaten, Litfasssäulen und anderen Werbeträgern im öffentlichen Raum. Das Geomarketing analysiert Kaufgewohnheiten und Lebensweisen und hilft Unternehmen damit nicht nur bei der Wahl von Werbestandorten, sondern auch bei geplanten Filialeröffnungen. Wo sitzen Mitbewerber, wie ist die Anbindung an Autobahn oder ÖVPN, wo liegen Einkommensgrenzen? Auch Stadtplaner und Hersteller von Routenplanern sollen bereits Interesse am Frequenzatlas bekundet haben.
Die Medienwirkung und damit auch der Preis eines Plakates waren lange Zeit umstritten: Es existierte zwar seit rund zehn Jahren der sogenannte „G-Wert“ der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK); dieser gab an, wie viele Passanten pro Stunden sich an ein Plakat erinnern konnten. Der G-Wert galt aber als unplausibel, da er oft ohne nachvollziehbaren Grund variierte und dementsprechend zu verzerrten Preisen führte.
"Vor einer entsprechend geplanten Plakatkampagne gibt es kein Entkommen"
Der Wert eines Werbestandorts ergibt sich nicht nur aus der Menge der Kontakte, sondern auch aus ihrer Dauer und Qualität. Anders ausgedrückt: An manchen Werbeflächen kommen zwar wenige, aber die richtigen Menschen vorbei. Im neuen G-Wert werden die Daten des Frequenzatlas berücksichtigt, der unter anderem auf der seit 1998 am AiS entwickelten Software „CommonGIS“ aufsetzt. So kann man beispielsweise eine Pralinenwerbung nur dort platzieren, wo ältere, kaufkräftige Personen wohnen. Das Verfahren lässt sich nicht nur auf Plakate, Riesenposter und Videoboards anwenden, sondern auch auf Geldautomaten oder Briefkästen. Mobilfunknetzbetreiber können sehen, wo es sich lohnt, Funklöcher zu schließen.
Vertrieben wird der Frequenzatlas von der DDS, einem der großen Anbieter von Geodaten. Je nach Kundenwunsch sind verschiedene Preismodelle möglich, zielen tut der Atlas aber vor allem auf Großkunden, die ohne Murren die rund 10.000 EUR für einen Datensatz zahlen.
Direkt in das System können keine zusätzlichen Angaben eingespeist werden. Erst über externe Programme können die Informationen aus dem Atlas mit internen Geschäftsdaten abgeglichen werden, so zum Beispiel mit Daten des Statistischen Bundesamts oder der beliebten Bonuskarten. Wer beim Erwerb einer solchen Karte die Formulierung akzeptiert hat, dass die Daten an „befreundete Unternehmen“ weitergeleitet werden dürfen, hat gute Chance, sich als Datensatz im Geomarketing wiederzufinden.
Auf besondere Aufmerksamkeit bei Außenwerbern stieß vor zwei Jahren eine Studie des Bundesverkehrsministeriums. Detailreich wurde in der „Mobilität in Deutschland“ genannten Erhebung nachgewiesen, dass die Deutschen gerne unterwegs sind: Wenn sie nicht gerade ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen (Essen, Fernsehen, Arbeiten), sind sie auf Achse. Fast die Hälfte aller Autofahrer ist zwischen 30 und 49 Jahre alt. Und wer unterwegs ist, schaut nicht fern, sondern Plakat. Diese mobile Generation liegt im Fokus der Branche, denn sie verfügt über einen oft hohen Bildungsgrad und Lebensstandard. Sie legt am Tag doppelt so große Strecken mit dem Auto oder zu Fuß zurück als ärmere Bevölkerungsschichten. Eine Konsumentengruppe wie aus dem Bilderbuch.
Georg Schotten, Direktor der Marktforschung beim Plakatwerber „Ströer“, denkt weiter: „Menschen fahren auf der Straße und werden von Plakaten erreicht, daher muss man sich mit dem Thema 'Verkehr' und dessen innerer Logik sehr genau auseinandersetzen.“ Das Fachmagazin Werben und Verkaufen jubelte schon im Juni diesen Jahres angesichts der Zusammenführung der Daten von Mobilitätsstudie, Marktforschungserhebungen, G-Wert und Verkehrsstrom-Information: „Vor einer entsprechend geplanten Plakatkampagne gibt es kein Entkommen. Zappen zwecklos.“ In Zukunft wird das Netz noch feinmaschiger werden. Dann soll, so hofft man beim FAW, nicht nur genau festgestellt werden, wo welche Menschen wohnen, sondern auch, warum sie sich wie bewegen.