Der schläfrige Wahlkampf in Zeiten harter Debatten

Ein Bild aus besseren Schulz-Tagen vom Aschermittwoch 2017. Foto: SPÖ Presse und Kommunikation / CC BY-SA 2.0

Auch die aktuellen Umfragen sehen den SPD-Kandidaten Schulz in aussichtsloser Position. Weil auch er zu "ungefähr" ist

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Es sieht ganz und gar nicht danach aus, dass Angela Merkel nach dem 24.September über eine Zukunft nach der Kanzlerschaft nachdenken muss. Auch der aktuelle ARD-DeutschlandTrend malt ihr einen beruhigenden dicken schwarzen Sockel von 38 Prozent-Zustimmung für die CDU. Der rote Balken für die SPD erreicht diese Höhe bei weitem nicht. Er stoppt bei gerade mal 22 Prozent.

Die anderen, rosa-, grün- und gelb-ausgemalten, Sonntagsfragen-Balken sind noch viel kürzer. Allesamt bleiben sie unter der zehn-Prozent-Marke, nur einer nicht, der hellblaue, mit dem die ARD die AfD kennzeichnet. Der erreicht genau zehn Prozent. Die Partei ist wieder zweistellig, Die Zeit vermerkt das gleich im Titel ihres Berichts.

Möglich wäre nach diesem Umfrage-Zwischenstand eine große Koalition mit 60-Prozent-Mehrheit. Die anderen Spekulations-Kombinationen bleiben unter der 50-Prozent-Mehrheit: Schwarz-Gelb mit 47 Prozent, Schwarz-Grün mit 46 Prozent. Rot-Rot-Grün hätte nur mehr 39 Prozent. Schwarz-Grün-Gelb würde auf 55 Prozent kommen. Das wäre allerdings ein Experiment, das als nicht besonders wahrscheinlich gehandelt wird.

"Das wird noch spannend, glauben Sie mir!"

Der Merkel-Rivale Schulz bemüht sich, innerhalb der Zufriedenheitsblase mit kleinen Stichen anzuzapfen, was ein mögliches Reservoir an SPD-Wählerzugewinnen sein könnte: "Schulz will Atomwaffen aus Deutschland abziehen". Er meint, dass die SPD "noch alle Chancen habe". "Das Rennen ist offen", sagt er im Interview mit n-tv. "Das wird noch spannend, glauben Sie mir!"

Merkels Neigung, im Ungefähren zu bleiben, bewertet Schulz als "nicht ausreichend". Aber was hat er ihr an "klaren deutschen Hauptsätzen", die er einfordert, selbst entgegenzusetzen? Schulz rackert, aber bislang glücklos. Das liegt auch an seinem Stil. Eine Kostprobe seiner klaren deutschen Hauptsatz-Ansagen:

ntv: Sie haben angekündigt, als Kanzler härter gegenüber Erdogan und Trump aufzutreten. Können Sie einen Vorgeschmack geben, was Sie den beiden sagen würden?
Schulz: Ich würde Trump sagen: Der wenig staatsmännische Umgang mit Nordkorea, die Herabwürdigung ganzer Bevölkerungsgruppen und die mangelnde Distanzierung von Neonazis ist Ihre Linie. Wir aber halten das für falsch und das wird niemals die Politik der Bundesregierung oder Europas sein.

n-tv

Das ist nicht viel anders als "ungefähr".

Einwanderungspolitik weiter wichtig im "Sorgenranking"

Geht es nach dem ARD-Deutschlandtrend, so steht die Einwanderungspolitik bei den Themen, die die Befragten als vorrangig angegeben haben, ganz oben. Zwar ist der Anteil nicht sonderlich groß: 12 Prozent waren der Meinung, dass sich die neue Bundesregierung nach der Wahl vorrangig mit "Einwanderungsfragen klären/Asylrecht neu definieren" beschäftigen soll.

Danach kommt das Themenfeld "soziale Ungerechtigkeit/Armut bekämpfen/Reichensteuer mit 9 Prozent. 7 Prozent legen Wert auf das Thema, dem traditionell der Union mehr zugetraut wird: "Innere Sicherheit gewährleisten". Danach kommt mit 6 Prozent Zustimmung "Wahlversprechen einhalten/Transparenz schaffen".

Ergänzt wird dieser Umfrageteil von Auskünften der Tagesschau, wonach es fünf Prozent für wichtig halten, "dass sich die kommende Regierung um die bessere Integration von Flüchtlingen kümmert, vier Prozent wünschen sich eine strengere Asylpolitik und eine Begrenzung der Zuwanderung". Also auch hier nochmal das Zuwanderungsthema.

Das aktuelle "Sorgenranking" der Meinungsforscher der GfK sieht ebenfalls "Zuwanderung und Integration" als "Topthema der deutschen 'Sorgenagenda". 56 Prozent der Befragten setzten diese Priorität. 2016 waren es noch 83 Prozent. An zweiter Stelle folgt mit einigem Abstand das Thema Armut mit 17 Prozent, das ist ein Plus von immerhin 7 Prozent gegenüber 2016. Vor zehn Jahren waren es 3 Prozent.

Die nächst größeren Sorgen bereiten Kriminalität und Arbeitslosigkeit (beide 16 Prozent) sowie eine sichere und ausreichende Altersversorgung (14 Prozent) auf Platz 5. Zum ersten Mal befinde sich der "Terrorismus" unter den zehn wichtigsten Sorgen Deutschlands, berichtet die GfK-Pressemitteilung vom deutschen Abschnitt der international angelegten "Challenges of Nations-Studie".

Die AfD profitiert, die SPD bleibt ohne Profil

Dass das Thema Einwanderung durch die Berichterstattung der vergangenen Sommerwochen über die Migranten im Mittelmeer große Aufmerksamkeit bekam, kommt wohl vor allem der AfD zugute, der in der Momentaufnahme der ARD-Umfrage wieder "Luft nach oben" zugesprochen wird, trotz der Berichte über die internen Macht-und Flügelkämpfe.

Für die SPD ist bei diesem Thema wenig zu holen oder gibt es doch einen überraschenden Schlussspurt, wo die Partei zeigt, dass sie doch ein eigenes und überzeugendes Konzept dazu hat?

Bislang nimmt man die SPD-Position zur Migration kaum wahr. Sie konnte sich nicht von der Merkel-Linie so absetzen, dass sie als eigenes, unterschiedliches und durchdachtes Konzept kenntlich wäre. Profilieren konnte sich die Partei hier nicht mit einer eigenen Linie. Dass sie sich dabei nicht der AfD annähern darf, muss nicht eigens erwähnt werden. Abgesehen vom Haltungsverlust zahlen sich solche Anbiederungen auch bei den Wählerstimmen nicht aus.

Ebenso wenig wartet sie mit einem überzeugenden Gegenkonzept zu Merkels Ruhepolster der plakativen tollen Wirtschaftszahlen auf. Schulz tut sich auch hier schwer mit seinen Konterversuchen:

Es gibt diesen Satz "Deutschland geht es gut". Ja, richtig! Aber die Annahme, damit ginge es auch allen Menschen in Deutschland gut, ist falsch. Deutschland ist ein wohlhabendes Land, aber nicht alle Deutschen sind wohlhabend. Generationengerechtigkeit, Steuergerechtigkeit und Lohngerechtigkeit sind Themen, die die Menschen berühren. Wahlen werden nicht von Hochglanzbildern auf einem G7-Gipfel entschieden, sondern auf den Straßen der Republik.

Martin Schulz

Auffallend ist der Unterschied zwischen den hitzigen und harten Diskussionen, die sich zu den Themen Migration, Armut in Deutschland, Politik gegenüber ärmeren Staaten, Umweltschutz (Verbrennungsmotoren, Klimapolitik), Euro-Zone, Kämpfe über Deutungshoheiten bei Themen wie Geschlechtergleichheit oder politische Gewalt, Zensur, Nahost- Russlandpolitik in den Foren längst nicht nur an dieser Stelle zeigen, und dem schläfrigen Wahlkampf, der der Brisanz der Reizthemen aus dem Weg geht.

Es sieht schon danach aus, also ob es heiße Themen gibt, die sich um die nächste Zukunft ranken. Dass es wirklich keine Chancen für einen Herausforderer der Kanzlerin gebe, ist eigentlich kaum zu fassen.